vondorothea hahn 23.11.2009

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La Poste hat schon wieder neue Möbel.

Nach Blau und Gelb ist die Grundfarbe dieses Mal Cremeweiß. Statt der langen Reihe von Schaltern, die wie eine Barrikade quer durch die große Halle ging, sind brusthohe, rundliche Tische über den Raum verteilt worden. Auch die serpentinenförmige Wartenschlage ist verschwunden. Stattdessen bilden sich jetzt  mehrere kleine Schlangen. Sie führen zu den cremeweißen Tischen. Hinter jedem steht ein Postler. Weit weg von seinen Kollegen. Allein gegenüber dem Andrang der Kunden.

Als ich nach Frankreich kam, hießen die Kunden bei der Post noch „utilisateurs“ – Nutzer.  „Effizienz“ und „Rentabilität“ waren noch nicht die Hauptkriterien. Die Post hatte das Monopol für Briefe und Päckchen. Die citoyens hatten Postbüros in Reichweite. Und  die Beschäftigten verfügte über sichere Jobs. Das zählte.

Besonders in den kleineren der 36.000 französischen Gemeinden stand die Post im Mittelpunkt. Sie war nicht nur ein Unternehmen. Sondern repräsentierte zugleich eine Idee von égalite, die aus der Revolution stammt. Wie das Rathaus, die Trikolore-Fahne, das Totendenkmal, das Finanzamt und die Dorfschule war die Post eine Garantie dafür, dass die Republik für jeden Bürger gleich sorgt. Ganz egal, ob er auf einem einsamen Bergbauernhof, in einer verarmten Banlieue oder in einem schicken Haussmann-Bau im Herzen von Paris wohnt.

Fünfzehn Jahre später gibt es in Frankreich nur noch 17.000 Postbüros. Davon 6.000 in den großen Städten. Der Beamtenstatus ist ein Auslaufmodell. Und die kleinen Gemeinden haben den Kampf um ihren Mittelpunkt längst verloren.

Noch häufiger als ihr Mobiliar und ihr Logo hat die Post unterwegs ihr Statut verändert. Anfang nächsten Jahres geht ihre Privatisierung in eine neue Phase. Obwohl mehrere Million Franzosen bei einer Befragung „non“ gesagt haben, wird sie dann eine Aktiengesellschaft. Oder, um es mit den Worten des Industrieminister zu sagen: ein „modernes Unternehmen“. Gewappnet für die globale Konkurrenz.

Schon seit einigen Jahren gilt bei La Poste die neue Regel: möglichst viel Umsatz in möglichst kurzer Zeit machen. In der Personalakte jedes Beschäftigten steht, wie erfolgreich er dabei ist.

Wer früher in Paris einen Brief aufgab, konnte ich sicher sein, dass der Postbeamte die preisgünstigste und schnellste Variante heraussuchen würde. Berufsehre. Inzwischen muss man im Postbüro aufpassen, nicht über den Tisch gezogen zu werden: mit  einem Aufpreis für eine schnellere Zustellung oder mit einer Versicherung, damit der Brief nicht verloren geht.

Um ihre Postbüros zu behalten, haben sich ganze Dörfer zum symbolischen Sterben auf den Asphalt gelegt. Sind zum Demonstrieren nach Paris gefahren. Und haben bei Wahlen die Stimmabgabe verweigert.

Im Winter 1995, als das Land drei Wochen lang bestreikt wurde, waren die Postler in der ersten Linie dabei. Damals erlebte ich selbstbewusste Beamte, die stolz auf ihre Institution waren und von Gemeinwohl sprachen. An der Fassade des Postbüros in meinem Pariser Quartier hingen Flugblätter, die über die Gefahren der EU-Politik sprachen für die öffentlichen Dienste und die Sozialversicherungssymsteme aufklärten. Noch Wochen später gab es an den Postschaltern politische Diskussionen über Sinn und Unsinn von Konkurrenz bei der Briefbeförderung. Die Postler waren kämpferisch.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragt mich ein Postler, der einen ovalen cremeweißen Sticker auf dem Revers trägt. „Bienvenue“ steht darauf. Er geleitet mich an seinen Schalter, der an einen Steh-Tisch in einer Bar erinnert. Fertigt meinen Brief ab. Übergeht meine Frage, wie er das neue Mobiliar findet, mit einem höflichen Lächeln.  Sagt: „Wir gehen jetzt auf unsere Kunden zu.“ Und verabschiedet sich mit einem Satz, den ich in Frankreich immer häufiger höre: „Ich hoffe, Sie sind mit unserer Dienstleistung zufrieden“.

Wenige Stunden vorher – vor der Öffnung – haben die Chefs meines Postbüros im Osten von Paris mehrere Gewerkschafter auf die Straße gedrängt. Die Gewerkschafter waren in die große Schalterhalle gekommen, um mit ihren Kollegen über die Arbeitsbedingungen an den neuen cremeweißen Stehschaltern und über die kommende Aktiengesellschaft zu diskutieren. Die Chefs notierten auch, welche Postler sich den Gewerkschaftern näherten.

So etwas paßt nicht mehr zu dem neuen Mobiliar. In einem modernen Unternehmen gehört die  Demokratie nicht in die Schalterhalle. Sie gehört auf das Trottoir.

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