vonHelmut Höge 08.01.2007

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Am Samstag besuchte ich im Ex-Postmuseum um die Ecke und mit taz-presseausweis eine „Norwegen-Ausstellung“. Sie hieß „Nicht nur Lachs und Würstchen – 100 Jahre deutsch-norwegische Begegnungen“. Konzipiert hatte sie der norwegische Staat – und 2005 zuerst in Oslo gezeigt. Anlaß war die Gründung der Republik Norwegen im Jahr 1905, was als erstes vom Deutschen Reich anerkannt worden war (so wie kürzlich auch die Gründung Kroatiens).  Es handelt sich dabei um eine Wanderausstellung,  für die die norwegische Botschaft die 2. Etage im Museum für Kommunikation in der Leipzigerstraße hinter dem Check Point Charly bzw. vom Osten aus gesehen – vor dem Grenzübergang Friedrichstraße angemietet hatte. Sie wird ab Ende Januar in Leipzig, Dresden usw. gezeigt werden.
Schon im Treppenhaus hing die erste große Überraschung: ein zwei mal drei Meter großer im Stile Caravaggios gemalter düsterer Schinken mit vier Personen – in übertriebenen Posen nach Art des Heiligen Andreas im Petersdom. Hier hatte der norwegische Maler Odd Nedrum jedoch „Die Ermordung des Andreas Baader“ (1977/78) dargestellt. Er wird von einem Zivilbeamten in seiner Zelle erschossen, während zwei  Wärten ihn festhalten. Dazu erfährt man auf Deutsch und Norwegisch, dass das Gemälde sehr umstritten war und heute im Museum von Oslo hängt.

Von einem norwegischen Journalisten erfuhr ich dann noch über den Umweg von Alena Stolpe am Telefon eben, dass der Maler inzwischen auf Island lebt, weil er sich von seinen Landsleuten mißverstanden fühlt und außerdem nicht mit der neuen norwegischen Kunst  einverstanden ist. Ähnlich wie hier Markus Lüpertz kritisiert er u.a. an der Kunstschulausbildung, dass dort kein Wert mehr auf das Lehren traditioneller Kunsttechniken gelegt wird.

Die Ausstellung über 100 Jahre Norwegen kam mir sehr ausgewogen – eben staatlich – vor, insofern z.B. der Widerstand der Norweger gegen die deutsche Besatzung ihres Landes quasi nur gestreift wurde. Von eben jenem norwegischen Journalisten mußte ich mir dann jedoch sagen lassen, dass seine Landleute das immer stark übertrieben hätten: Es gab demnach einen regelrechten Partisanenmythos in Norwegen. Wenn ich dazu Näheres wissen wollte, sollte ich im Internet das „Forum Nordeuropa“ anklicken, in deren Rahmen – real ebenfalls nicht weit vom Ex-Postmuseum in Mitte entfernt – hätte neulich die Skandinavistin und Historikerin Susanne Maerz, die in Freiburg und Bergen studierte, einen sehr informativen Vortrag zum Thema „Die langen Schatten der Besatzungszeit. Stationen und Probleme der Vergangenheitsbewältigung in Norwegen“ gehalten. Die norwegische Botschaft kündigte ihren Vortrag im Internet folgendermaßen an:

„Eine Nation im Widerstand – als solche hat sich Norwegen lange Zeit gesehen, wenn es um das Verhalten während der Zeit der deutschen Besatzung zwischen 1940 und 1945 ging. Die Mitglieder der kollaborierenden „Nasjonal Samling“ wurden dafür aus der nationalen Gemeinschaft herausdefiniert. Diese vorgestellten Spaltung der Nation wird in öffentlichen Debatten über verschiedene Aspekte der Besatzungszeit immer wieder neu verhandelt. Wie dies geschieht und wie sich dabei das nationale Selbstbild ändert, soll anhand der größten öffentlichen Debatten zwischen 1965 bis 2005 dargestellt werden. Dabei lässt sich für die 60er Jahre ein Bedürfnis nach einem einheitlichen Geschichtsbild feststellen, zu dessen Gunsten Differenz überdeckt wird. Während dieses starre Bild in den 70er Jahren erste Risse enthält, werden ihm in den 80er Jahren bislang vernachlässigte Geschichten hinzugefügt. Zudem wird die wissenschaftliche Fokussierung auf den Widerstand zum ersten Mal sowohl thematisiert als auch problematisiert. In den 90er Jahren wird das heroische Widerstandsbild zum einen verteidigt, zum anderen ist ein Bewusstsein der moralischen Verantwortung gegenüber verschiedenen Opfergruppen festzustellen, das mit der Thematisierung traumatischer Kapitel der Besatzungs- und Nachkriegszeit einhergeht.“

(Spätestens seit dem Vietnamkrieg leiden zunehmend auch die „Täter“ unter einem Trauma bzw. dem posttraumatischen Syndrom – PTS) Breiten Raum nahm in der Ausstellung die Präsentation Norwegens als „Urheimat der nordischen Disziplinen“ ein, aber auch die Ölindustrie, die aus dem ärmsten Land Skandinaviens das reichste Land der Welt machte, sowie die Walfängerei kamen exponatmäßig nicht zu kurz. An der Wand hing ferner eine lange Liste von norwegischen OpernsängerInnen – ohne die die deutschen Opern nahezu stumm geblieben wären in den letzten  150 Jahren.  Die Wikingervergangenheit , für die es in Oslo extra ein neues Museum – auf einer vorgelagerten Insel – gibt (analog zum neuen Hermannschlachtmuseum im Schlachtpark von Kalkriese, das heute allerdings ob der Täter-Opfer-Identität „Varusschlacht-Museum“ heißt), kam jedoch überhaupt nicht vor  – in dieser für das Ausland  bzw. Deutschland bestimmten Staatsausstellung Norwegens. Vielleicht deswegen, weil man damit nur an die heiligsten Gefühle der pangermanischen Neonazis hüben wie drüben gerührt hätte.  Grad  neulich erst wurden Wladimir Kaminer und ich in der Oberschöneweider Kneipe „Hollywood“ von zwei Neonazis in ein blödes Streitgespräch über die zwei Raben von Odin verwickelt, wobei ich dem einen Neonazi den guten Rat gab, im Internet bei der norwegischen Nachrichtenagentur der Regierung – namens „Odin“ –  nachzukucken, dort müßte es eigentlich genau stehen.

