vonWolfgang Koch 22.10.2011

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21.10.2011 | Von Wolfgang Koch (Die Presse)

Die öffentliche Debatte rund um Österreichs Bundesheer greift zu kurz. Die Frage lautet nicht: Allgemeine Wehrpflicht oder Hightech-Berufsheer?, sondern: Wozu überhaupt ein Heer?

Drei Tage vor seiner dritten und finalen Herzattacke, am Dreikönigsabend 1920, stellte der große österreichische Völkerrechtsgelehrte Heinrich Lammasch eine Schrift fertig, die sich als weitblickender erweisen sollte als alles, was die Gründerväter der Ersten Republik zur Zukunft zu sagen wussten. Die einzige Alternative zu einem neuerlichen Völkermord, schrieb Lammasch, sei die Verpflichtung der Staaten „zu einer wechselseitigen Versicherungsanstalt“, zu einer Dachgesellschaft der Nationen, die jedem einzelnen Staat das Recht gibt, von den anderen zu verlangen, dass sie, ebenso wie er selbst, auf das bisher ausgeübte Souveränitätsrecht verzichten.

Die allen Pariser Friedensverträgen vorangestellte Satzung des tatsächlich realisierten Völkerbundes verpflichtete ihre Mitglieder erstens zu gegenseitiger Hilfe bei Angriffen, zweitens zu einer Reduzierung der Rüstung und drittens zu offener Diplomatie. Lammasch ging einen kühnen Schritt weiter: Der Weltfriede sollte aus einer „Allianz der Neutralen“ heraus entstehen, Kriege sollten durch die Ausdehnung gegenseitiger internationaler Garantien verhütet werden.

Bei den Friedensverhandlungen 1919 hatte dieser Staatsdenker eine „Fortsetzung der Schweiz“ für unser Land vorgeschlagen, eine „norische Republik“ in Anlehnung an die helvetische. Dafür stand der stille Mann in Flammen: für einen „neutralen ostalpinen“ Kleinstaat, politisch selbstständig, wirtschaftlich lebensfähig und unter dem Territorialschutz der Völkergemeinschaft. Lammasch wagte sich über den Gräbern an absolutes Neuland heran: die Idee der Neutralität – also nie an einem fremden Krieg teilzunehmen – mit der Idee des Systems kollektiver Sicherheit – also gemeinsam Krieg zu verhindern – auf multilateralem Weg zu verbinden.

Es kam anders; erst weitere 55 Millionen Tote später setzten die Gründerväter der Zweiten Republik in 200 Verhandlungsrunden über den Staatsvertrag Lammaschs luziden Plan fast vollständig um. Der Völkerbund hieß nun Vereinte Nationen, der Unfrieden „Kalter Krieg“; und da die Tatsache von rund 700.000 NSDAP-Mitgliedern 1945 schwer auf die befreiten Gemüter drückte und verdrängt werden musste, stellte man im „Liquidierenden Heeresamt“ sofort wieder ehemalige Vaugoin-Offiziere ein, schuf ein Marinereferat (!) und begann in den westlichen Besatzungszonen eine geheime Remilitarisierung in Gendarmerie-Sonderschulen.

Bundespräsident Renner schlug ab 1946 wiederholt vor, ein neues Heer unter der Kontrolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aufzustellen – und als das fehlschlug, „eine internationale Truppe“ unter einheitlichem Kommando aus den Kontingenten der vier Besatzungsmächte. Aber die Chance blieb ungenützt, das Bundesheer diente ab 1955 dank großkoalitionärer Aufrüstungsbereitschaft der militärischen Westintegration.

Zwar wäre im atomaren Ernstfall nur mehr Zeit für das Kommando „Helm ab zum Gebet!“ geblieben, doch die legalisierte B-Gendarmerie demonstrierte nach außen, dass ein kommunistischer Vormarsch mit Insurrektionen zu rechnen hätte, und im psychopolitischen Innenraum, dass der Herr Österreicher jetzt wieder wer war und nicht niemand, unbeugsam wie ein Schweizermesser. Die Neutralitätsdoktrin verpflichtet uns seit 1955, „die Unversehrtheit des Staatsgebietes gegen Angriffe von außen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen“. Darauf folgt in den „Erläuternden Bemerkungen“ zum Bundesverfassungsgesetz der Satz: „Die dauernde Neutralität ist somit meist auch eine bewaffnete Neutralität.“ Und was meist ist, muss ja nicht immer sein.

Lammasch war im Atomzeitalter nicht überholt. Der renommierte Physiker und SPÖ-Bundesrat Hans Thirring plädierte auf einer FAO-Konferenz 1963 in Rom für den Abschluss einer Zweiten Genfer Konvention: Staaten, die unter der Kontrolle der Vereinten Nationen abrüsten, sollten ausdrücklich privilegiert werden, sie sollten ihre Streitkräfte im Alleingang auf Polizeitruppen reduzieren, Angriffe gegen sie sollten als „völkerrechtswidriges Verbrechen“ gelten.

