vonHelmut Höge 13.06.2010

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Im ersten blog-eintrag zu diesem Thema, am  8.5. 2009, ging es um eine Veranstaltung mit Mac Chapin im Berliner “Mehringhof”. Der Anthropologe ist Direktor des “Center for the Support of Native Lands” in Arlington, Virginia und arbeitet seit 40 Jahren mit indigenen Völkern im Lateinamerika zusammen. 2008 war zu dem Problem bereits das Buch “Naturschutz und Profit” von Klaus Pedersen erschienen, der in Wirklichkeit Peter Clausing heißt und Beiratsmitglied der Informationsstelle Militarisierung e.V. ist.

.

Er  hat nun in der Jungen Welt zum Thema „Naturschutz vs. Menschenrechte“ einen weiteren Text veröffentlicht:

Naturschutz im Klonialstil

Nationalparks gelten allgemein als Zonen unberührter Flora und Fauna. Doch ihre Geschichte ist oft eine von Rassismus, Eurozentrismus, Vertreibung und Vermarktung

Naturschutz hat – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sein positives Image bis
zum heutigen Tag bewahrt. Naturschutz scheint von rassistischen und
kolonialistischen Ideologien weit entfernt zu sein. Das liegt vermutlich
daran, dass beispielsweise der bayerische Nationalpark oder das
Biosphärenreservat Schorfheide nicht unbedingt kolonial-rassistische
Assoziationen erzeugen. Ferner kann es einem so vorkommen, als ob
Naturschutzgebiete nicht mit Rassismus und Kolonialismus in Verbindung
gebracht werden können, weil sie scheinbar nicht mit Menschen zu tun haben.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass beide Annahmen nicht zutreffen.

Naturschützer wie Hans-Dieter Knapp, Leiter der Naturschutzakademie Vilm,
behaupten unter Bezugnahme auf den Yellowstone-Nationalpark unreflektiert,
dass Nationalparks heute die international erfolgreichste
Schutzgebietskategorie seien. Dabei ignorieren sie das zutiefst koloniale
Erbe des Modells „Nationalpark“, das in den USA „erfunden“ wurde. Einer der
ersten, der Yellowstone-Nationalpark, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als
Prototyp: Seine Schaffung war mit der gewaltsamen Vertreibung der dort
lebenden Bevölkerung verbunden, er entsprach von Anbeginn dem Schema „Natur
als Erlebnis“ (heute kritisch als Disneyfizierung von Natur bezeichnet), und
er wurde – ähnlich anderen Schutzgebieten – Ende des 20. Jahrhunderts zum
Betätigungsfeld für Biopiraten.[1]

Zum Zeitpunkt seiner Gründung (1872) wurde der Yellowstone von Shoshonen
bewohnt und von einer Reihe anderer Ethnien genutzt – Crow, Bannock,
Blackfeet und Nez Perce. Die Nutzung des Yellowstone-Gebiets durch die
amerikanischen Ureinwohner spielte eine wichtige Rolle bei der Formung
seiner vermeintlich „natürlichen“ Landschaft, die dann als so schützenswert
empfunden wurde. Im Jahr 1879 erfolgte die endgültige Vertreibung der
Shoshonen aus dem Park. Auch die anderen amerikanischen Ureinwohner wurden
von der US Army verjagt, damit der Yellowstone-Nationalpark seiner
Bestimmung gerecht werden konnte, die laut Gründungsdekret von 1872 darin
besteht, “ (…) öffentlicher Park oder Erholungsfläche zum Nutzen und zur
Erbauung des Volkes“ zu sein. Zum „Volk“ gehörten die amerikanischen
Ureinwohner im Yellowstone-Nationalpark ebensowenig wie auf weiteren
„Erholungsflächen“, z.B. dem 1864 gegründeten Yosemite-Nationalpark in
Kalifornien, der nach einem erbitterten Krieg gegen die Miwok-Indianer
entstand. Die Liste ließe sich fortsetzen, denn für nahezu alle wichtigen
Nationalparks der USA machen heute die Native Americans, wenngleich bislang
wenig erfolgreich, alte Rechte geltend.