Eine ganze Vitrine nahmen die hin und her übersetzten Schriftsteller ein – sowie die Darstellung ihrer Wirkungsgeschichte in Deutschland bzw. Norwegen. In Deutschland berühmt wurden vor allen anderen Norwegern Ibsen und Hamsun, umgekehrt in Norwegen berühmt wurden nacheinander die Deutschen Böll, Brandt, Grass und  Kaminer. Wobei Willy Brandt nicht so sehr wegen seiner schriftstellerischen Leistung, sondern wegen seines großen politischen Engagements zur Intensivierung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern mit in diese Reihung aufgenommen worden war. Zudem war er einst vor den Nazis nach Norwegen geflohen – und hatte sich dort dem Widerstand angeschlossen.

Erwähnt sei ferner, dass in der Ausstellung die Antivietnamkriegs-Bewegung Norwegens relativ breit thematisiert wird sowie auch die Gründung der ersten feministischen Zeitung des Landes 1973, die „Sirene“ hieß und wohl immer noch so heißt.

Nachdem ich Olga und Wladimir Kaminer einmal nach Oslo zu einer Lesung begleitet und dort ein paar Widerstandsgeschichten recherchiert hatte, schrieb ich anschließend in einem – nun im Kadmos-Buch mit dem Titel „WPP – Wölfe Partsianen Prostituierte“ abgedruckten – Text:

Die Kopenhagener Hippiekolonie Christiania wurde Anfang der Neunzigerjahre noch einmal wieder  internationalistisch. Im dortigen „Russlandhaus“, wo man oft und gerne zusammen saß, kam es 1994 zu folgendem Streitgespräch, nachdem der Finne Mikko sich gegenüber einem Amerikaner namens Alan abfällig über die US-Mickymauskultur geäußert  hatte: „‚Ihr Finnen seid doch alle Nazis gewesen‘, erwiderte Alan, ‚mein Großvater hat im Zweiten Weltkrieg fünfzehn Nazis umgebracht, darunter waren bestimmt ein paar Finnen!‘ ‚Und mein Opa hat zwanzig Amerikaner umgebracht‘, brachte sich die Deutsche Carlotta ins Gespräch. ‚Zwanzig!‘ Dabei zeigte sie ihre zehn Finger. ‚Mein Opa dagegen‘, brüstete sich Laszlo, ‚hat acht Deutsche, zwölf Rumänen, fünf Russen und eine Unzahl Engländer umgebracht‘. ‚War dein Opa etwa ein Massenmörder? Auf welcher Seite hat er denn gekämpft?‘ wunderten sich einige in der Runde. ‚Ungarn hat die Seiten gewechselt, 1943-44, und mein Opa sogar mehrmals,‘ erklärte Laszlo. ‚Mein Großvater war ein Pazifist‘, sagte Detlev aus Deutschland. ‚Er hat niemanden umgebracht, aber er saß nach dem Krieg trotzdem lange Zeit im Knast‘. ‚Und mein Opa hätte einmal beinahe meine Oma umgebracht, das war aber noch vor dem Krieg,‘ erzählte der Finne. ‚Mein Opa hat als Kavallerist auch haufenweise Menschen umgebracht,‘ trug ich das meinige zum Gespräch bei. ‚Meiner doch auch,‘ fügte mein Kumpel Andrej hinzu.“

Diese Passage las Wladimir Kaminer in Oslo, das einstmals Christiania hieß, zwei mal vor – das Publikum lachte und applaudierte: Einmal im Goethe-Institut und dann bei einem Empfang des Verlags Damm&Son, der gerade sein Buch „Die Reise nach Trulala“ auf Norwegisch veröffentlicht hatte.

In vielen Ländern beschäftigen sich derzeit die Enkel mit der Frage, ob Opa wirklich in Ordnung war, was in Italien und Frankreich, vor allem aber in Polen, im Baltikum, in der Ukraine und in den jugoslawischen Nachfolgestaaten fast schon zu einer Umwertung des einstigen Widerstands geführt hat. In Spanien wurde das Buch  über einen Falangisten:  „Soldaten von Salamis“ von Jaiver Cercas berühmt, in Japan der Landser-Roman „Mister Aufziehvogel“ von Murakami Haruki und  in  Ostdeutschland schrieb Annette Leo ein Buch über ihren kommunistischen Großvater. In Westdeutschland neuerdings Stephan Wackwitz: „Ein unsichtbares Land“, Thomas Medicus: „In den Augen meines Großvaters“ und „Opa war kein Nazi  – Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis“ von H.Welzer, S. Moller und K. Tschuggnall. Bei all diesen Büchern handelt es sich um Enkel-Recherchen.

In Norwegen erschien gerade ein Roman von Astrid Nordang: „Svart Honning“, in dem es darum geht, dass die Protagonistin, die ihren Großvater bislang immer für einen heroischen Widerstandskämpfer hielt, bereits bei ihren ersten Nachforschungen herausbekommt, dass er doch wohl eher ein übler Kollaborateur der Deutschen gewesen ist. Der Roman „Nattradioen“ von Kjetil Brottveit spielt vornehmlich im Norwegischen Widerstandsmuseum in Oslo, an dessen Außenmauer 1945 Quisling und eine Reihe anderer Kollaborateure erschossen wurden. Eine junge Radioreporterin verschlägt es in dieses für sie nur noch gruftige Museum, dessen Einrichtung seit den Fünfzigerjahren nicht mehr verändert wurde. Zunächst ist sie erstaunt: Warum hat man uns nie was über diese Zeit erzählt?! Dann muß sie sich jedoch eingestehen, dass sie sich auch nie dafür interessiert hat. Und das soll sich nun ändern.

