vonHelmut Höge 07.01.2009

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…So hießen en bloc die Kommunen und Kollektive, die sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts in Amerika gründeten. Es war darüber schon an anderer Stelle die Rede.

Mit der Beatnik-, Hippie- und Studentenbewegung ab den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts entstanden erneut viele Kollektive, Cooperatives und (Land-)Kommunen. In den Achtzigerjahren formierten sich die Reste davon zur „New Age-“ und „Ökologie-Bewegung“ um, es stießen neue Intellektuelle dazu.

Was ist daraus inzwischen geworden? Das wollten Barbara und Gunter Hamburger-Langer aus Konstanz wissen. Die Diplompsychologin leitet seit 20 Jahren „Visionssuchegruppen“ und ihr Mann, Geschäftsführer des Diakonischen Werks in Konstanz, mindestens ebenso lange „Open Space Konferenzen“. Knapp ein Jahr waren die beiden unterwegs. Anschließend veröffentlichten sie ihre „Weltreise auf der Suche nach Samen für die Zukunft“ als Buch: „Ein Stern sei mein Wagenlenker – Eine Weltreise auf der Suche nach Samen für die Zukunft“, Edition Octopus, Münster 2008.

Als erstes besuchten sie ein Camp von Regenwaldaktivisten (forest defenders) und die Hippiestadt Nimbim in Australien. Jedes ihrer Reise-Kapitel schließt mit einem Interview ab. Hier ist es eins mit John Seed vom „Rainforest Information Center“. Er hat eine typische New Age-„Karriere“  hinter sich: Tune-In – erst Studium, dann Job bei IBM; Turn-On – mit LSD „die Augen öffnen“, sich für Buddhismus interessieren; Drop-Out – „Meditationsretreats in Indien und Nepal“, sich mit „Ökologie“ befassen, in eine Landkommune ziehen und Biogemüse anbauen.

Als Baumschützer begeistert er sich derzeit für die Gaia-Hypothese. Er nennt das „Hitch your wagon on a star“ – andere Visionen brauche er nicht. Die Gaia-Hypothese des Geophysiologen James Lovelock besagt, dass die Erde und ihre Atmosphäre ein einziger Organismus ist. Anfang November  führte darüber die amerikanische Mikrobiologin und Symbioseforscherin Lynn Margulis im Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Näheres aus. Das Ehepaar Hamburger-Langer nahm bereits bei Brisbane an einem Gaia-Workshop teil. Außerdem  besuchte es ein  Uni-Seminar von Ureinwohnern Australiens über „Aboriginal Studies“. Das anschließende Interview mit einem der Dozenten drehte sich um die „Bedeutung des Wissens der First People“ und um deren „Zukunftsvisionen“.  Dann ging es weiter nach Perth in Westaustralien, wo sie Jo Vallentine interviewten. Von Petra Kelly agitiert hatte diese in Westaustralien eine Grüne Partei gegründet, 1992 beendete sie jedoch ihre Parlamentsarbeit und ist nun wieder als Umweltaktivistin unterwegs. „Mein Engagement kommt direkt aus meinem Herzen,“ sagt sie. So reden „New Age-People“. Es klingt immer ein bißchen wie schwäbischer Protestantismus. Und tatsächlich macht das Ehepaar Hamburger-Langer auch keinen großen Unterschied: zwischen religiösen (Quäker-)Aktivitäten, Friedensgruppen, Öko-Aktivisten, Indigenem Culturalism, Vegetarismus, Universitätsseminaren, Meditationsübungen, Riten des Übergangs für Trauernde und semiöffentlichem „Breast-Feeding“, das sich in Australien als ein „unter jungen Frauen verbreitetes Thema“ erwies.

Auf Hawaii besuchten sie ein „Bildungszentrum für gewaltlosen Widerstand“. Dort organisiert man seit dem 11.9. „Friedensmahnwachen“, an denen sich auch Ureinwohner und Mitglieder einer Bibelrunde beteiligen.

