von 18.04.2009

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Als erstes stellte Moderator Andreas Zumach, UNO-Korrespondent der taz in Genf, richtig, dass Obama noch nicht ganz hundert Tage im Amt ist. Und übte damit auch gleich Blattkritik an der heute in neuem Kleid erschienenen taz: Die zieht nämlich schon mal Obamas Hundert-Tage-Bilanz. Obwohl der neue Welt-Hoffnungsträger erst knapp 90 Tage Zeit hatte, um Friede und Freude auf der Welt zu verbeiten.

Was Obama schon erreicht hat, ob unsere Hoffnungen berechtigt sind und wie der Einstand des neuen US-Präsidenten in einflussreichen Teilen der Welt gesehen wird, darüber diskutierten heute sieben taz-Korrespondenten im Café Global. Titel der Veranstaltung: „Love, Peace and USA?“

200.000 Zuschauer waren es dort zwar nicht, wie damals, am 17. Juni 2008, als Obama in Berlin sprach. Dennoch: Das Café Global war rammelvoll. Schließlich waren taz-Autoren aus China, Brasilien, Russland, Ägypten, den USA und der Schweiz angereist, um über Weltpolitik und die USA zu zu diskutieren.

Moderator Andreas Zumach hielt die Diskussion betont nüchtern. Als er die Einrichtung eines palästinensischen Staats ansprach, brandete spontaner Applaus auf, den er sogleich abwürgte: „Ihr braucht jetzt gar nicht zu applaudieren“, sprach Zumach. Und hatte damit gleich die Linie vorgeben. Zustimmungsbekundungen aus dem Publikum waren in der Folge praktisch gar nicht mehr zu vernehmen.

Die Korrespondenten hatten Überraschendes zu berichten: So fand Karim El-Gawhary während des Kriegs in Gaza eine Kaffeetasse mit Obamas Konterfei und der Aufforderung: „Drink Palestinian coffee with an American flavour“. Die USA sind mit Obama im Nahen Osten beliebter geworden – die Menschen dort aber skeptisch geblieben. Ein Bauer vor seinem zerstörten Haus habe jedenfalls gesagt: „Wir sind jetzt zwei Wochen lang mit Raketen und von Flugzeugen „made in USA“ bombardiert worden. Glaubst Du, dass sich jemals etwas ändert?“

Ganz anders würden die USA freilich in Russland wahrgenommen, erzählte taz-Korrespondent Klaus-Helge Donath. Dort sei man traditionell „besessen“ vom Vorbild USA, was sich bis in die Innenpolitik abbilde. Dabei spiele es gar keine Rolle, wer gerade Präsident sei. Russland unter Putin wäre sowieso McCain lieber gewesen: Haudegen unter sich verstünden sich besser, interpretierte Donath die Sicht der Regierung. Demokraten würden nur zuviel über Menschenrechte diskutieren wollen, was die russische Führung jeweils „verunsichert“. Außerdem sei Obama in der Bevölkerung schon deshalb nicht beliebt, weil er dunkelhäutig ist: „Putin hat Rassismus und Chauvinismus in Russland salonfähig gemacht“, so Donath.

Umgekehrt konnte Gerhard Dilger von einer großen Freude über die Hautfarbe des US-Präsidenten aus Brasilien berichten, wo die Hälfte der Bevölkerung selbst afrikanische Wurzeln hat. Allerdings stößt das Interesse nicht unbedingt auf Erwiderung: Gerade dieser Tage besucht Obama erstmals in seinem Leben den südamerikanischen Kontinent. Dieser hat keine Priorität auf der Liste des neuen Präsidenten, konstatierte auch Dilger.

Das politische Schicksal Obamas hänge „an einem seidenen Faden“, sagte taz-Washington-Korrespondentin Adrienne Woltersdorf. Gemessen wird der neue Präsident in den Staaten vor allem an der Bewältigung der Wirtschaftskrise. Sollte Obama mit seinen Konjunkturpaketen in ein, zwei Jahren keinen Erfolg haben, „dann wird ihm die amerikanische Bevölkerung überhaupt keine Unterstützung mehr geben“, so Woltersdorf.

Diese ist sowieso nicht so umfassend wie man aus europäischer Sicht meinen könnte. Woltersdorf gibt zu bedenken, dass nach wie vor ein Drittel der Amerikaner Obama „vehement ablehnt“ und Bushs Politik für die richtige hielt. Und dieses Drittel dürfe er auf keinen Fall weiter verärgern: Deshalb werde sich der Verfassungsrechtler Obama auch in Zukunft nicht für eine Aufarbeitung der Foltervergangenheit der USA in Guantanamo und anderswo einsetzen, so Woltersdorf.

Mehr freuen dürfte insbesondere die europäische Linke die Botschaft der Washington-Korrespondentin, dass in den USA eine richtiggehende „Grüne Revolution“ im Gange sei. Das ganze Land sei „geradezu besoffen von der Idee, das Weltklima zu retten“. Doch auch für die USA gilt, dass nicht unbedingt überall Bio drin ist, wo „Organic“ draufsteht.

Weniger mit Weltklima retten hat man in China am Hut. Jutta Lietsch sagte, dass die Regierung in Umweltfragen immer noch jeweils  auf die Argumentation zurückfalle, dass schließlich die Industriestaaten an Ozoloch und Klimaerwärmung Schuld seien und die jetzt erstmal machen sollen.

Ermutigend für den Weltfrieden ist allerdings die Nachricht, dass Peking keine Anstalten macht, die wirtschaftlich angeschlagenen USA auf dieser Ebene anzugreifen. Aus pragmatischen Gründen: Die Hälfte ihres Vermögens hat China in US-Dollars angelegt, einen Drittel in amerikanischen Schatzbriefen.

Der freie Journalist und taz-Autor Eric Chauvistré aus Berlin übte zum Schluss der Veranstaltung Kritik an der deutschen Politik, insbesondere was Afghanistan betrifft. Hier bestehe komplette Ideenlosigkeit über eine erfolgsverprechende Strategie. Zu Bush-Zeiten habe man gesagt, dass der ja sowieso nicht zuhöre. Und jetzt sei man in einer Erwartungshaltung erstarrt, dass es der Heilsbringer Obama richten werde. Dabei, fügte Woltersdorf an, habe dieser offene Ohren für gute Ideen aus Europa. Doch jetzt, wo die USA zuhören würden, sagt keiner was.

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