Mir erzählte ein kurz nach dem Krieg geborener norwegischer Historiker, dass fast ihre ganze Vätergeneration sich als Widerstandskämpfer begriff und sie mit derart vielen heroischen Familiengeschichten traktiert wurden, dass sie irgendwann niemand mehr hören konnte und wollte. Obwohl oder weil auch diese  norwegische Nachkriegs-Generation dann anfing, sich – ausgehend vom Vietnamkriegsprotest – mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu solidarisieren und dabei langsam zu eigenen Widerstandsaktionen fand. Im Februar 1969 wurde z.B. die maoistische Zeitung „Klassekampen“ gegründet, sie veröffentlichte jetzt ein Porträt von Kaminer.

In der „Neuen Rundschau“ wurde andersherum gerade die Erzählung „Vietnam. Donnerstag“ des Norwegers  Johan Harstad veröffentlicht („Er“ verbindet mit dem Wort Vietnam „Reisfelder, Dschungel, Hubschrauber“. „Sie sagt: Vietnam steht für alles, was schief gegangen ist“). Ein früherer „Klassekampen“-Autor erzählte mir: „Ich fand das gute Gewissen meiner Elterngeneration, resultierend aus ihrem Antifaschismus, immer selbstgerecht und zum Kotzen.“ Seit etlichen Jahren beschäftigt er sich jedoch nun selbst mit dieser Zeit, wobei es ihm vor allem die „Quislinge“ – Kollaborateure – angetan haben.

Auch von deutscher Seite aus aus lassen sich inzwischen einige norwegische Widerstandsgeschichten zurechtrücken: So setzt sich z.B. trotz aller neuen Willy Brand-Biographien langsam die Erkenntnis durch, dass der Auf- und Ausbau der norwegischen Exil-Organisationen nicht so sehr ihm, der dort laut Sigrud Evensmo „mehr Norweger als die meisten Norweger“ wurde, sondern seiner damaligen Gefährtin Gertrud Meyer zu verdanken ist.

Die junge Lübecker Karstadtverkäuferin war aufgrund ihrer Aktivitäten in der Sozialistischen Arbeiterjugend für fünf Wochen in Gestapo-Haft gekommen – und dann im Juni 1933 nach ihrer Freilassung Willy Brandt ins norwegische Exil gefolgt. Im Gegensatz zu ihm, der dort von Unterstützung lebte, fand sie relativ schnell einen Job als Putzfrau. Wenig später wurde sie schon vom Psychoanalytiker Otto Fenichel als Sekretärin angestellt und wechselte dann in das Institut von Wilhelm Reich über, für den sie im August 1939 die Übersiedlung von Oslo nach New York vorbereitete, wohin sie bei  Kriegsausbruch auch Willy Brandt einlud. Nach dem Krieg kehrte sie nach Oslo zurück – man hörte dann aber nie wieder etwas von ihr. Bis zu ihrer Abreise nach New York  war sie neben ihrer Sekretärinnenarbeit auch in Norwegen politisch sehr aktiv gewesen.

Der Brandt-Biograph Einhart Lorenz meint, dass ihre „Rolle leider stark unterbewertet“ wurde, dazu schreibt er: „Sie führte die Korrespondenz mit der Auslandszentrale der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) in Paris. Sie wurde Vorsitzende der SAP-Gruppe Oslo und Leiterin der Antifaschistischen Emigrantengemeinschaft in Oslo. Sie leitete Studienkurse und Arbeitsgruppen in der Unterorganisation ‚Frihet‘ der Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF) und im traditionsreichen Osloer Arbeiterverein (Arbeidersamfund). Sie nahm an Konferenzen der skandinavischen SAP-Gruppen teil, an der ‚Kattowitzer Konferenz‘ der SAP zu Beginn des Jahres 1937 und an Sitzungen der erweiterten Auslandszentrale der SAP in Paris. Und die setzte ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus ein, als sie mehrere Male mit illegalem Material nach Deutschland reiste“. Das ermöglichte ihr ein norwegischer Paß, den sie nach ihrer Scheinheirat mit Gunnar Gaasland aus der „Mot Dag“-Gruppe bekommen hatte. Gaasland gab seinen eigenen Paß später Willy Brandt, der damit für drei Monate nach Berlin fuhr, wo er klandestin Kontakte knüpfte und in der Staatsbibliothek den Faschismus anhand der Bücher von Rosenberg, Darré u.a. studierte. Außerdem reiste er mit dem falschen Pass – während des spanischen Bürgerkriegs – zur SAP-Bruderpartei, der POUM, nach Barcelona, wo er u.a. für Wilhelm Reich Berichte über die Sexualität und Kampfmoral der spanischen Jugend verfaßte, die bei ihrer Veröffentlichung in Spanien 2002 (!) auf großes Interesse bei der dortigen Enkel-Generation stießen. Gertrud Meyer, die ihn auch zu der Zeit noch „finanziell über Wasser hielt“, wie Christian Semler in einer Vorbemerkung schrieb, hatte ihn dazu beauftragt. Sie war auch die einzige, die mit ihm während seines Aufenthalts in Spanien brieflich in Kontakt blieb.

In seinem bereits im schwedischen Exil 1942 veröffentlichten Partisanenhandbuch „Guerilla Krig“, das heute nebenbeibemerkt in der Buchhandlung des Berliner Willy-Brandt-Hauses 900 Euro kostet, hat Brandt u.a. auch die Erfahrungen Gertrud Meyers in der illegalen Organisationstätigkeit eingearbeitet. Viele Freunde hielten die beiden für ein Ehepaar, weil sie den gleichen Nachnamen benutzten.

Der ehemalige Angestellte einer Lübecker  Schiffsmaklerei, Brandt,  entfaltete im Exil neben seinen politischen Kungeleien eine rege publizistische Aktivität – bis dahin, dass er zuletzt die Pressestelle der NAP in Stockholm leitete. 1935 organisierte er eine regelrechte Pressekampagne für den im KZ inhaftierten Carl von Ossietzky, der als Kandidat für den in Oslo vergebenen Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden war. Im Zusammenhang damit legte Willy Brandt sich mit dem norwegischen Nobelpreisträger Knut Hamsun an, der als Nazisympathisant gegen die Verleihung des Preises an Ossietzky polemisierte.