In Kanada traf das Ehepaar sich dann mit einem Psychologen am „Yukon Hospice Center“: Er ist Sterbebegleiter für an unheilbaren Krankheiten leidende Ureinwohner. Anschließend besuchte das Ehepaar das „Yukon College“, eine Ausbildungsstätte für die Ureinwohner und fragten  eine als Bibliothekarin tätige Angehörige des „Raven“-Clan der Nacho Nyak Dun First Nations People über die „Mythologie des Yukon“ aus. Daneben nahmen sie an einem Seminar über die schädlichen Folgen von Alkoholgenuss bei schwangeren Müttern teil, das besonders die Ureinwohner aufklären soll.

Weiter ging es nach Kalifornien. Dort trafen sie eine Dozentin, die Seminare über „offene Systeme“ abhält und „Schritte zum holonischen Wandel“ entwirft. In ihrer Arbeit, so sagte diese, gehe es um die „Veränderung vom Ego-Selbst zum Öko-Selbst“. Ansonsten sieht sie seit der Verabschiedung des „Patriot Acts“ die USA langsam faschistisch werden. In Oakland besuchte das Ehepaar die private „Universität für Schöpfungsspiritualität“ von Matthew Fox, wo der anglikanische  Bischof ebenso wie der Botaniker Rupert Sheldrake lehren. Letzterer versucht seit 1973  die vom russischen Biologen Alexander Gurwitsch aufgestellte Hypothese der morphischen Felder mit  Medienexperimenten zu verifizieren. Laut Sheldrake bestehen die formbildenden Kräfte nicht aus Chromosomen oder Genen, sondern aus einem masselosen Feld – in das wir uns einem Radio ähnlich eintunen, damit ein Mensch, und nicht z.B. ein Esel  aus unserem Keim wird. Sheldrake gehört zum Kern der kalifornischen New Age-Scene, die sich in den Achtzigerjahren u.a. in Esalen und in der Ojai-Foundation  versammelte.

In San Rafael trafen Hamburger-Langer auf Ralph Gunter Metzner, dessen Bücher der taz-blogwart Mathias Broeckers ins Deutsche übersetzt. Der Harvard-Psychologe unternahm einst mit Timothy Leary und Richard Alpert LSD-Experimente – bis man sie von der Uni schmiß. Heute ist er Dozent am „California Institute for Integral Studies“ (CIIS). Als Gründer der „Green Earth Foundation“ will er „die Beziehungen zwischen Mensch und Natur heilen.“ Die Amis müssen immer gleich die ganze Welt retten – unter dem tun sie es nicht! Dabei ist Metzner z.B. in seinem demnächst auf Deutsch erscheinenden Buch über „Krieg und Herrschaft“ alles andere als optimistisch. In seiner US-anthropologischen Sichtweise zieht er Hoffnung allenfalls noch aus gewissen Affenforschungen: z.B. die des Kaliforniers Robert Zapolsky, der in Uganda Paviane erforschte, die nach dem plötzlichen Tod des ranghöchsten Männchens diesen Rang in ihrer Horde einfach nicht mehr besetzten – und fortan quasi führerlos, dafür aber um so fröhlicher weiterlebten. Als das Naturschutzgebiet und mit ihm die autonome Pavianhorde zerstört wurde, gab er seine Affenforschung auf. Statt weiter positiv zu denken beschäftigt er sich nun u.a. mit Depressionen. In seinem Buch „Warum Zebras keine Magengeschwüre bekommen“ schreibt er: „Vereinfacht dargestellt können Sie sich das Auftreten einer Depression wie folgt vorstellen: Ihr Stammhirn entwickelt einen abstrakten negativen Gedanken und schafft es, den Rest des Gehirns davon zu überzeugen, dass er wirklich ist wie ein realer Stressfaktor.“ Dass es der Zustand der Welt ist, der uns deprimiert, darauf will er sich in seinem Amimaterialismus nicht einlassen.  Über nicht von einem ranghöchsten Männchen dominierte Pavianhorden forschte im übrigen auch jahrzehntelang der Zürcher Biologe Hans Kummer – in Äthiopien. Über eine andere Variante herrschaftsfreier Affenhorden referierte 1992 ein US-Biologe auf dem internationalen Primatenkongreß in Torremolinos: Er hatte den Kot einer  Gruppe Kapuzineraffen genetisch untersucht – und dabei festgestellt, dass kein einziges Junges vom ranghöchsten Männchen abstammte –  obwohl dieser quasi die alleinige Vaterschaft in der Gruppe beanspruchte.

