vonSchröder & Kalender 11.05.2007

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

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Die Feierlichkeiten zum 40jährigen Achtundsechziger-Jubiläum werfen ihre Schatten voraus, und bereits jetzt zeichnet sich ab, daß Vespers ›Reise‹ in diesen Retrospektiven eine wichtige Stellung einnehmen wird. Peter Weiss nannte das Buch »den intellektuellen Höhepunkt der Bewegung des Jahres ’68«. Aus gegebenem Anlaß bringen wir hier die Nachbemerkung zur Neuausgabe, die vor zwei Jahren im Area Verlag erschien. Inzwischen ist diese Hardcover-Ausgabe im Buchhandel bereits wieder vergriffen. Claudius Seidl schrieb über diese Neuausgabe in der FAZ, mehr dazu hier.

Jörg Schröder: Editions-Chronologie III

Daß MÄRZ 25 Jahre nach der ›Ausgabe letzter Hand‹ im Oktober 1979 nun eine Neuausgabe der ›Reise‹ herausbringt, obwohl das Buch auch als Taschenbuch auf dem Markt ist, hat folgende Gründe: Der Rowohlt Verlag erwarb 1983 eine Taschenbuchlizenz und zahlte dafür eine Garantiesumme, die bis zum heutigen Tage nicht verbraucht ist. Inzwischen führt der Taschenbuchverlag den Titel nur noch in der Backlist. Es liegt in der Natur der Sache, daß ohne sonderliche Vertriebs- und Werbebemühungen der Verkauf dahindümpelt.

Es ist paradox: Ein Buch über Bernward Vesper (Gerd Koenen, ›Vesper, Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus‹) wurde im Jahr 2003 fünfzigmal mehr verkauft als ›Die Reise‹  – ein Beispiel für die geistesfernen Marktgesetze des Literaturbetriebs. Wenn es nur um die Verkaufszahlen ginge, könnte man mit Emile Michel Ciorans alter Mutter seufzen: »Das ist nicht zu ändern.« Hier aber geht es nicht um business as usual, denn ›Die Reise‹ ist nicht irgendein Bestseller aus dem vorigen Jahrhundert, sondern der »Nachlaß einer ganzen Generation« (Peter Laemmle, ›Leiden an Deutschland‹, in ›Die Weltwoche‹, Zürich vom 6. 2. 1978), und Peter Weiss bezeichnete das Buch in seinen Notizbüchern als »den intellektuellen Höhepunkt der Bewegung des Jahres 1968« (Peter Weiss, ›Notizbücher 1971 – 1980‹, 2. Band, S. 672 ff., Frankfurt a. M., 1981).

Jedoch der gravierendste Grund für die Neuedition ist: In letzter Zeit droht die Rezeption der ›Reise‹ ins Spekulative umzukippen. Der Regisseur Andres Veiel, der Koenens Buch über Bernward Vesper »fiktional verfilmen« will, erklärte kürzlich: »Bernward Vesper rebellierte gegen den Nazi-Vater und blieb dessen Gedankenwelt doch immer auch verbunden. So hat er gemeinsam mit Gudrun Ensslin die Blut-und-Boden-Werke Will Vespers in den sechziger Jahren neu ediert und sich fast gleichzeitig mit der radikalen Linken  identifiziert. Diese Schizophrenie pflanzt sich in der Geschichte des Protests und der RAF fort: in einer Kontinuität des Soldatischen oder auch im Antisemitismus und Antizionismus der Linken.« (›Der Spiegel‹ v. 9. 8. 2004, ›Die Wurzeln des Terrors‹)

Bernward Vesper im März Verlag in Frankfurt a. M., Anfang Februar 1971
Foto: Jörg Schröder