In Norwegen geht man heute davon aus, dass Hamsuns Frau eigentlich die viel schlimmere „Nazisse“ war. Dazu hat zuletzt Klaus Theweleit Erhellendes beigesteuert. Nach ihm hatte der alte nordische Dichterkönig die junge  Schauspielerin Marie Andersen, die er in einem Theatercafé kennen lernte (sie sollte in einem Hamsunstück die Hauptrolle spielen), dazu gebracht, ihn stattdessen zu heiraten,  auf einem einsamen Hof jenseits des Polarkreises auf einer Halbinsel als Bäuerin zu leben  und dort seine Kinder groß zu ziehen:

„Sie sollte sich also opfern“, schreibt Theweleit, während der Mann – in einer Pension sitzend „Segen der Erde“ schrieb, „die Hymne auf das karge Nordland mit seinen gequälten Leuten, die ihm den Nobelpreis einbringt“. Zwar versprach Hamsun daraufhin seiner Frau, dass sie bald wieder in die Stadt – in „eine Luxusvilla“ gar – ziehen würden, stattdessen kaufte er ihr jedoch einen noch „größeren Hof“, wo er sich noch seltener blicken ließ, weil er in Oslo Anschluß an die „Weltliteratur“ gefunden hatte – und dort im „Gauklermilieu“ verkehrte. Von seiner Frau verlangte er, dass sie weiterhin der „Bühne/Öffentlichkeit“ fern blieb.

Nach einer gelungenen Psychoanalyse – wegen einer Schreibblockade  1926, bringt er auch Marie Andersen  dazu, sich ebenfalls auf die Couch zu legen, beim selben Analytiker – damit sie „sexuell aufwache“. Dort leistet sie jedoch erfolgreich Widerstand. Schließlich trennen sich die beiden.  Sie rächt sich später, in dem sie des deutschen Führers „erste Braut“ in Norwegen wird. Zwar konnte Hamsun dann aufholen, in dem er Goebbels während einer Deutschlandreise seinen Nobelpreis vermachte, aber in der Öffentlichkeit ist sie fortan die dominierende. Zu Ossietzky erklärte Hamsun  öffentlich, dass er in einem deutschen Konzentrationslager doch gut aufgehoben sei. Selbiges wünsche er im übrigen auch einigen  norwegischen Pazifisten – wie „unseren lieben Kullmann“. Dieser, ein Marineoffizier, wurde dann tatsächlich von den Deutschen verhaftet – und kam in ein KZ, wohin insgesamt 9000 Norweger  verschleppt wurden, 1400 von ihnen starben dort, auch Kullmann!
1940 veröffentlicht Hamsun einen „Aufruf“, der ihn acht Jahre später  wegen Kollaboration mit dem Feind vor Gericht bringt: „NORWEGER! Werft die Gewehre fort und geht wieder nach Hause. Die Deutschen kämpfen für uns…“ Das Gericht hält ihn, gestützt auf die Aussagen seiner von ihm getrennt lebenden Frau,  für „Altersgeistesschwach“ und verurteilt Hamsun nur zu „einem Lebensabend in Armut“. Nach seinem letzten Buch „Auf überwachsenen Pfaden“ schreibt er Marie Andersen einen Brief – und sie kommt zurück, pflegt ihn bis zu seinem Tod.

Gleich nach dem Krieg und während seines Prozesses waren viele Norweger zum Stadthaus von Knut Hamsun gepilgert und hatten ihm wütend und enttäuscht seine Bücher in den Vorgarten geworfen. Die Diskussion über Hamsun und die „Landesverräter“ flammte Mitte der Neunzigerjahre noch einmal wieder auf, als der norwegische König den Hof der Hamsuns im Norden, Hamaröy, besuchte.

Wie in anderen Ländern, in denen es einen nennenswerten Widerstand gegen die Deutschen gab, waren in Norwegen aber auch die Reaktionen der ehemaligen Kämpfer auf den Frieden sehr unterschiedlich. Der Anthropologe Thor Heyerdahl z.B., der mit einer Fallschirmjäger-Einheit als Partisan in der nördlichen Finnmark abgesprungen war, wo die Deutschen eine besonders brutale Politik der verbrannten Erde verfolgten, wollte oder konnte sich nach dem Krieg nicht wieder ins bürgerliche Leben zurückziehen – und unternahm stattdessen immer abenteuerlichere  See-Forschungsreisen, von denen er nie wieder nach Norwegen zurückkehrte. Zuletzt lebte er mit seiner jungen Frau, einer Miß Frankreich, auf einer Yacht in Süditalien. Er starb 2002. Über die Kämpfe in der Finnmark erschien vor einiger Zeit auf Deutsch ein Buch von Reidrun Mellem „So jagten sie uns aus unseren Häusern“.

Der  später berühmte  „Unterwasser-Partisan“ Max Manus, der mehrere deutsche Großschiffe versenkte, schuf sich dagegen nach dem Krieg ein gemütliches Heim und genoß alle Ehren eines Veteranen. Seine Biographie „Mitt Liv“ erschien 1995, er lebte zuletzt in Spanien, wo er 1996 starb. In einem englischen Nachruf heißt es: „He was one of the most brilliant saboteurs under World War II“.

Ähnliches gilt auch für den „norwegischen Nationalhelden“ Jan  Baalsrud, dessen Partisanenerlebnisse Arne Skouen 1957 verfilmte. „So weit die Kräfte reichen“ – wurde 1991 zum besten norwegischen Film aller Zeiten ernannt. Jan Baalsrud war 1945 mit der Kompanie Lingen von einem englischen Fischerboot nördlich von Tromso an Land gesetzt worden, wo sie Sabotageakte verüben sollten. Sie wurden jedoch von einem örtlichen Kontaktmann verraten und alle, bis auf Baalsrud, umgebracht. Er konnte sich trotz einer  Verletzung über die schwedische Grenze in Sicherheit bringen. Der Film beruht zu großen Teilen auf den Bericht „We die alone“ des englischen Vizekommandeurs des Kommandounternehmens.

Die meisten Sabotageakte wurden von Kommunisten ausgeführt. Ihr Aktionismus  wurde anfangs von der übrigen Widerstandsbewegung abgelehnt, die ihrerseits der norwegischen Exilregierung und den Kommandos der Westalliierten unterstellt war. Anders als etwa in Spanien gingen die Kommunisten in Norwegen jedoch nicht auf Kollisionskurs mit den anderen linken Organisationen, sondern suchten die Zusammenarbeit – z.B. mit der SAP. Darüberhinaus wurden dann immer mehr Aktionen von norwegischen Soldaten, teilweise unter englischer Leitung, ausgeführt.

