Von Jaisha Laduch
„Wir werden nie darüber twittern, wie schön der Regenbogen nach einem Platzregen ist… oder wie lecker der Kaffee heute schmeckt. Wir twittern Notrufe.“ Yoani Sánchez, Bloggerin aus Kuba, beginnt „ihre virtuelle Grußbotschaft“ mit den Worten: „Ich bin hier und ihr seid dort“. Es ist das erste Mal, dass ich an diesem Abend eine Gänsehaut bekomme.
„Nicht hier sein können….“ – mit diesen Worten leitet Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, die Auftaktdiskussion „Hier spricht die Revolution“ ein, die an diesem Wochenende auf dem Berliner Medienkongress „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ stattfindet. Die Bühne im Auditorium im „Haus der Kulturen der Welt“ ist besetzt mit zwei Frauen und drei Männern, aus dem Irak, Ägypten, Deutschland, Tunesien und Belarus. In der Mitte sitzt Moderatorin Ines Pohl.
Doch eine Person fehlt: Yoani Sánchez aus Kuba, seit zwei Jahren taz-Autorin und Begründerin des Blogs: www.desdecuba.com/generaciony. Sie kann nur multimedial dabei sein und wird am Ende der Diskussion via Video-Botschaft hinzugeschaltet. Vor unseren Augen verschwimmen die Grenzen zwischen online und offline. Und das ganz präsent.
Die Bevölkerung von Kuba hat eine Lücke im System gefunden, sie twittern via SMS, sie bloggen aus Internet-Cafés und den Lobbys internationaler Hotels. Die ständige technische Weiterentwicklung und das Finden von neuen technischen Möglichkeiten lassen eine alternative Blogosphäre in Mittel- und Südamerika entstehen.
Die Leinwand flackert unruhig. Scheinbar ebenso gespannt auf das was da kommen mag, wie das Publikum selbst. Lange, dunkle Haare säumen das Gesicht von Yoani Sánchez. Ihr Blick ist klar und direkt – sie hat eine ruhige, kraftvolle Stimme. Um den Hals trägt sie eine auffällige Kette mit einem einem großen Anhänger, der einem mythischen Amulett gleicht. Sie trägt ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt, ihre Arme liegen frei, ihre Haut ist gebräunt. Hinter ihr an der Wand hängt ein Plan, es könnte ein Stundenplan sein, daneben eine Pinnwand, an der sich bunte Notizen und Reißzwecken in das Kork pressen.
Würde man es nicht besser wissen, könnte man denken, man unterhalte sich via Skype mit einer jungen Grundschullehrerin, die gerade einen Ferienaufenthalt in Südamerika verbringt und von der tollen Zeit vor Ort berichtet. Ihre Ausstrahlung ist positiv und ihre Augen leuchten. Yoani sitzt vor ihrer Webcam und lächelt.
Aber die Situation ist eine andere. Yoani Sánchez, 35 – kann aufgrund von Ausreise-Restriktionen Kuba nicht verlassen und nicht am Medienkongress in Berlin teilnehmen. Später wird sie sich verabschieden und darauf hinweisen, dass der Schuss ihrer Regierung voll nach hinten losgegangen ist, denn die Unterstützung für die Freiheit der Gedanken und die freie Meinungsäußerung, wird durch solche Aktionen eher noch gestärkt. Ihre Aussage wird vom Publikum spontan mit Beifall beklatscht werden, eingesäumt von schrillen „Wohooos“, die stellvertretend für Umarmungen scheinen, die man der neuen Freundin aus Kuba, Yoani, am liebsten zukommen lassen möchte. Wäre da nicht der Bildschirm, der in diesem Moment die zwei Welten voneinander trennen wird und gleichzeitig zwei fremde Welten miteinander verbinden wird.
Die Stimme des Übersetzers ist wunderbar angenehm, fast möchte man sich hineinlegen und um dort einen entspannten Winterschlaf zu verbringen. Fernab von den ernsten Gedanken des Abends. Doch die Stimme von Yoani Sánchez, die in den Pausen in denen der Übersetzer Luft holt, zu uns hervordringt, lässt einen jeglichen Gedanken an einen traumlosen Schlaf vergessen.
Die junge Bloggerin spricht davon, dass sich die Bevölkerung Kubas in einer Glaskugel befindet. Jederzeit besteht die Gefahr, von „Bewachern“ entdeckt oder aufgegriffen zu werden. Laut Yoani Sánchez, können wir viel für Kuba und die alternative Blogosphäre dort tun: lesen, zitieren, zuhören und verlinken. Ein weiteres Mal an diesem Abend wird deutlich, dass das Internet, die Inhalte, die Leser… auch Schutzmöglichkeiten für die digitalen Freiheitskämpfer bergen kann – eine neue, andere Art von Sicherheit. Gesicht zeigen im Schutz der Menge.
