Anders denken: Hat die ökosoziale Wende in der EU noch eine Chance Martin Unfried?
Aber tatsächlich fehlt im sozialen Bereich der EU eine positive Erzählung.
Frans Timmermans ist der niederländische Vizepräsident der Europäischen Kommission und hat bei einer Bürgerdebatte in Maastricht unlängst zwei interessante Dinge gesagt: Er könne nicht sagen, in welchem Zustand sich die EU in zwei, drei Jahren befinde. Die Aussage war nicht pessimistisch gemeint, eher ehrlich: Welche Kräfte in den Mitgliedsstaaten Wahlen gewinnen und damit auch das Schicksal der EU bestimmen werden, kann im Moment niemand einschätzen.
Das zweite Statement betraf die Qualität europäischer Gesetzgebung: Eine Analyse der Kommission habe ergeben, dass die viel kritisierten europäischen Naturschutzrichtlinien sehr effektive Gesetzgebung seien. Naturschützer in der EU waren erleichtert, da man befürchtet hatte, dass vor allem die Mitgliedstaaten den Naturschutz aufweichen wollten. In Großbritannien haben nun sogar 14 Naturschutzorganisationen die Regierung aufgefordert, die EU-Standards nach dem Brexit nicht zu verwässern. Das zusammenhängende Netz von Schutzgebieten nach den Maßgaben der EU-Habitat- und Vogelschutzrichtlinien ist ein stabiler Faktor gegen kurzfristige nationale und politische Begehrlichkeiten. Und weil die EU vor allem eine Rechtsgemeinschaft ist, ist die Naturschutzgesetzgebung ein Baustein einer stärkeren ökologischen Ausrichtung.
Insofern erstaunt es nicht, dass Naturschützer meist ein recht positives Bild der EU haben und sicher nicht an Segnungen der Renationalisierung glauben. Das gilt ebenso für Freunde des Klimaschutzes: Es ist nicht wahrscheinlich, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten ohne die EU national eine ambitioniertere Politik machen würden.
Wie allerdings steht es um die soziale Komponente? Anders als die Umweltleute haben viele britische Linke die EU nicht gegen den Brexit verteidigt, sondern träumten von der nationalen Zerschlagung des Neoliberalismus. Angesichts der real existierenden Mehrheiten in Großbritannien erscheint dies zwar merkwürdig, aber tatsächlich war empfundene soziale Ungerechtigkeit ein wesentliches Brexit-Motiv. Nicht Nationalismus, sondern die soziale Unzufriedenheit vieler Wähler könnte auch Wilders und Le Pen an die Regierung bringen. Dadurch könnte nicht nur die Naturschutzrichtlinie in wenigen Jahren Geschichte sein. »So what?«, meinten auch linke deutsche Freunde noch vor Kurzem (jedenfalls vor Trump). In ihren Augen ist die heutige »neoliberale«, »undemokratische« EU mit TTIP und Spardiktat ein Gegner auf dem Weg ins sozialökologische Nirwana.
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