Besonders spektakulär war ihre Sprengung der Schwerwasser-Produktionsanlage der Norsk Hydro bei Rjukan, wobei gleichzeitig ein Schwerwassertransport-Schiff auf dem Weg nach Deutschland versenkt wurde. Dabei ließen zahlreiche Norweger ihr Leben, die Aktion war aber vielleicht  kriegsbeeinflussend gewesen, wie Tor Dagre in einer Broschüre des „Hjemmefrontmuseums“ schreibt, weil damit der Bau einer deutschen Atombombe erfolgreich sabotiert werden konnte. Mit der Verschärfung der deutschen Besatzung und Ausplünderung des Landes beteiligten sich immer mehr Norweger am Widerstand – so dass die Kommunisten langsam in den Hintergrund gerieten. Das erklärt vielleicht, warum es später in der Sowjetunion und auch in der DDR kaum systematische Darstellungen des norwegischen Widerstands gab.

Gelegentlich wurden dort jedoch kurze Partisanengeschichten aus Norwegen übersetzt. Erwähnt sei die Erzählung „Drei Pistolen und ein Leben“ von Torfinn Haukas, die in der Partisanen-Anthologie „Der letzte Hügel“ Aufnahme fand. Daneben gibt es auch einige Partisanengeschichten in dem Band „Norwegische Erzähler“ aus der Reihe „Erkundungen“: „In Verdunklungszeiten“ von Torborg Nedreaas z.B.. Hier heißt es an einer Stelle: „Mitunter kann es den Menschen auch in einer schweren Zeit gut gehen. Der Schmerz ist gut, und der Ernst im Gemüt ist ebenso blank wie der dunkle Fjord“.

In Johan Borgens Erzählung „Wir Mörder“ geht es um einen jüdischen Verleger und Widerstandskämpfer „von Anfang an“, der plötzlich verschwunden ist. Der ostdeutsche  Skandinavist Rudolf Kähler bemerkt dazu, der Autor zeige darin, ebenso auch in einigen späteren  Werken, „wie anfällig die humanistische, jedoch politisch indifferente Haltung des liberalen Bürgertums gegenüber der faschistischen Idologie bei einer direkten Konfrontation war“. Nach 1945 hat eine Vielzahl norwegischer Autoren über solche und andere Aspekte des Widerstands geschrieben. Vor allem „würdigten Sie den Heroismus und die moralische Widerstandskraft des Volkes, seiner Leiden und Opfer“. Nicht wenige verarbeiteten dabei  ihre eigenen Erlebnisse – z.B. Per Torhaug, der sich dem militärischen Widerstand anschloß, 1942 zu Hochverrat verurteilt wurde und in das KZ Sachsenhausen kam. 1961 erschien darüber sein Buch „Das Waldkommando“, das jedoch kaum Leser fand, weil „in der Geschichtsschreibung die Besatzungszeit allein auf den norwegischen Widerstand reduziert wurde“, wie Anette Storeide im Nachwort des 2004 in Deutschland  veröffentlichten Buches schreibt, wo man es nun quasi für die Enkel auf der anderen Seite aufgelegt hat. In Norwegen wurde Torhaug erst 1967 mit seinem Vietnam-Reisebericht „Das Reisfeld und die Waffen“ bekannt geworden.

Der deutsche Überfall auf Norwegen am 9.April 1940 hieß „Weserübung“. Nach der Kapitulation am 10.Juli brauchten die verschiedenen Volksklassen und -schichten eine Weile, um sich (neu) zu formieren. Zu den ersten „Keimzellen des Widerstands“ zählten die Sportvereine. Aber bald übten sich immer mehr Gruppen in „zivilen Ungehorsam“ – die Lehrer, die Pastoren usw.. Gleichzeitig fingen die jüngeren Leute an, immer militanter zu werden und sich zu bewaffnen. Die Deutschen reagierten auf diesen „Terror“ – mit Folter, Erschießungen und KZ. Von der UDSSR im Norden und von England im Süden aus landeten Kommandounternehmen an den Küsten. Damit bildete sich bald ein komplexer  Untergrund heraus – mit eigenen Zeitungen und allein 70 Funkstationen. Aus den Sportvereinen entstand die Geheim-Organisation Milorg – und „Aus Milorg wurde ein Untergrundheer“: Dieser Entwicklung der Widerstandsbewegung ist im Osloer „Hjemmefrontmuseum“  eine ganze Abteilung gewidmet.

Eine andere der norwegischen Handelsflotte: Das Land besaß die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Sie wurde in den Dienst der Alliierten gestellt – und dementsprechend von den Deutschen verfolgt: 570 Schiffe, die Hälfte der Übersee-Flotte, wurde versenkt, 4500 Seeleute starben. Aber die Einnahmen der norwegischen Handelsflotte verschafften der norwegischen Regierung eine finanziell unabhängige Stellung unter den Alliierten, sie konnte  darüberhinaus sogar die Vorkriegskredite damit abzahlen.

Der Aufstandsspezialist der Komintern und Reichsleiter der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter, Ernst Wollweber, hatte 1935 in Leningrad eine Sabotage-Truppe aufgebaut. Diese  „Wollweber-Organisation“ arbeitete dann mit norwegischen Seeleuten zusammen und führte von Dänemark und Norwegen aus Anschläge auf deutsche und italienische Schiffe durch. 1940 flüchtete Wollweber von Norwegen nach Schweden, wo man ihn verhaftete. Obwohl ihm die UDSSR die Staatsbürgerschaft verlieh, damit er nicht nach Deutschland ausgeliefert wurde, verurteilten ihn die Schweden zu drei Jahre Zwangsarbeit. Ende 1944 wurde er nach Moskau ausgeflogen, von dort aus ging er 1946 nach Ostdeutschland, wo er erst Leiter des Schiffahrtsamtes und dann im DDR-Verkehrsministerium für den Schiffsverkehr zuständig war, wobei er jedoch vor allem die Fäden seiner alten maritimen Verbindungen wieder zusammen zu knüpfen versuchte. Schließlich ernannte man ihn zum Minister – für Staatssicherheit. Er fiel jedoch in Ungnade und wurde 1958 aus dem ZK ausgeschlossen, 1967 starb er in Ostberlin.