Sánchez’ Äußerungen sind ein bisschen wie Balsam für die fast peinlich-berührte Seele eines Bewohners der deutschen Blogosphäre, der es vergleichsweise mit „Luxusproblemen“ wie dem „Causa Guttenberg“ oder der neu-aufblühenden Anti-AKW-Bewegung zu tun hat.
Im Gegensatz zu Evgeny Morozovs kritischen Äußerungen, gibt es also doch mehr, was die vernetze Blogosphäre zu leisten vermag, als bequemes Engagement ohne Auswirkungen auf die reale Welt.
Laut Morozov lässt sich eben dieses vermeintliche Engagement darauf reduzieren, das eigene Avatar in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter einem Anlass entsprechend zu verändern: eine Aids-Schleife am Welt-Aidstag, das Anti-AKW-Symbol in Zeiten in denen die Fukushima-Berichterstattung die Medien beherrscht oder aber eben auch ein ausgehöhlter Kürbis an Halloween. Die Möglichkeiten des digitalen Engegaments scheinen zunächst unendlich: Facebook-Gruppen werden gegründet und innerhalb weniger Stunden finden sich Zehntausende Unterstützer, für Guttenberg oder gegen das Festhalten an der Kernenergie. Petitionen werden unterzeichnet und oftmals ist dazu nicht mehr notwendig als ein Klick. Wie praktisch.
Aber starke Frauen an diesem Abend wie Lina ben Mhenni (Bloggerin aus Tunesien), Mona Seif (Aktivistin aus Ägypten) oder auch Yoani Sánchez berichten von anderen, echten Auswirkungen auf das reale Leben. Das Gesicht zeigen und die Stimme erheben – im Schutz der digitalen Masse.
Yoani ist sich sicher, das Bloggen hat Einfluss auf das wirkliche Leben. „Leute zwinkern mir auf offener Straße zu, als wollten sie mir sagen: ‚Ich bin auf deiner Seite’“. Allerdings gibt es sicherlich noch mehr Gründe, einer schönen und kraftvollen Frau wie Yoani Sànchez auf offener Straße zuzuzwinkern. Aber dieser Gedanke ist natürlich weniger revolutionär und mehr romantisch.
Durch das Netz bekommen die Kubaner die Möglichkeit, sich in einer virtuellen Welt wie Bürger zu bewegen. Sie spricht vom Geruch der freien Meinungsäußerung, den sie nie wieder gegen eine Maske des Schweigens austauschen möchte.
Der Übersetzer ist den Ausführungen von Yoani voraus – als er mit seiner Übersetzung fertig ist, spricht Yoani noch einige Minuten weiter. Und an einer Stelle beginnt sie zu Lachen und mit einer schwungvollen Geste fährt sie mit ihrer Hand von links nach rechts, ganz dicht unter ihrer Nase vorbei. Und dann bekomme ich das zweite Mal an diesem Abend eine Gänsehaut – denn ich weiß, jetzt hat sie darüber gesprochen, dass sie den Geruch der freien Meinungsäußerung nie wieder gegen die Maske des Schweigens austauschen möchte. Manche Dinge sind universal verständlich, da stören auch keine Grenzen, keine territorialen, keine medialen und keine menschlichen. Für einen kurzen Moment scheint es, als hätte auch das Publikum die leuchtende Feldblumen gerochen, die der Geste von Yoanis Hand zu folgen scheinen. Der Duft der freien Meinungsäußerung.
Yoani berichtet von der horizontalen Struktur der Blogosphäre in Kuba. „Es gibt keine Spitzen“. Das macht es für die Regierung schwierig, die alternative Netzkultur in Kuba zu kontrollieren, denn „es ist leichter ähnliche Strukturen zu bekämpfen und bloggen ist wie ein Virus, und diese Krankheit breitet sich immer weiter aus – es gibt keinen Kopf, den man abhacken kann und dem die anderen folgen…“.
Kuba hat den niedrigsten Internet-Zugang in der gesamten Hemisphere. Einen privaten Internetzugang hat kaum jemand, nur „die hohen Tiere“ können von zu Hause aus surfen. Alle anderen, ohne individuellen Zugang, müssen in Internet-Cafés oder internationale Hotels gehen. Dort kostet eine Stunde Internet allerdings um die sechs Euro – das entspricht in etwa 1/3 des Monatslohns einer ausgebildeten Fachkraft. Hinzukommt die Angst der bloggenden Kubaner, schon beim nächsten Mal könnten sie vor dem Eingang eines Hotels oder eines Cafés aufgegriffen werden.
Doch die Szene der alternativen Blogger in Kuba lässt sich nicht unterkriegen und zählt inzwischen über 200 Blogger.
„Ihr seid dort und ich bin hier – und ihr tauscht euch aus wie freie Bürger! So ist das richtig. Ich bedaure, dass ich nicht bei euch sein kann, aber eines Tages werden wir die Gelegenheit bekommen, das alles nachzuholen.“
Ja, das werden wir.