Wahr daran ist, daß Bernward Vesper und Gudrun Ensslin bis 1964 die ›Studio Bibliothek‹ herausgaben, in der Gedichte von Gerardo Diego und die Anthologie  ›Gegen den Tod · Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe‹ erschienen. An dieser Sammlung beteiligten sich Karl Albrecht, Günther Anders, Stefan Andres, Erich Arendt, Hans Baumann, Horst Bingel, Heinrich Böll, Bert Brecht, Max Brod, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried, Christian Geissler, Oskar Maria Graf, Martin Gregor-Dellin, Hans Jürgen Heise, Stephan Hermlin, Peter Huchel, Hans Henny Jahnn, Karl-Heinz Jakobs, Walter Jens, Robert Jungk, Marie-Luise Kaschnitz, Gertrud von le Fort, Ludwig Marcuse, Günter Maschke, Georg Maurer, Dagmar Nick, Gerhard Prager, Rudolf Rolfs, Nelly Sachs, Paul Schallück, Wilfrid Schilling, Hansjörg Schmitthenner, Albert Arnold Scholl, Anna Seghers, Kurt Sigel, Günther Weisenborn, Leo Weismantel, Wolfgang Weyrauch, Gabriele Wohmann, Gerhard Zwerenz und Arnold Zweig.

Leider stimmt es auch, daß Bernward Vesper parallel zu diesen Publikationen die nachgelassenen Schriften seines Vaters herausgab, der ein Nazi-Schriftsteller und unbelehrbar geblieben war bis zu seinem Tode im Jahr 1962. Bei diesen Aktivitäten am Rande des rechten Verlagsspektrums unterstützte ihn seine Verlobte Gudrun Ensslin. Auf diese peinliche frühe Doppelköpfigkeit hatte ich Christian Schultz-Gerstein 1979 hingewiesen und ihm die entsprechenden Unterlagen und Korrespondenzen im Verlagsarchiv gezeigt. Darauf bezog sich Schultz-Gerstein in seiner ›Spiegel‹-Polemik (›Die Zerstörung einer Legende‹ in ›Der Spiegel‹ v. 24. 12. 1979), die aber nur die halbe Wahrheit enthielt, weil sie insinuierte, daß Vesper auch noch fünf Jahre später – während der Abfassung der ›Reise‹ – auf beiden Schultern trug. Ich habe daraufhin den Plan zu einem komparativen Band aus dem Vesper-Nachlaß begraben, um den Autor und sein nachgelassenes Buch ›Die Reise‹ vor weiteren fehlgeleiteten Schlüssen zu bewahren.

Nun ist die Diskussion neu entbrannt, und es ist an der Zeit, zu solchen »fiktionalen« Vesper-Bildern nicht-fiktional Stellung zu nehmen: Denn fünf Jahre nach seiner janusköpfigen Phase, nämlich im Jahr 1969, machte Bernward Vesper reinen Tisch, er begann mit der qualvollen Niederschrift der ›Reise‹. In seinem autobiographischen Romanessay wollte er sich nichts mehr vormachen. Das ist ihm gelungen – usque ad finem.

Bernward Vesper konnte nicht mehr alles aufschreiben, aber niemand sollte ihm vorwerfen, er habe etwas verschweigen wollen, das verbietet auch die Achtung vor seiner selbstmörderischen Konsequenz. In seinen Zettelkästen und Themenkatalogen zur ›Reise‹ fehlten weder die »letzte Ernte«, also seine peinliche Edition der Schriften des Vaters, noch die Erkenntnis, daß »es scheiße war, was ich schrieb«. Das alles wollte er noch in seinen »schonungslosen Bericht« einfügen und notierte dazu in den nachgelassenen Notizen: » Die Schonung, die man sich gewährt, gewährt man in Wahrheit den gesellschaftlichen Verhältnissen.« Dieser schonungslosen Unbedingtheit fiel der Autor schließlich selbst zum Opfer, er hatte keine Lust mehr, »jedermann zu beliebiger Abreaktion seiner Ignoranzen und Infantilismen zu dienen«, und schied freiwillig aus dem Leben.

Was wir tun können, um die Spekulationen der Vesper-Exegeten und die Mythenentzifferer der Achtundsechziger ad absurdum zu führen, ist: Vespers Buch lesen! Denn wie Uwe Schweikert in der ›Frankfurter Rundschau‹ schrieb: »›Die Reise‹ gehört zur Sorte jener Bücher, von denen Kafka sagte, sie seien ›die Axt für das gefrorene Meer ins uns‹. Sie überantworten uns nicht der Verzweiflung, sondern halten in ihrer tiefsten Finsternis noch die Hoffnung im Zukünftigen wach.«

(JS)

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