Mit Bibel und Flinte

Diese Art der Entstehung von Naturschutzgebieten war jedoch nicht auf
Nordamerika beschränkt. „Wie schon das Begriffspaar von ‚Nation‘ und ‚Park‘
verrät, ist die Institution des Nationalparks einer europäischen
Vorstellungswelt entsprungen“, schreibt der Züricher Umwelthistoriker
Patrick Kupper.[2] Als Ende des 19. Jahrhunderts der Naturschutz in
„Deutsch-Ostafrika“ eingeführt wurde, ging es ebenfalls darum, künftigen
Generationen, in diesem Fall der Deutschen, die Möglichkeit zur „Erholung“
zu bieten. Was dabei mit Erholung gemeint war und welches Segment der
„künftigen deutschen Generationen“ in den Genuss dieser Erholung kommen
sollte, eröffnet uns ein Blick auf die Website der deutschen Delegation des
International Council for Game and Wildlife Conservation (CIC), eines 1930
gegründeten Clubs von Großwildjägern, der sich in der Tradition eines
Hermann von Wissmann sieht. Dieser dekretierte im Jahr 1896 als Gouverneur
von „Deutsch-Ostafrika“ die erste Wildtierverordnung mit der Bemerkung: „Ich
fühle mich verpflichtet, diese Verordnung für unsere künftigen Generationen
zu verabschieden, um die Wildtiere zu schützen und zu verhindern, dass diese
Tierarten aussterben.“

Seinen Posten als Gouverneur verdiente sich der später geadelte Major
Wissmann mit der blutigen Niederschlagung des „Araberaufstandes“ in den
Jahren 1889/1890. Diese militärische Strafaktion erfolgte auf der Grundlage
des „Gesetzes, betreffend den Schutz der deutschen Interessen und die
Bekämpfung des Sklavenhandels in Ostafrika“. Der Name dieses Gesetzes schuf
den Mythos, Wissmann habe gegen die Sklaverei gekämpft. Abgesehen davon,
dass die Wissmannsche Sklavenbefreiung keine war, denn um 1900 gab es in der
Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ noch immer 400.000 Sklaven (zirka zehn Prozent
der Bevölkerung), war der eigentliche Grund für die Niederschlagung des
„Araberaufstandes“ die Durchsetzung der Interessen der
Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, deren Handelshäuser mit denen der
arabischen Oberschicht in Konkurrenz standen.

Doch der Mythos von der Sklavenbefreiung lebt offenbar fort. Im Rahmen der
Bemühungen, eine Umbenennung der Wissmannstraße in Berlin-Neukölln zu
erwirken, fand dort im Jahr 2006 eine Podiumsdiskussion statt, die der
selbsternannte Historiker und pensionierte Pfarrer Christoph Sehmsdorf für
ein subtiles prokoloniales Plädoyer zu nutzen versuchte. Man müsse Wissmanns
Taten historisch kontextualisieren, und es sei „hochproblematisch“. Dabei
stellt die angebliche Nichtanwendbarkeit „unseres ethischen Systems“ auf
unsere Großeltern einen weiteren Mythos dar, denn einem Teil der deutschen
Bevölkerung waren die kolonialen Verbrechen bereits Ende des 19.
Jahrhunderts bewusst. Dies lässt sich unter anderem mit dem im
„Demokratischen Liederbuch“ von 1898 enthaltenen kritischen Liedtext „Mit
Bibel und Flinte“ belegen, vor allem aber mit den antikolonialen Schriften
Rosa Luxemburgs.