Der prominenteste Exilant in Norwegen war Leo Trotzki. Im Nachwort zu seiner Biographie „Mein Leben“ schreiben die amerikanischen Herausgeber: „Norwegen war es, daß Trotzki und seiner Gruppe das nächste Asyl gewährte. Anfangs ging alles gut. Die Trotzkis waren Gäste im Hause Konrad Knudsens, eines sozialistischen Abgeordneten der Storting. In fünfundvierzig Meilen Entfernung von Oslo konnte Trotzki nach den zwei hektischen Jahren in Frankreich den ruhevollen Frieden der norwegischen Landschaft genießen. Er arbeitete jetzt an einem Buch, dem er große Bedeutung beimaß und in dem er das Anwachsen und die inneren Widersprüche der neuen, in der Sowjetunion an der Macht befindlichen Bürokratie umriß. Das Buch war ‚Die verratene Revolution’…Das norwegische Idyll ging jäh zu Ende, als eine Gruppe von Faschisten aus Knudsens Haus Trotzkis Papiere zu entwenden versuchte. Trotzki und die Knudsens befanden sich gerade auf einer Erholungsreise, aber Knudsens Tochter war zu Hause geblieben und in der Lage gewesen, die Faschisten zu verscheuchen. Wenn der Versuch somit auch gescheitert war und der Vorfall an sich nicht viel bedeutete, so rief er doch eine örtliche politische Debatte hervor, die mit der Eröffnung der Moskauer Prozesse zusammenfiel, in denen Stalin eine Anzahl seiner Kremlgenossen einer Verschwörung im Bunde mit Trotzki zum Umsturz des Sowjetregimes anklagte. Sofort wurde die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf Trotzki in diesem kleinen norwegischen Dorf gelenkt, das prompt von Journalisten belagert wurde. Dem ließ, von seinem norwegischen Wohnsitz aus an die Welt gerichtet, Trotzki die emphatische Zurückweisung aller Anklagen Stalins folgen. Im gleichen Atemzug forderte Trotzki Stalin dazu heraus, ihn von Norwegen ausliefern zu lassen. Da Trotzki begriff, daß dies eine Untersuchung seitens der Regierung zur Folge haben würde – mit anderen Worten einen öffentlichen Prozeß -, wußte er auch, daß er in der Lage sein würde, Stalins Gründe für das Auslieferungsbegehren zunichte zu machen und öffentlich als Sieger aus dem Prozeß hervorzugehen. Der Sowjetdiktator nahm jedoch klugerweise die Herausforderung nicht an. Die Moskauer Prozesse endeten natürlich mit der Verurteilung der Angeklagten, die kurz darauf hingerichtet wurden. Stalin hatte inzwischen die Norweger wissen lassen, daß sie seitens der Sowjetunion mit Strafmaßnahmen gegen den norwegischen Handel rechnen müßten, wenn sie Trotzki nicht sofort zum Schweigen brächten. Unter diesem Druck sah sich die norwegische Regierung veranlaßt, Trotzki in einem kleinen Dorf zwanzig Meilen von Oslo entfernt unter Hausarrest zu stellen. Dort blieben Trotzki und seine Frau drei Monate und zwanzig Tage.“ Dann zogen sie weiter nach Mexiko, wo Leo Trotzki 1940 von einem KGB-Agenten ermordet wurde.

In Norwegen hatte er sich auch in die Diskussionen der dortigen linken Gruppen eingemischt. Im August 1933 schrieb er beispielsweise an den Leiter der Exil-SAP in Paris, Jakob  Walcher: „Wegen Eurem völlig unüberlegten Bündnis mit der NAP (der Norwegischen Arbeiterpartei) seid ihr dabei, die Mot-Dag-Gruppe zu verlieren. Mot Dag ist jedoch die einzige Gruppe, die Ihr in Norwegen habt. Diese Gruppe ist bei weitem nicht „unnachgiebig“. Sie hat es jedoch nicht geschafft, die NAP „wie sie ist“ zu beeinflussen. Einer der Gründe dafür ist, zumindest meiner Meinung nach die Zugehörigkeit der NAP zur Internationalen Arbeitsgemeinschaft, die Tranmæl und Co zu nichts verpflichtet, aber ihnen einen internationalen Deckmantel und Schutz in den Augen der norwegischen Arbeiter gibt. Glaubst Du, dass Du Erfolg dabei haben kannst, die Art von Einfluss auf Tranmæl von Paris aus auszuüben, den Falk bisher von Oslo aus nicht ausüben konnte? Nein. Es ist bloß einfacher, in Paris Illusionen über Oslo zu hegen als in Oslo selbst.“

Auch die Osloer SAP-Aktivisten Gertrud Meyer und Willy Brandt suchten zunächst den Kontakt zur Gruppe „Mot Dag“ (Dem Morgen entgegen) – „dieser nicht nur eingebildeten sozialistischen Elite“, wie Brandt sie nannte. Ab 1933 ging er jedoch – für Jacob Walcher „allzu schroff“ – auf Distanz zu ihr. Einige seiner Biographen meinen, weil er mit der NAP wegen seiner Mot-Dag-Kontakte in Konflikt geraten war. Die Organisation war – als „Lebensgemeinschaft“ –  1922 aus einer gleichnamigen Zeitschrift hervorgegangen, stand den „International Workers of the World“ (IWW) nahe und bezeichnete die Politik der Komintern als eine „moralische Geschmacklosigkeit“. Dennoch kam Mot Dag „mit der Forderung nach Disziplin und totalem Arbeitseinsatz dem Muster einer Kaderorganisation in Norwegen am nächsten.