Jeder vernunftbegabte Mensch weiß das seit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts: Die Auflösung der nationalen Streitkräfte ist für eine effektive Friedensmacht der Weltinnenpolitik letztlich unerlässlich. Wäre es da nicht logisch, wenn zunächst einmal die kleinen Staaten dem Sicherheitsrat ihre Truppenkontingente zur Verfügung stellen?

Thirring argumentierte, stehende Heere würden Konflikte begünstigen. Streitigkeiten entstünden überproportional oft durch kleinere Staaten. Anderseits sei es gerade ihnen leichter möglich, die Armee abzuschaffen. Die Kleinen könnten damit ihre Wirtschaftslage entscheidend verbessern.

Viele Menschen haben sich diesem Pragmatismus angeschlossen. Dem Thirring-Plan für die „unbewaffnete Neutralität“ Österreichs stellten sich hauptsächlich zwei Gruppen entgegen: Aktionäre der Rüstungsindustrie und Berufsoffiziere, die um ihre Existenz bangen mussten. Der Publizist und Gewerkschafter Günther Nenning kritisierte regelmäßig, dass der Aufwand, den Österreich für sein Heer betreibt, keinem einigermaßen lohnenden Zweck entspreche. Gemeinsam mit dem ehemaligen katholischen Widerständler Wilfried Daim sammelte er 1969 bis 1973 28.000 amtlich beglaubigte Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens gegen das Heer, deren Verbleib bis heute ungeklärt ist.
Es stünde schlimm um die Regierung, wenn wir von ihren Unterlassungen mehr zu erhoffen hätten als von ihren Handlungen. Seit 2010 ist die Abschaffung der Wehrpflicht ein Dauerthema, der Leidensdruck durch Verschwendung, Leerlauf und die anderen Alterserscheinungen einer völlig überlebten Institution ins Unermessliche gewachsen. Dass das Bundesheer seine Existenzberechtigung verloren hat, erkennt heute jeder aufmerksame Bürger leichter als die zahlreichen „Experten“. Sämtliche Heeresreformen der vergangenen Jahre sind daran gescheitert, dass die Politik das dafür notwendige Budget verweigerte. In der Truppe kommt auf sage und schreibe 328 Mann je ein General; das Dienstrecht hat dem Heer die exorbitante Anzahl von 144 Brigadiers eingetragen, und diese Ein-Stern-Generäle versitzen buchstäblich ein gigantisches Verwaltungsbudget.

Bei einer Mobilmachungsstärke von 55.000 Mann würden im Ernstfall zirka 2840 Offiziere aufgeboten, 10.200 Unteroffiziere, 3500 Chargen, 11.200 Grundwehrdiener und 26.300 Milizsoldaten (zusätzlich werken noch 9000 Zivilbedienstete für das Bundesheer). Zur Erfüllung der „Kernaufgaben“ wäre eine Truppe von 15.000 bis 16.000 Soldaten realistisch; 5.000 davon werden für die Auslandseinsätze benötigt (jeweils ein Drittel davon in Rotation); der Rest steht als Kapazität für Katastrophenhilfe und Assistenzeinsätze im Inland zur Verfügung.

Das Verteidigungsministerium, eine Institution von kakanischen Ausmaßen, beschäftigt 23.028 Personen, davon 939 in der Zentralstelle (2011) – das sind 17 Prozent der Beschäftigten beim Bund. Nach den Verwaltungsbeamten, Lehrern und der Exekutive die viertgrößte Masse im öffentlichen Dienst. Durchschnittliches Alter: 40,6 Jahre. In diesem Biotop gedeihen lebenslange Innendienstler, Pornodrehs, „Mondscheinkompanien“ und „Sumpftruppen“. Als Hauptkuriosum aber werden einerseits rund 60 Prozent der Rekruten als Systemerhalter eingesetzt; schieben Dienst in der Küche, als Wache, Gärtner, Chauffeur oder Kellner – und auf der anderen Seite gibt es Truppenteile im Ausland, die komplett ohne Grundwehrdiener auskommen.
Zeiten können sich immer ändern. Im parlamentarischen Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses steht seit Juni 2011 ein Papier des Bundeskanzlers zur österreichischen Sicherheitspolitik zur Beratung. Das Bild unserer Regierung vom Zustand der Welt ist depressiver, als es sein müsste. Vom Terrorismus bis zur Piraterie, von Cyberattacken bis Wasserverknappung listen die Autoren gleich 22 mögliche Gefahren auf, die auf eine konstante Gewaltbedrohung hinauslaufen. Genau diesen konstruierten Angst-Raum stellte der angesehene US-Forscher Joshua S. Goldstein jüngst infrage. In der September-Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „Foreign Policy“ hat der Spezialist für internationale Beziehungen verblüffend Erfreuliches über den Zustand der Welt zu vermelden. Goldstein widerspricht der gängigen Darstellung, nach der es seit 2001 im Global Village immer brutaler zugehe. Es habe in der vergangenen Dekade weniger Kriegstote gegeben als in jeder Dekade der vergangenen hundert Jahre. So teuer der „Krieg gegen den Terror“ den Westen auch zu stehen komme, so schnell bewege sich die Welt auf den Frieden zu. „Seien Sie nicht überrascht“, so Goldstein, „wenn das Ende aller Kriege regelrecht denkbar wird.“

