vonEva C. Schweitzer 23.10.2009

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Wer glaubt, in Deutschland werde ein bisschen zu eifrig die Nazikeule geschwungen, der sollte sich mal in Amerika umschauen. J. J. Goldberg, Kolumnist der jüdischen Wochenzeitung Forward aus New York hat in dieser Woche ein paar Beispiele zusammengetragen, die einem die Nackenhaare so aufstehen lassen wie sonst nur der rechte Arm – na, lassen wir das Metaphernklavier mal im Stall.

Der neueste Aufreger geht auf Richard Land zurück, der Präsident der Southern Baptist Ethics and Liberty Commission; Southern Baptist sind eine in den USA sehr einflussreiche Freikirche, deren Mitglieder meistenteils weiße Südstaatler sind. Land wollte den “Josef-Mengele-Award” an Ezekiel Emanuel geben, den Berater von US-Präsident Barack Obama in Fragen der Gesundheitsreform und der Bruder von Obamas Stabschef Rahm Emanuel. Emanuel ist jüdischen Glaubens und hat die amerikanische und die israelische Staatsbürgerschaft (ähnliche Beschimpfungen bekam auch Barney Frank ab, ein liberaler, jüdischer, offen schwuler Kongressabgeordneter).

Das führt uns zu der Frage: Wie kriegt man einen Job im Weißen Haus? Muss man der Bruder von einem Oberbürokraten sein? Gleichviel, hier geht es nicht darum, sondern um die Nazikeule. Die wird in den USA, anders als in Deutschland, vornehmlich von Rechten geschwungen: Unter anderem von dem rechtsradikalen Radiotalker Rush Limbaugh, der in Obamas Gesundheitsreformlogo ein Nazisymbol erkannte, der konservativen Laura Schlessinger, die Kindergärten für eine Nazitaktik hält und der ultrakonservative Stratege Grover Norquist, der die Immobiliensteuern für eine Ausgeburt der Nazihölle hält.

Richard Land, immerhin, ließ sich zur Ordnung rufen, und zwar von Abraham Foxman, dem umtriebigen Direktor der Anti-Defamation-League, der ihm mitteilte, so etwas beleidige die sechs Millionen Toten des Holocaust. Land ruderte hurtig zurück und entschuldigte sich. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Southern Baptists als pro-zionistisch begreifen, weil sie darauf warten, dass Armageddon kommt und sich der Christ und der Antichrist auf israelischen Boden bekämpfen und das Ende aller Zeiten einläuten. Rush hingegen, ein Sünder und Säufer alter Schule, entschuldigte sich natürlich nicht.

Meistens wird die Nazikeule allerdings von amerikanischen Juden gebraucht, die damit aufeinander einschlagen, meistenteil geht es dabei um die israelische Besatzung der Westbank und deren Folgen. So verglich Emanuel Winston in der Jewish Press in Chicago die Parteien Kadima und Labor mit dem kollaborativen “Judenrat” unter den Nazis, nannte Ariel Scharons Rückzug aus Gaza ein Aktion wie von Hitlers SS, meinte, das Pentagon benehme sich wie die Nazis, und Bushs Road Map erinnere ihn an die “Endlösung der Judenfrage”. Wohlgemerkt, auch hier handelt es sich um Kritik von rechts, nicht von links.

Was lernen wir daraus? Nazis sind linke schwarze homosexuelle Juden, die für eine Krankenversicherung eintreten und gegen eine illegale postkoloniale Besatzung. Vielleicht sollte man Stephan Kramer nach Chicago schicken. Dort hätte er noch richtig was zu tun.

Eva C. Schweitzer, Manhattan  Moments. Geschichten aus New York, erschienen bei Droemer-Knaur, Juni 2009, Taschenbuch, 9,95 €

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/nazis_brust_oder_keule/

aktuell auf taz.de

kommentare