Die führenden Mitglieder besetzten zudem die Schlüsselpositionen in einer Reihe von Frontorganisationen“, schreibt  Einhart Lorenz, dem zufolge Brandts Kontakte mit Mot Dag durch Jacob Walchers zustande gekommen waren. Wenig später riet Brandt der Gruppe, in der er immer mehr Aufgaben übernommen hatte, doch in die Arbeiterpartei einzutreten, wo sie sich „auf Grund ihrer Tüchtigkeit“ bestimmt schnell durchsetzen würde, er selbst ging mit gutem Beispiel – und spalterischen Absichten – voran. Noch später bezeichnete er Mot Dags politische Arbeit als „organisierte Prinzipienlosigkeit“ – stalinistisch nach außen und reformistisch im Land – und verließ die Gruppe,  die sich im Juni 1936 auflöste und tatsächlich der Arbeiterpartei beitrat.

Letztere war 1923 in Folge der russischen Oktoberrevolution als revolutionäre Oppositionsgruppe zur Sozialdemokratie in der norwegischen Arbeiterbewegung entstanden – unter der Führung von Martin Tranmael. Während die Zeitung „Mot Dag“ zunächst die Studenten bewegt hatte. Einer ihrer ersten Redakteure, Sigurd Hoel, kam aus dem „Kulturradikalismus“, einer literarischen Bewegung, die darunter in der  „Zwischenkriegszeit“ vor allem den „Kampf gegen den Faschismus“ verstand, wobei Hoel, dessen Werke auch nach 1945 diesem Kampf galten, erst marxistisch argumentierte und dann vorwiegend psychoanalytisch.

Er stand in engem Kontakt mit Wilhelm Reich, dessen Buch „Massenpsychologie des Faschismus“ 1933 in Norwegen und 1934 in Dänemark erschien. Eine zeitlang war Hoel dann auch Redakteur der Reichschen „Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie“. Nachdem Reich jedoch sein Buch „Die Bione“ veröffentlicht hatte, das einen Proteststurm in Norwegen auslöste, wurden ihm strenge Auflagen für seinen weiteren Aufenthalt im Land  auferlegt, was schließlich 1939 zu seiner Ausreise in die USA führte. (Die Norwegen-Ausstellung würdigt nun sowohl Hoels Werke als auch Reichs Theoriewandel, wozu man einen Orgon-Kasten hinter Glas zeigt).

Die Mot-Dag-Gruppe hatte sich stark für Reichs Forschungen eingesetzt. 1954 wurde der „Fall Reich“ von Arne Stai als eine der wichtigsten „Kulturdebatten“ im Norwegen der Zwischenkriegsperiode bezeichnet. Hoels „Faschismus-Essays“ nach 1945 erwähnen die Reichschen Schriften allerdings nicht mehr. Sie wurden eigentlich erst Ende der Sechzigerjahre in der norwegischen (sowie auch in der deutschen) Studentenbewegung wieder „entdeckt“. Der Faschismus ist für Hoel in seinen späteren Schriften eine „Mentalität, die jeder mehr oder weniger in sich trägt“, wie der Skandinavist Andreas Schmeling meint. An einer Stelle problematisiert Hoel darin auch das Verhältnis zwischen den Faschisten (der „Nasjonal Samling“) und den norwegischen  Widerstandskämpfern: „Hva med vare hjemme-fascister? Vi vet at det var en viss prosent av dem som ble gode nordmenn, fordi deres nasjonalfolelse allikevel var sterkere enn deres sympatier for Hitlers raselaere og tvangsmetoder“. Auch in seinen späteren Romanen kommt Hoel immer wieder auf die Okkupationszeit zurück, wobei er Zweifel an die übliche Unterteilung der Norweger in „landssviker“  und „gode nordmenn“  anmeldet.

Der junge Ostberliner Wissenschaftler  Schmeling schreibt – im Vorwort seiner Magisterarbeit über seine Motivation, sich mit dem „Kulturradikalismus“ zu beschäftigen: „Die Lektüre von Sigurd Hoels Roman ‚Mote ved Milepelen“ (1947)  bewegte mich stark, da ich in den von ihm geschilderten Schwierigkeiten mit der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ im Nachkriegsnorwegen gewisse Parallelen zur Situation im Nach-‚Wende‘-Deutschland zu sehen glaubte“. An den norwegischen Faschismus-Begriff von Reich/Hoel erinnerten vor der Wende auch schon die sieben Thesen zur „Einführung in das nichtfaschistische Leben“ von Michel Foucault:

“ – Befreie die politische Aktion von jeder vereinheitlichenden und totalisierenden Paranoia!

– Entfalte Aktion, Denken und Wünsche durch Proliferation, Juxtaposition und Disjunktion – und nicht durch Unterteilung und pyramidische Hierarchisierung!

– Verweigere den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel. Lücke), die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und einen Zugang zur Realität geheiligt hat, jede Gefolgschaft! Gib dem den Vorzug, was positiv ist und multipel, der Differenz vor der Uniformität, den Strömen vor den  Einheiten, den mobilen Anordnungen vor den Systemen! Glaube daran, daß das Produktive nicht seßhaft ist, sondern nomadisch!

– Denke nicht, daß man traurig sein muß, um militant sein zu können – auch dann nicht, wenn das, wogegen man kämpft, abscheulich ist! Es ist die Konnexion des Wunsches mit der Realität (und nicht sein Rückzug in Repräsentationsformen), die revolutionäre Kraft hat.

– Gebrauche das Denken nicht, um eine politische Praxis auf Wahrheit zu gründen – und ebensowenig die politische Aktion, um eine Denklinie als bloße Spekulation zu diskreditieren! Gebrauche die politische Praxis als Intensivikator des Denkens und die Analyse als Multiplikator der Formen und Bereiche der Intervention der politischen Aktion!

– Verlange von der Politik nicht die Wiederherstellung der ‚Rechte‘ des Individuums, so wie die Philosophie sie definiert hat! Das Individuum ist das Produkt der Macht. Viel nötiger ist es, zu ‚entindividualisieren‘ und zwar mittels Multiplikation und Verschiebung, mittels diverser Kombinationen. Die Gruppe darf kein organisches Band sein, das hierarchisierte Individuen vereinigt, sondern soll ein dauernder Generator der Entindividualisierung sein.