Weiter heißt es im Protokoll der Podiumsdiskussion: Die „Niederschlagung des
Aufstandes der arabischen Clans setzte neue Maßstäbe der Kriegführung. (…)
Zum ersten Mal wurde in einem deutschen Kolonialkrieg die Taktik der
‚verbrannten Erde‘ konsequent angewandt (…).“[3] Wissmann, der diese
Taktik einführte, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als „Deutschlands
größter Afrikaner“ gefeiert und in der Nazizeit ideologisch vermarktet.
Unbeschadet dieser historischen Last tragen in mindestens 21 westdeutschen
Städten Straßen und Plätze den Namen Wissmann – die Wissmann-Straßen in
Erfurt, Leipzig und Frankfurt/Oder wurden zu DDR-Zeiten umbenannt. Weiterhin
gibt es mehrere Denkmäler, deren prominentestes vor der Hamburger
Universität stand und während der 68er Studentenbewegung gestürzt wurde.
Dieses Denkmal war die zentrale Anlaufstelle für die Kolonialnostalgie der
Traditionsverbände von der Weimarer Republik bis zum Ende der Nazizeit.
Diese zentrale Anlaufstelle bildet heute das Wissmann-Denkmal in Bad
Lauterbach (Harz), wo sich alljährlich der Traditionsverband ehemaliger
Schutz- und Überseetruppen trifft. Die kürzlich erfolgte Anbringung einer
Gedenktafel im Selous Wildreservat (Tansania) durch die deutsche Delegation
des CIC wirft ein Licht auf die Geisteshaltung dieser Organisation. In der
Mitteilung auf der CIC-Webseite heißt es: „Das Reservat ist eine deutsche
Gründung. Sie wurde im Jahre 1896 durch Gouverneur Hermann von Wissmann
veranlasst und ist damit das älteste Naturschutzgebiet in Afrika. (…)
Hermann von Wissmann war ein passionierter Jäger. Er hatte frühzeitig
erkannt, dass unkontrollierte Ausbeutung der natürlichen Ressource Wild ihre
Ausrottung zur Folge hat.“[4] Die von Wissmann betriebene Ausrottung von
Menschen, scheint die deutsche Delegation des CIC nicht weiter zu kümmern.

Heute ist das Selous-Wildreservat mit 50.000 Quadratkilometern das größte
Naturschutzgebiet der Welt. Ohne „nachhaltigen Jagdtourismus könnte dieses
‚Weltkulturerbe‘ der Vereinten Nationen nicht existieren. Die Jagd erbringt
90 Prozent aller Einnahmen und erst dies ermöglicht den Schutz“, verkündet
die CIC-Website. In Tansania sind 40 Prozent der Landesfläche unter
Naturschutz gestellt. Mit fünf Prozent der Landesfläche hat das
Selous-Wildreservat daran einen signifikanten Anteil. Vertreibung bzw.
Zwangsumsiedlungen von Teilen der Bevölkerung zugunsten eines „weißen“
Konzepts von Naturschutz, die sich auch nach Ende der Kolonialzeit
fortsetzen und sogar noch verstärkten, waren und sind integraler Bestandteil
der globalen Naturschutzpolitik. Kupper kommt zu der Schlussfolgerung, dass
Wissmanns Hang zum Naturschutz „durch jene eurozentrisch und
sozialdarwinistisch imprägnierte Weltsicht (getragen wurde), die von einem
universell gültigen, räumlich aber in unterschiedlichem Tempo
fortschreitenden Zivilisationsprozess ausging. (…) Außerhalb Europas galt
es daher zu schützen, was in Europa bereits verlorengegangen war. Dies
erklärt sowohl die hohe Aufmerksamkeit, die der Megafauna auch von
jagdfernen Kreisen zuteil wurde, als auch die Bemühungen gewisser
Naturschützer, ‚primitive Völker‘ im ‚Naturzustand‘ zu konservieren.“[5]

Auf Kosten von Natur und Mensch

Seine Liebe zum „Naturschutz“ teilte Wissmann mit einem anderen
Kolonialverbrecher, dem britisch-amerikanischen „Afrikaforscher“ Henry
Morton Stanley, der im Auftrag von Leopold II. das Kongo-Gebiet für die
belgische Krone eroberte. Auf Anregung der beiden und unter ihrer Teilnahme
fand im Mai 1900 in London eine Konferenz statt, mit der eine Regelung zum
Wildschutz für ganz Afrika herbeigeführt werden sollte. Das Protokoll dieser
Konferenz wurde am 9. Mai 1900 unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Den
Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Wildschutzbemühungen war das
exzessive Abschlachten von Elefanten, Nashörnern und Flusspferden
vorangegangen, das durch Wissmann mit verursacht wurde.

