Die Literatur von und über den 68jährigen Künstler Hermann Nitsch und seine Orgien Mysterien Theater umfasst inzwischen ein paar hundert Bücher und Kataloge. Zwei Tendenzen sind in den jüngeren und jüngsten Veröffentlichungen klar auszumachen: 1. Nachlässige graphische Gestaltung und ein teils haarsträubender Umgang mit dem Bildmaterial. 2. Die explodierende Eitelkeit von Autoren, die vor die Leserschaft hintreten, um von einem Lebenswerk zu berichten.
DER MUSEUMSKATALOG
Auf den Sündenfall befriedigter Eitelkeiten im Burgtheater-Buch 2006 folgt der 258 Seiten starke Katalog des Hermann Nitsch Museums in Mistelbach. Als Mitherausgeber zeichnet der Gründungsdirektor des Hauses, Wolfgang DENK. Mehrere Leihgaben und ein überlanger Textbeiträge stammen von diesem Spiritus rector der NÖ-Kulturszene (Denk plante und gründete auch die Kunsthalle Krems und die Susanne Wenger Stiftung).
Zu Kunst des Hermann Nitsch hat Wolfgang Denk wenig zu sagen, dennoch kommt das Wenige in breiten Schritten daher. So behauptet er zum Beispiel Nitsch plädiere für eine Kunst, die aus dem Ländlichen in die Städte wirkt, und nicht umgekehrt – eine unhaltbare These.
Daneben erfährt man bei der Lektüre vieles, was man nie wissen wollte: … dass Denk in seiner Jugend auf der Suche nach »Weltschöpfern« war, … dass Denkt mit dem Renault 4 von den schottischen Steinkreisen zur dokumenta 5 nach Kassel gefahren ist, … dass Denk und seine Frau ungewaschen zur Eröffnung dieser Kunstschau erschienen, und ähnlich Weltbewegendens mehr.
Die Zusammenstellung des Bildmaterials in dem neuen Katalog wird selbst der einfältigste Laie nicht mehr als gelungen bezeichnen. Zwar gibt es gelungene Strecken mit Aktionsfotografie, aber dazwischen auch Grossaufnahmen von Prominenten mit rotgeblitzten Augen, läppische PR-Inszenierungen auf der Baustelle des Museums, idyllische Landschaften des Weinviertels und unscharf gedruckte Kugelschreiberzeichnungen.
Die graphische Gestaltung von Heinz Cibulka bleibt in jeder Hinsicht unentschieden. Sie mäandert grausam hin und her zwischen einem Gebrauchsfolder von Architekten, bewährten Nitschkatalogen und der Anmutung privater Fotoaalben. Die Bildnachweise sind mangelhaft, kurz: Hier haben zuviele Köche am Brei gemischt, er ist ungeniessbar geworden.
Katalog Museum Hermann Nitsch, Hg. MZM Museumszentrum Mistelbach u. Wolfgang Denk, Ostfildern: Hatje Cantz 2007, 265 Seiten, ISBN 978-3-7757-2012-0, EUR 39,90
DER HAUSKRITIKER
Wieland Schmied, der sich gerne als »Anwalt der Künstler« sieht, hat in seinem schmalen Textband mit dem Titel Nicht nur Farbe sondern auch Blut 14 Beiträge aus 18 Jahren versammelt. Das drucktechnisch solide Buch enthält auf der Doppelseite 58/59 gleich zwei falsche Jahreszahlen und auf den restlichen Seiten zirka zehn Gedanken, die bereits hundert Mal durch die Nitsch-Literatur gegeistert sind sowie 15 Schwarzweiss-Fotografien, von denen ein Drittel den Autor mit dem »Meister« posierend zeigen.
Immerhin ist das ein Buch zum Lesen, eines das sich wortreich an den Verstand des Lesers wendet und affektiven Werten misstraut. Im seinen Überlegungen und Thesen freilich entfernt sich der Hauskritiker und beliebte Eröffnungsredner selten weiter als ein Pinselhaar von der Tube. Stets interpretiert er das O.M. Theater wie es Hermann Nitsch vorgegeben hat.
Das Lob auf den »Meister« führt häufig geräuschvoll ins Romantische. Schmied sieht den Künstler in seinen Träumen schwarz, in schwarzem Gewand gekleidet, das Universum umarmend auf dem Dachgiebel seines Schlosses stehen. Auf Seite 38 beschreibt er seinen Mandanten als »eigenartige Mischung aus dem sagenumwobenen König Artus und einem behäbig gewordenen, weissbärtigen Rabbi«. Im O.M. Theater gehe es – wie in jeder Stillgruppe von jungen Müttern – darum, die »eigenen Empfindungen zu erkunden und zu begreifen«.
Wenn man von solchen Plattheiten absieht, taugt das Buch immer noch als Einstieg in die Künstlerphilosophie. Schmied bietet gute Erklärungen für den Nietzscheanismus oder den Namen des O.M. Theaters an, er weiss Kluges zu diesem und jenem zu sagen, zeigt Parallelen zu Joseph Beuys auf, beschreibt Schloss Prinzendorf als ländliches Welttheater eines »Weltenschöpfers im kleinen«. Wir erfahren etwas über Blut und Spiritualität und sitzen am Ende mit der Frage da, ob nicht doch der Blasphemiker der bessere Christ ist.
In einem Punkt aber haut Wieland Schmied kräftig daneben. Dann nämlich, wenn er Nitsch einen Bejaher von Schuld nennt (Seite 44). Immer hat Nitsch betont, dass das künstlerische Bemühen Form der Moral nicht verpflichtet sei. Als Denker lehnt das Konzept einer existenziellen Schuld eindeutig ab. »Mit dem christlichen Mythos träumt etwas in uns, einen Gott zu töten. Gleichzeitig wird für diesen Traum Schuld empfunden«, betonte Nitsch etwa 2004. Die zwiespältige Haltung des Christentums ist gerade sein Motiv, diese Religion im Kern in Frage zu stellen.
Aber so ist das nun mal mit Interpreten! Während der Künstler im Keller fröhlich die nächste Flasche entkorkt, sinniert der Hauskritiker über allerlei Höheres in der Hauskapelle. Und Schmied konstuiert dabei sogar das Fantasma einer »Theodizee ohne Gott«.
Wieland Schmied: Nicht nur Farbe sondern auch Blut. Über Hermann Nitsch – Vierzehn Versuche aus 18 Jahren, 103 Seiten, ISBN 978-3-85252-792-5, Weitra: Bibliothek der Provinz 2007, EUR 24,-
© Wolfgang Koch 2007
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