von 07.05.2017

Ökosex

Martin Unfrieds Blog beschäftigt sich mit emotionaler Klimaintelligenz, mit der Kultur und Emotion von solarer Effizienz und Ökologie .

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14.03.2017 | Dienstag | Buchkritik | zeozwei | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe.

Yes, we can change

Jenseits von Welzer und Paech, von Kapitalismuskritik und grünem Konsum, beschreibt Felix Ekardt, was gesellschaftlichen Wandel hemmt und antreibt.

TEXT MARTIN UNFRIED

Du isst Fleisch? Im Kontext der heutigen Diskussionen um Fleischkonsum und Veganismus blitzt die alte Debatte wieder auf, die sich noch vor Jahren an klimaschädlichen Fernreisen oder der Frage des grünen Stromes abgearbeitet hatte: Wie wichtig sind persönlicher Konsum und Lebensstil mit Blick auf politische und wirtschaftliche Entwicklungen? Wie funktioniert das Wechselspiel zwischen Bürgern (Engagement und Wahlverhalten), Konsumenten (Lebensstil), Politik (Institutionen und Gesetze) und Unternehmen (Kapital und Technik) für eine gelingende nachhaltige Entwicklung?

Die Debatte wird seit Jahren auf bescheidenem Niveau geführt. Mal soll grünes Shoppen die Welt retten (Utopia), mal heißt das ökologische Grundübel Kapitalismus und Neoliberalismus (Ulrich Brand). Mal sollen uns Photovoltaik und grüne Unternehmen von der Kohle befreien (Ralf Fücks), mal ist die Green Economy nur die zerstörerische Fortsetzung von Wirtschaftswachstum im grünen Mäntelchen (Niko Paech).

Felix Ekardt, Professor für Fragen der Nachhaltigkeit und des sozialen Wandels, hat nun ein Buch geschrieben, in dem er die verschiedenen Bedingungen gesellschaftlichen Wandels differenziert beschreibt. Auf den ersten Blick irritiert der Titel: Wir können uns ändern. Das klingt erst mal eher nach persönlichem Ratgeber für individuelles Verhalten und ein bisschen nach Harald Welzers Selbst denken. Doch wird im Untertitel deutlicher, worum es geht: um »gesellschaftlichen Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution«.

Was sehr angenehm ist: Es fehlt die radikale Attitüde des großen Denkers, der einem die Welt erklärt. Deshalb wird das Buch leider auch kein Bestseller. Dafür werden die Bedingungen des gesellschaftlichen Wandels zu komplex beschrieben: Es ist ein nüchterner Blick darauf, was Bürger, Politiker, Unternehmer antreibt und wo kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit möglich sind.

Weder sind wir verblendete Konsumsklaven, noch ist der Kapitalismus alleine schuld. Deshalb trennen Welzer und Ekardt Welten. Welzer ruft beispielsweise pathetisch zur »Selbstaufklärung« und zum persönlichen »Widerstand« gegen den »totalitären Konsumismus« auf. In diesem Sinne ist Ekardt nach eigenen Angaben selbstverständlich seit Langem praktizierender Öko, vegetarisch, Nichtflieger und autolos.

»Der Kapitalismus, die Kapitalisten sind bei Ekardt nicht einfach nur Sündenböcke der Umweltzerstörung. (…) Auch deshalb ist er zwar Befürworter einer wachstumslosen Wirtschaft, sieht aber deutlich, wie schwierig der Übergang wird.«

Doch Ekardt bläst individuelles Verhalten keineswegs zur Großtat auf. Er ist nicht davon überzeugt, dass freiwillige Handlungen auf Bürger oder Unternehmensseite ohne zusätzliche staatliche Regulierung besonders zielführend sein können. Ja, individuelle Vorbilder können gesellschaftlich wichtig sein, zur Etablierung von Normalitätsvorstellungen. Wenn es aber um die gesamte Umstellung des westlichen Konsum- und Produktionsmodells gehe, dann brauche es politische Vorgaben und nicht nur Appelle an Unternehmen und Bürger. Wandel in diesem Sinne komme eher durch Salamitaktik denn durch Revolution. Das gelte für Unternehmen und Politiker, aber ebenso für Bürger und Konsumenten, da es auf allen Ebenen der zähen Veränderung von Normalitätsvorstellungen bedürfe.