Der schottische Geologe Joseph Thomson beschrieb aus eigener Anschauung die
Bedrohung des Elefantenbestandes in den 1880er Jahren folgendermaßen: „Das
Abschlachten der Elefanten durch weiße Jäger, besonders im südlichen Afrika,
war erschütternd. Ein gut ausgerüsteter Jäger konnte während einer einzigen
Safari mehr als 200 Elefanten schießen, und mehrere tausend, wenn er es
beruflich betrieb. Manche Jäger töteten so viele Elefanten, dass ihre
Fahrzeuge das Elfenbein nicht tragen konnten, so dass es im Gebüsch
zurückgelassen wurde.“

In einem kritischen Rückblick bezeugt 1972 Henry Fosbroke, der pensionierte
Chef des Ngorongoro-Nationalparks: „Ein Grund für das Verschwinden (der
Nashörner – P.C.) ist der Abschuss, aus Vergnügen oder aus Profitgründen.
Sir John Willoughby und seine drei Brüder, alle Offiziere der britischen
Armee in Indien, schossen innerhalb von vier Monaten 66 Stück in der Taveta
Region am Kilimandscharo. Graf Teleki und seine Gruppe erlegten 99 im Laufe
ihrer Safari. Von einer weiteren Jagdgruppe wurde berichtet, dass sie im
Jahr 1893 in der Umgebung von Machakos in weniger als drei Monaten 80
getötet hätten. Weitere Fälle auf der deutschen Seite der Grenze (zwischen
den deutschen und englischen Kolonialgebieten) waren Dr. Kolb, der 150
tötete, bevor er selbst von einem getötet wurde, Herr von Bastineller (140),
Herr von Eltz (60) usw.“

Im tansanischen Tarangire-Nationalpark lebten dereinst Tausende schwarzer
Nashörner. Heute gibt es dort keine mehr. Gleichermaßen gab es dort eine
große Zahl von Elefanten, die von europäischen Jägern nahezu ausgerottet
wurden. Den Hazda, einer in dieser Region lebenden Ethnie, aber wurde
verboten, das zu jagen, was traditionell ihnen gehörte, und sie wurden
pauschal als „Wilderer“ gebrandmarkt. In der heutigen Zeit erfolgt ein
„nachhaltiger“ Abschuss (Safari auf Quotenbasis) in Gegenden, wo sich die
Bestände von den Massakern der früheren Jahrzehnte erholt haben. Nicht
wenige afrikanische Regierungen profitieren finanziell und rhetorisch vom
Wildtierschutz. Es wird argumentiert, dass seine Durchsetzung politischen,
sozialen, kulturellen und ökonomischen Zwecken diene. Doch Teile der
Einkünfte, die aus dem Tourismusgeschäft entstehen, fließen in die Kassen
millionenschwerer Unternehmen bzw. in die Taschen von Regierungsmitarbeitern
und kommen der Bevölkerung nicht zugute. Zugleich steht die lokale
Bevölkerung nach wie vor unter dem Generalverdacht der Wilderei.

Ein von H. Jürgen Wächter veröffentlichtes Buch mit dem vielversprechenden
Titel „Naturschutz in den deutschen Kolonien in Afrika (1884-1918)“, das
zwar 2008 in einer Reihe mit dem Titel „Europas Übersee – Historische
Studien“ erschienen ist, aber mehr einer mit Jagdstatistiken garnierten
Sammlung kolonialer Verwaltungsvorschriften gleicht, bringt immerhin ein
entlarvendes Zitat von Carl Georg Schillings. Dieser als Pionier des
Naturschutzes und der Nachtfotografie (von Tieren) geltende „passionierte
Jäger“, der Ostafrika zwischen 1896 und 1903 viermal bereiste, schrieb in
seinem Bestseller „Mit Blitzlicht und Büchse im Zauber des Eleléscho“: „Die
den Eingeborenen auferlegte Hüttensteuer trieb sie dazu, der Tierwelt weit
über den eigenen Bedarf nachzustellen, um durch Verkauf an Händler den
Betrag der Steuer entrichten zu können.“ Diese Hüttensteuer aber war in der
Kolonie Deutsch-Ostafrika vom „Naturschützer“ und Kolonialverbrecher
Wissmann vorbereitet worden. Mit anderen Worten, der gleiche, der einen
Prozess in Gang zu setzen half, mit der der lokalen Bevölkerung im wahrsten
Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, führte Abgaben
ein, die die Bevölkerung zwangen, mehr Wild zu schießen, um ihre
Steuerschuld gegenüber den Kolonialherren zu begleichen. Wissmann hatte
Afrika kurz vor der Jahrhundertwende aus gesundheitlichen Gründen für immer
den Rücken gekehrt, doch die Hüttensteuer war 1905 mit ein Grund für den
Ausbruch des Maji-Maji-Aufstandes, bei dem nach unterschiedlichen
Schätzungen zwischen 75.000 und 300.000 Afrikaner (und 16 Deutsche) ihr
Leben verloren.