Ganz anders am Minoritenplatz. In Österreichs „neuer Sicherheitsstrategie“ verschmelzen die Krisenherde zum Bedrohungsszenario eines verunsichert-entschlossenen Kollektivs in einer feindlich-unberechenbaren Welt. Der Staat scheint nüchterne Risiko- und Chancenabwägung in einem Welttheater zu betreiben. Ein Ideal von Beweglichkeit und Interventionsbereitschaft verwaltet unsere Ängste und Aggressionen; militärische Auslandseinsätze an exterritorialen Konfliktherden sollen als Sicherheitsgewähr im Homeland zurückwirken.

Das Bundesheer sucht heute die Zusammenarbeit mit zivilen Projekten, um sich eine Rechtfertigung zu geben und um sich tiefer in der Gesellschaft zu verankern. Aber es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten durch Militäreinsätze künstlich eine universalistische Globalkultur kreieren. Es zählt zu den schlimmsten Lügen der Gegenwart, Gewalt als etwas Rätselhaftes, der Wirtschaftsordnung Äußerliches hinzustellen, das durch Truppenentsendungen beherrschbar sei.

Es ist natürlich in Ordnung, wenn Militärplaner argumentativ um ihre Existenzgrundlage ringen. Die Frage ist allerdings, ob sie sich noch im Bereich des Vernünftigen bewegen und die Regierung auch Argumente von zivilgesellschaftlicher Seite zulässt.

Die ganze Existenzfrage des Bundesheeres dreht sich mittlerweile darum, welche Rolle Österreich im internationalen Helfer-Business spielen soll. Soll es mitwirken an einer neuen Weltordnung der Gated Communities, der Off-Road-Missionen und der Aufstandsbekämpfung, bei der, etwa im Krieg am Hindukusch, die benachbarten deutschen und US-Einheiten gleich die kostengünstigere Anti-Terror-Strategie des gezielten Tötens anwenden?

Konfliktverhütung, Peacebuilding, Post-Konflikt-Stabilisierung und Friedenssicherung im Ausland – Heinz Gärtner, Universitätsprofessor am Österreichischen Institut für Internationale Politik, hat es deutlich ausgesprochen: „Die meisten dieser Aufgaben können nur von Freiwilligen und Berufssoldaten wahrgenommen werden.“

Natürlich bedeutet ein Freiwilligenheer keinen Vollbeitritt zur Nato; und es wäre auch keine Vorleistung auf die Europaarmee. Das sind Unterstellungen. Doch da Österreich mit der Neutralität und mit seinen streng mandatierten Auslandsmissionen anderen Staaten schon einen Riesenschritt voraus ist, kann es heute wohl nur darum gehen, den Fuß ein weiteres Mal nach vorne zu setzen und die Austro-Marke mit dem Ölzweig im Schnabel zu stärken.
Österreich soll nicht länger auf „Klystieren ruhen“, wie das der unvergessliche Gefreite Švejk formuliert hat; auf einem Zwang, der ohnehin nur die Männer umfasst. Seit 1960 haben mehr als 90.000 österreichische Soldaten und zivile Helfer an mehr als 50 internationalen friedensunterstützenden und humanitären Missionen teilgenommen. Derzeit sind in 13 Auslandseinsätzen 1347 Soldaten unterwegs; 70 Prozent davon am Balkan, 24 Prozent im Nahen und Mittleren Osten. Blaubehelmtes Peacekeeping ist eine gute Sache. Eine Hightech-Armee aber potenziert die Versuchungen des „humanitären Interventionismus“, dieses Fanatismus der Aufklärung, ohne zureichenden Sinn für ungewollte Handlungsfolgen. Als im Mai der flüchtige 26-jährige Berliner Jihadist Yusuf O. alias Ayyuh Almani in Wien verhaftet wurde, gab dieser Terrorverdächtige zu Protokoll, durch den Bundeswehreinsatz in Afghanistan werde „ein Angriff auf Deutschland für uns Mudschaheddin verlockend“. Je mehr sich deutsche Außenpolitik an Militärinterventionen beteiligt, desto größer wird die Gefahr von Terroranschlägen im eigenen Land.