Neben solchen Affenforschungen kann sich Metzner auch noch an einem Radiosender in San Francisco erfreuen, „der jeden Morgen nur gute Nachrichten verbreitet“. Ansonsten hat er jedoch das Gefühl, in einer Zeit „wachsenden Faschismus und Imperialismus“ zu leben. Nach Metzner interviewte das Ehepaar den Afrikaner Mutombo Mpanya, den es bereits 1996 in einem Seminar am „Institute for Deep Ecology“ in Seattle kennenlernte. Er meint, „Afrika ist vollkommen im Privatbesitz der westlichen Welt“ und „die Bekehrung der Menschen zum Christentum in den sogenannten ‚primitiven Gesellschaften‘ schuf ein isoliertes und individualistisches Bewußtsein.“ Dieses macht Mpanya für die meisten, wenn nicht alle Übel der Welt verantwortlich.

In Oakland sprach das Ehepaar mit Marshall Rosenberg, den Gründer des „International Center for Non-violent Communication“. Die im Center gelehrte „mitfühlende Sprache“ lasse sich auch mißbrauchen, meint Rosenberg – und erwähnte einen seiner Studenten, der später sehr erfolgreich selber „gewaltlose Kommunikation“ lehrte – und zwar in einem Unternehmen, das die Mitarbeiter daran hindern wollte, Gewerkschaften zu gründen. Für Visionssuche-Gruppenleiter wie die Hamburger-Langers war ein Besuch im kalifornischen „Vision Valley“ natürlich Pflicht. Anschließend besuchten sie den im Sterben liegenden Weltverbesserer Steven Foster. Mit ihm führten sie ein Interview an der „School of Lost Borders“, wo u.a. „Vision Fast“-Kurse stattfinden. Für Foster ist „eine Vision kein Luftschloss, keine Täuschung – sie ist eher etwas ganz Praktisches – das getan wird.“ Zwischendurch besuchte das Ehepaar noch jemanden, der kirchliche Messen mit Technomusik veranstaltet und Exstacy zu therapeutischen Zwecken verwendet.

Ich fragte mich nach dieser langen Visionssuche, warum die Autoren unbedingt und ständig von „Visionen“ sprechen (müssen) – von Halluzinationen also? Wo wir doch seit Platon, Morus und Fourier das schöne Wort „Utopie“ haben – für einen Ort, den es (noch) nicht gibt. Wobei uns seit Foucault die „Atopie“ sogar noch lieber ist – also etwas, das keinen Ort hat. Und da soll es auch bleiben. Besteht nicht das ganze Elend der Welt derzeit vor allem darin, dass hier permanent irgendwelche US-Super-Visionen in die Wirklichkeit eingebildet werden?

Der Schluß des Buches von Barbara Langer und Gunter Hamburger versöhnte mich wieder etwas mit ihrem dicken Buch: „Ursprünglich hatten wir geplant, zwei Wochen länger im Suskwa Valley zu bleiben, aber der bevorstehende Tod unserer Hündin Ora läßt uns früher abreisen. Der Abschied von liebgewonnenen Freunden fällt schwer. Gemeinsam tanzen wir noch einmal den Ulmentanz – auch für Ora.“

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