Patrick Kupper schrieb dazu: „Außerhalb Europas oktroyierten die
Kolonialherren Umsiedlungen und Nutzungseinschränkungen, wobei das Schicksal
der Lokalbevölkerung davon abhängen konnte, ob sie von den Parkplanern zur
Zivilisation oder zur Natur gezählt wurden – mit entsprechenden Erwartungen
an das Verhalten der zu ‚Naturvölkern‘ erklärten Gesellschaften.“[6] Wächter
hingegen konzentrierte seine Betrachtungen auf die Auswirkungen der Jagd auf
den Wildbestand und resümierte im Abschnitt „Jagd für die Eigenversorgung“
bezüglich der „Afrikaner“, dass „durch die Einführung von Feuerwaffen das
bis dahin vermutete Gleichgewicht zwischen Jägern und Wildtieren empfindlich
gestört wurde“, während er den Europäern neutral bescheinigte, dass sie sich
der Jagd für die eigene Versorgung bedienten.[7]

Bewohner raus, Touristen rein

Die von Kupper beschriebene „sozialdarwinistisch imprägnierte Weltsicht“
hatte ihren Fortbestand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So
durften auch in dem von den britischen Kolonialherren eingerichteten
Serengeti-Nationalpark ab 1955 nur noch jene Menschen bleiben, die bereit
waren, „primitiv“ zu leben. Wörtlich wurde von der damaligen Leitung
formuliert, dass der Park „als natürlicher Lebensraum für Wild und Menschen
in ihrem primitiven Zustand reserviert“ sei. Für die Naturschützer waren die
im Park lebenden Massai koloniales Eigentum und so als „Teil der Fauna“
schützenswert.

Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurden die Regierungseliten der
afrikanischen Länder bald zum wichtigen Ziel für die westliche
Naturschutzlobby. Im Ergebnis dieser Aktivitäten dürften allein in Afrika
bis zum Ende des 20. Jahrhunderts 14 Millionen Menschen im Namen des
Naturschutzes vertrieben worden sein. Das Schicksal der in Tansania lebenden
Massai ist ein eklatantes Beispiel. Im Jahr 1959 wurde der ursprünglich zum
Serengeti-Nationalpark gehörende Ngorongoro-Krater aus diesem ausgegliedert
und den Massai als Reservat zugewiesen. Die gesamte in der Serengeti
beheimatete Bevölkerung wurde kurzerhand in das erheblich kleinere Gebiet
des Ngorongoro-Kraters umgesiedelt. Doch die Disneyfizierung der
afrikanischen Savannen nahm ihren Lauf – der Ngorongoro-Krater wurde in den
1970ern zum „Weltnaturerbe“ erklärt, und die 15 Jahre zuvor dorthin
verfrachteten Massai waren nicht mehr erwünscht. Zwischen 10.000 und 50.000
Menschen wurden gewaltsam vertrieben. Vor wenigen Wochen erschien die
Meldung, dass der Ngorongoro-Krater in Tansania Gefahr läuft, den Titel
„Weltnaturerbe“ aberkannt zu bekommen, falls menschliche Aktivitäten das
ökologische Gleichgewicht weiterhin gefährden sollten. Im Laufe der letzten
Jahrzehnte sickerten die Massai „illegal“ in das umstrittene Gebiet zurück.
Inzwischen leben im Krater und den angrenzenden Gebieten 65.000 Menschen.
Zur Debatte steht nun ihre erneute Zwangsumsiedlung. Shamsa Mwangunga,
Tansanias Tourismusministerin, sorgt sich, dass „kein Tourist mehr
hierherkommt“, wenn die UNESCO das Naturschutzgebiet erst einmal von der
Weltnaturerbe-Liste streicht. Die ökologischen Auswirkungen der jährlich
über 400.000 Touristen, die in täglich bis zu 400 Geländewagen durch den
Krater gekarrt werden, sind nicht Gegenstand der Sorge. Die
Auslandsverschuldung des Landes, die bei sieben Milliarden US-Dollar liegt
(Stand 2009), dürfte eine wichtige Rolle bei den Bemühungen spielen, die
Deviseneinnahmen aus dem Tourismus (insgesamt etwa 30 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes), nicht aufs Spiel zu setzen.

