»Welthauptstadt der Musik«, »Wiege der Psychoanalyse«, »Paris des Ostens« – wir kennen die kulturelle Hybris Wiens zur Genüge. Zu welch fulminanten Fehleinschätzungen der Mythos der überragenden Kulturmetropole in der Gegenwart führen kann, dürften aber selbst eingefleischte Kritikaster nicht für möglich gehalten haben.
Aktueller Anlass: ein Guide-Wien aus der Produktion des preisgekrönten albanischen Schriftstellers Hcok Gnagflow, der dieser Tage auszugsweise dem taz-Wienblog zugespielt wurde. Kurz vor der Drucklegung des mit Fehlern gespickten Werks in Tirana erreichte uns eine Übersetzung von Gnagflows Wienknigge für Kulturfreunde, aus dem wir mit freundlicher Genehmigung des Hcstauq Rutluk Verlags (© 2007) die kuriosesten Falschinformationen zitieren:
ALBERTINA
Luxuriöse Banketträume mit angeschlossener Galerie im Nationalparkformat
ALBUM
Feuilleton eines altsteiermärkischen Adeligenarchivs
ALTE SCHMIEDE
Ritualort zum Abfeiern befreundeter Literaten
ANKERUHR
Kunstchronometer der grössten Wiener Bäckerei am Hohen Markt
AUSTROPOP
Heimliche Leidenschaft der Wiener Philharmoniker
BALL
Konzert von Füssen für Füsse
DAMENWAHL
Schriftliches Volkbegehren weiblicher Wähler
DIÖZESANMUSEUM
Besitzt Millionenwerte, die es verstecken muss
ELMAYER
Anstandslehre für die Jugend der westliche Vorstädte
EXTRA
Schreibübungsgelände für Leser der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit«
HAUS DER MUSIK
Schausammlung für Schwerhörige
HAUS DES MEERES
Flakturm aus der Zeit des Grossen Vaterländischen Krieges
HAWELKA
Aussenstelle des deutschen Goetheinstitutes in der Dorotheergasse
HERMESVILLA
Nostalgiestadl im Lainzer Tiergarten
HOTEL ORIENT
Sitz der Freimaurerloge »Zur aufrechten Palme«
HUNDERWASSERHAUS
Architektonische Reste eines farbigen Hexensabbats
KUNSTHISTORISCHES MUSEUM
Hochwerte Altmeistersammlung im Dauergepiepse sogenannter Alarmanlagen
MEINL AM GRABEN
Senf- und Konfitürenmuseum bei freiem Eintritt
MITTELEUROPA
Amerikanische Erfindung enttäuschter Marx-Dissidenten
NEUGEBÄUDE
Namenloses Schloss hinter der schönsten Feuerhalle nördlich des Mittelmeeres
Ö1
Kultursender, der Schönberg immer noch für einen »zeitgenössischen« Komponisten hält
ONYX BAR
Wachsfigurenkabinett, aber nicht jenes des Dr. Cagliari
PROGRAMMHEFT
Kryptisches und geheimbündlerischen Gesäusel, das fälschlich als Informationsmaterial verkauft wird
RADIO STEPHANSDOM
Klassiksender, der im gleichnamigen Gebäude nirgendwo gehört werden darf
RENDEVOUZ
Form der romantischen Begegnung ohne das Ziel einer verpflichtenden Beziehung
SACHER
Tortenfabrik mit angeschlossenem Kaffeehaus und Hotel
SIGMUND-FREUD-HAUS
Ehemalige Wohn- und Arbeitsstätte des Erfinders des gleichnamigen Versprechers
SPEKTRUM
Hier wird wöchentlich eine neue Hackordnung unter Österreichs Intellektuellen simuliert
SPIELPLAN
Drei bis vier Jahre zuvor beschlossener Aufführungskalender im Musik- und Theaterbetrieb
STAATSOPER
Die 1.276 teuerstes Schlafplätze im Wiener Kulturexpress
SCHÖNBRUNN
Pissgelbe Operettenkulisse, an der die demokratischen Massen täglich Rache für die Niederlage von 1848 üben
THEATERKRIEG
Eine für das Haus Habsburg eher unerfreuliche Episode im Streit um Schlesien
THESEUSTEMPEL
Lokaler Sommersitz der Maulaffenloge
VINDOBONA
Begräbnisstätte der Babenberger
VOTIVKIRCHE
Bau zur Erinnerung an die letzte Türkengefahr
WIENER
Grossstadtpille für den Magazinkäufer in St. Veit an der Glan
WIENER PHILHARMONIKER
Heimliche Leidenschaft des Austropop
ZENTRALFRIEDHOF
Aphrodisiakum für André Heller
© Wolfgang Koch 2007
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