Was auch sehr wohltuend ist: Der Kapitalismus, die Kapitalisten sind bei Ekardt nicht einfach nur Sündenböcke der Umweltzerstörung. Das heutige Wohlstandsniveau sei dem Wettbewerb um beste Ideen und dazu einigen Elementen von Kooperation gemeinschaftlich zu verdanken. Und es habe zur Überwindung der Massenarmut in Europa, Nordamerika und Teilen Ostasiens beigetragen. Auch deshalb ist er zwar Befürworter einer wachstumslosen Wirtschaft, sieht aber deutlich, wie schwierig der Übergang wird. Dieser sei nationalstaatlich kaum denkbar.

Hier unterscheidet sich Ekardt stark von vielen anderen Postwachstumsfreunden. Wo Niko Paech gar als Folge nationaler Antiwachstumspolitik das Auseinanderbrechen der EU begrüßen würde (»Maschine der Zerstörung«), ist für Ekardt eine abgestimmte europäische und globale Nachhaltigkeitspolitik eine wesentliche Voraussetzung für gelingenden Wandel. Auch fehlt in Sachen Postwachstum jegliches Technikbashing. Richtig, nur mit Technik werden Klimaproblem und anderes nicht zu lösen sein, allerdings brauche man neue Technologien dringend für die Nachhaltigkeit. Sehr überzeugend ist Ekardt bei der Ablehnung einer generellen normativen Bewertung von Konsum. Weniger Konsum ist eben nicht wie bei Paech (und Welzer) ein Glücksprogramm mit Befreiungsideologie. Im Gegenteil: Die Akzeptanz des »Weniger« werde ein sehr schwieriger gesellschaftlicher Prozess.

Schade, dass Ekardt nicht mehr zu den politischen Bedingungen der Salamitaktik sagt: Wie gewinnt eine Partei Mehrheiten mit einem deutlichen Programm der Nachhaltigkeit und der Wachstumsbegrenzung? Welche Rolle spielen politische Institutionen und Governance-Strukturen von der Gemeinde bis zur UN? Welche Salamitaktik führt denn zur globalen Einführung der von ihm beschriebenen Obergrenzen von fossilen Brennstoffen in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr und Wärme? Und auch die heute drängendste Frage wird nicht gestellt: Wie verknüpft man Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt? Wie sichert man die gesellschaftliche Akzeptanz für den Wandel?

Angesichts von Großbritanniens Brexit, Trumps Präsidentschaft und dem real existierenden Nationalismus ist Ekardts Buch leider von einer neuen Realität überschattet: Der »Wind of Change« ist da. Allerdings nicht in Richtung Nachhaltigkeit. Insofern wirkt die Fragestellung des Buches ein bisschen aus der Zeit gefallen.

FELIX EKARDT: Wir können uns ändern. Oekom Verlag, 2017. – 192 Seiten, 14,95 Euro.

MARTIN UNFRIED ist Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht und Erfinder von Ökosex.

14.03.2017 | Dienstag | zeozwei 2/2017 | Seite 38 | www.zeozwei.de | Das Umweltmagazin: Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. | Titelthema: KIRCHE GEGEN SCHÖPFUNG – WAS TUN CHRISTEN WIRKLICH GEGEN KLIMAWANDEL? | Yes, we can change | Jenseits von Welzer und Paech, von Kapitalismuskritik und grünem Konsum, beschreibt Felix Ekardt, was gesellschaftlichen Wandel hemmt und antreibt. | Buchkritik zu Felix Ekardt: „Wir können uns ändern“ – „Gesellschaftlicher Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution“ | Bio: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Unfried

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