– Verliebe Dich nicht in die Macht!“

P.S.: 2006 meldete sich ein fünfköpfiges Filmteam des staatlichen norwegischen Fernsehsenders bei Wladimir Kaminer zu Hause. Sie wollten ihn zum norwegischen Nationaldichter Knut Hamsun befragen. Wladimir war einer von vielen Intellektuellen, die sie dazu weltweit – vor allem in den USA und in Europa –  interviewten. Es ging ihnen dabei noch einmal um die Frage:  „War Hamsun ein Held oder ein Verbrecher? Und sind seine Werke es immer noch wert, gelesen zu werden – obwohl er ein Nazi oder gerade weil er ein Nazi war? Wladimir fungierte in dem Interview-Reigen nicht als deutscher Schriftsteller, sondern als ein russischer: „Gab es Hamsun überhaupt in Russland – und wenn ja, wie wurde und wird er dort eingeschätzt, was weiß man überhaupt von ihm?“

Wladimir hatte sich auf das Interview gut vorbereitet: Seine Frau, Olga, besaß fast alle Bücher von Hamsun sowie auch von einigen anderen norwegischen Schriftstellern – Johan Borgen z.B.. Bis dahin hatte Wladimir nur ein Buch von Hamsun: „Hunger“, in einer russischen Übersetzung aus dem Jahr 1904, gelesen, das zu den ältesten Büchern in der Bibliothek seiner Eltern gehörte. Aus den neueren Vorworten erfuhr er nun auch einiges aus dem bewegten Leben von Hamsun – und konnte sich dazu gegenüber dem norwegischen Fernsehteam in Beziehung setzen: Hamsun und ich – so war der norwegische Schriftsteller z.B. zwei Mal emigriert – und dabei gescheitert… usw.. Am nächsten Tag interviewte das Fernsehteam einen anderen Berliner Schriftsteller – über Hamsun in Deutschland.

Literatur:

Wladimir Kaminer: „Die Reise nach Trulala“, München 2002

Astrid Nordang: „Svart Honning“, Oslo 2003

Kjetil Brottveit: „Nattradioen“, Oslo 2003

Neue Texte aus Skandinavien: Neue Rundschau, Ffm 2004, Heft 3

Erkundungen: 19 Norwegische Erzähler, Berlin 1975

Der letzte Hügel: Berlin 1989

Per Torhaug: „Das Waldkommando“, Berlin 2004

Max Manus: „Mitt liv“, Oslo 1995

Einhart Lorenz: „Willy Brandt in Norwegen“, Kiel 1989

Einhart Lorenz: „Exil in Norwegen, Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933 – 1943“, Baden-Baden 1992

Klaus Theweleit: „Buch der Könige“, Band 1, 2x, 2y, Ffm 1991

Hermann Weber, Andreas Herbst: „Deutsche Kommunisten, Biographisches Handbuch 1918 – 1945“, Berlin 2004

David Howarth: „We Die Alone“, Guilford 1999

Leo Trotzki: „Mein Leben“, Essen 2001
P.P.S.: Die Enkel-Recherche von Annette Leo bezieht sich auf ihren Großvater mütterlicherseits – Dagobert Lubinski. Eben las ich das Buch ihres Vaters Gerhard Leo – über seine Zeit als Partisan in Frankreich, in einer Verlagsmitteilung heißt es über ihn:

Gerhard Leo wurde 1923 in Berlin geboren. Der Vater, Rechtsanwalt, Sozialdemokrat, aus einer jüdischen Familie stammend, musste im Herbst 1933 nach einer Inhaftierung im Konzentrationslager Oranienburg mit seiner Familie nach Frankreich fliehen. In Paris eröffnete er eine kleine Buchhandlung mit antifaschistischer deutscher Literatur, die Librairie Lifa, die zu einem der Zentren des kulturellen Lebens der deutschen Emigranten wurde.

1940 musste der soeben 17 Jahre alt gewordene G. Leo aus Paris fliehen, als sich die Nazi-Wehrmacht der französischen Hauptstadt näherte. In der zunächst unbesetzten Zone im Süden schloss er sich 1942 der Résistance-Organisation TA (Deutsche Arbeit) an, die den Auftrag hatte, die Soldaten der Besatzungsmacht für den antifaschistischen Widerstand zu gewinnen. Im Mai 1943 wurde Leo, von der Résistance mit einer falschen französischen Identität versehen, als Dolmetscher in eine Kommandantur der Wehrmacht in Toulouse eingeschleust. Im Februar 1944 von der Feldgendarmerie verhaftet, ist er der vorsätzlichen Zersetzung der Wehrkraft und des Hochverrats angeklagt worden. Auf dem Transport von Toulouse zum Obersten Kriegswehrmachtsgericht in Paris, das ihn verurteilen sollte, wurde er in der Corrèze von Partisanen befreit, die ihn in ihre Reihen aufnahmen. Er kämpfte mit ihnen bis zur Befreiung des Landes, zum Schluss im Rang eines Leutnants.

Nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt, war er als Journalist tätig, zunächst in Düsseldorf, ab 1954 in der DDR. Seit 1984 lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Er ist in einer Initiative gegen die Abschiebehaft tätig. Im Januar 2004 wurde er vom Präsidenten der französischen Republik zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Gerhard Leo ist seit vielen Jahren publizistisch tätig. Als letztes erschien im trafo verlag das von ihm herausgegebene Buch: „Das Tagebuch der Denise Bardet.“ Gewidmet dem 60 Jahrestag der Zerstörung der französischen Gemeinde Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944.“

Gerhard Leo lebt in Berlin, wenn es ihm gesundheitlich besser geht, will man ihn bitten, in der Buchhandlung „Schwarze Risse“ (Mehringhof) aus seinem Partisanenbuch vorzulesen, in der Vergangenheit war er bereits mehrmals Gast in Dr.Seltsams „Frühschoppen“ im „Max & Moritz“ Kreuzberg.

Sein Enkel – Maxim Leo – hat jetzt ebenfalls ein Buch veröffentlicht. Es ist ebenfalls eine Enkel-Recherche: Das bezieht sich auf den Vater und seiner Mutter – Gerhard sowie auf den Großvater seiner Mutter – Dagobert Lubinski und Vater seines Vaters Werner. Es geht darin jedoch auch um seine Mutter Annette Leo und seinen Vater Wolf Leo.


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