Marktvermittelter Umweltschutz

All diese Fakten belegen, dass die verbreitete Annahme, mit der Einrichtung
von Naturschutzgebieten würde „unberührte“, menschenleere Natur vor dem
Eindringen des Menschen geschützt, ein Trugschluss ist. In aller Regel
lebten dort Menschen, die klar definierbaren westlichen Interessen weichen
mussten. Während der Kolonialzeit, waren es Wildschutzgebiete, die
eingerichtet wurden, um den Massenabschlachtungen von Nashörnern, Elefanten
und anderen „Trophäenträgern“ Refugien entgegenzusetzen. In heutiger Zeit
werden Menschen aus den designierten Biosphärenreservaten und Nationalparks
gewaltsam entfernt, weil es die Zwänge des „freien“ Marktes erfordern:
Schutzgebiete im Süden werden als Ausgleichsflächen für die globale profit-
und wachstumsbedingte Naturzerstörung benötigt. Zugleich unterliegt der
moderne Naturschutz vielfach dem grundsätzlichen Dogma des Neoliberalismus –
der Markt soll es regeln.

Selbst das dafür getroffene völkerrechtliche Abkommen – die Konvention zum
Schutz der biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD)
folgt dieser Lesart. Nach Ansicht der Anthropologin Cori Hayden von der
Universität Berkeley, Kalifornien, „fördert und billigt (die CBD) explizit
eine marktvermittelte Vision von Biodiversitätsschutz. Die Konvention baut
buchstäblich auf die Life-Science-Industrie und den immer breiteren Umfang
an Patenten auf Lebensformen als Zugpferde, um der Biodiversität ‚Wert‘ zu
verleihen. Naturschutz wird somit unersetzlich für eine Vision von
nachhaltiger Entwicklung, bei der biologische Vielfalt als eine produktive
Ressource betrachtet wird, die ’sich selbst bezahlt‘. (…) Die CBD liefert
den Ländern des Südens Anreize dafür, ihre Wälder lieber zu schützen als sie
abzuholzen. Aus dieser Perspektive ist (dieses) Abkommen kein Mechanismus
zur Förderung sozialer Gerechtigkeit, sondern es wurde in erster Linie als
Anreizstruktur geschaffen.“ Im Ergebnis dessen befindet sich die lokale
Bevölkerung in vielen Ländern des Südens nunmehr in der Zange zwischen
Naturschutzgebieten, Baum- und Energiepflanzenplantagen sowie großflächig
aufgekauften Ländereien, die von Investoren mit industriemäßigen Methoden
bewirtschaftet werden. Mit anderen Worten, für Wanderfeldbauern, Hirten und
Waldbewohner ist kein Platz mehr in der schönen neuen Welt.

Anmerkungen

[1] Für den „zu Nutz und Frommen des Volkes“ geschaffenen Yellowstone
Nationalpark schlossen die US-Biotechfirma Diversa und der US National Parks
Service im August 1997 in aller Stille ein Abkommen, in dem der Firma die
geistigen Eigentumsrechte an den hitzestabilen Mikroorganismen der Geysire
übertragen wurden. Nachdem dieser Fall von Biopiraterie öffentlich bekannt
geworden war, wurde der Bioprospektionsvertrag im März 1999 durch ein
US-Gericht annulliert.

[2] Patrick Kupper: Nationalparks in der europäischen Geschichte, 2008:
http://www.europa.clio-online.de/2008/Article=330

[3] Die Wissmannstraße. Erinnerung auf der Probe. Protokoll eines
Podiumsgesprächs am 6.12.2006

[4] www.cic-wildlife.de/index.php?option=com_content&view=article&id=58: gedenk

[5] Kupper, a.a.O.

[6] Ebd.

[7] H. Jürgen Wächter, Naturschutz in den deutschen Kolonien in Afrika (1884–1918), Berlin 2008, S. 23f.

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