Nächstes Fragezeichen: die Kosten. Kaum jemand glaubt, dass ein entsichertes Berufsheer weniger kostet als das Waffendienstsystem. Die Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass dem Modell schnell Rekrutierungsprobleme erwachsen; die „Kasernentürken“ müssen durch teures Kaderpersonal oder Leiharbeiter ersetzt werden.

Österreichs Wehrbudget (inklusive Sport) war 2010 mit 2,2 Milliarden Euro (0,77 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) dotiert. Das „adaptierte Freiwilligenheer“ würde sich nach Verteidigungsminister Norbert Darabos auf künftig 1,9 Milliarden Euro jährlich belaufen. Rund 2000 Millionen Euro jährlich – mit einem Bruchteil dieser Summe ließe sich die staatliche Mindestsicherung ausweiten, und es könnten alle für die Ärmsten eingerichteten Sozialmärkte, diese größte Schande im Land, sofort wieder geschlossen werden.

2.000.000.000 Euro, und das jährlich – für 12.500 Profisöldner, die auf Überschwemmungen warten, und für die Auslandsoperationen weiterer 1100 Mann, wie es der Verteidigungsminister vorschlägt? Das ist für die Mehrheit der Österreicher garantiert jenseits von Gut und Böse. Darabos‘ kriegsdienliches Modell sieht ein Anreizsystem vor, welches natürlich über dem mittleren Bruttojahreseinkommen von 37.123 Euro eines Beschäftigten liegen muss. Eine Kalkulation liegt noch nicht vor, kann es auch nicht, denn es wäre nicht die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, wenn hinter dem Kulissenzauber der „Konzepte“ nicht bereits die Schlacht um neue Gehaltsansätze im Gange wäre.

Mit der Wehrpflicht entschwindet auch der Zivildienst, weil es sich dann um einen Zwangsdienst handeln würde. Das Hauptproblem des Heersumbaus aber ist, dass die Professionisten einer Freiwilligenarmee gewöhnlich schon mit Ende 30 wieder aus der „Kultur der Angst“ ausscheiden und ins zivile Berufsleben übertreten. Jedes moderne Berufsheer benötigte eine effektive Doppelstruktur, um seinen Dienstnehmern auch eine vollwertige Berufsausbildung für danach anzubieten. Über Arbeitsmarktchancen, mögliche Berufsfelder und den Aufbau integrierter Fachhochschulen denken unsere Wehrpopulisten aber noch nicht einmal nach.
Die Zukunft des österreichischenBundesheeres hat viele Namen: EUMM, EUPM, EULEX, EU-BAM, EUPOL COPPS, EU-JUST-Lex, EUPOL. So heißen die derzeit sieben internationalen Einsätze, an denen österreichische Polizisten teilnehmen. 300 Exekutivbeamte haben den notwendigen Ausbildungskurs absolviert, 34 Uniformierte stehen im Einsatz, 23 Missionen sind abgeschlossen.

Die Stabilisierung eines jeden Konfliktherdes ist kostspielig und setzt viel voraus. Sie muss völkerrechtliche Legitimität besitzen und bei den Betroffenen als legitim gelten. Die benötigten Mittel sind immens; nach der Studie von Preble/Logan (2006) sollten auf je 1000 Einwohner 20 Soldaten anreisen, für mindestens fünf Jahre.

Von außen erzwungene Waffenruhen bleiben instabil, wenn sie nicht von einer politischen Lösung begleitet werden. In Statebuilding investieren heißt: Polizei und zivile Konfliktbearbeitung fördern. Warum also, wenn sich das große Mitgefühl für Krisenopfer regt, nicht lieber gleich zehn Ordnungshüter auf 1000 Einwohner entsenden, statt auf noch mehr Soldaten zu setzen?

Es ist eine gute Tradition, auf Wehrfähigkeit zu halten, doch es ist vermessen, nach Art solcher Abenteuer die ganze Welt beglücken zu wollen. Ein demilitarisiertes Österreich sollte sich bei Auslandsmissionen auf die Sicherheitssektorenreform (SSR) konzentrieren – das Konzept stammt aus der Entwicklungszusammenarbeit und verfolgt das Ziel, die Sicherheitskräfte eines Landes demokratisch zu kontrollieren und für Menschenrechtsfragen zu sensibilisieren.

Soldaten im Ausland sind kostspielig; hinsichtlich ihrer Finanzierung hat eine Heeresstudie von Heiko Borchert schon 2007 den Vorschlag unterbreitet, „neue Quellen an den Finanzmärken durch Public-Finance-Initiativen zu erschließen“. Warum aber überhaupt „anspruchsvolle High-End-Einsätze“ nach den Standards der Rüstungsindustrie? Weil der Nato immer noch mehr zuzutrauen ist als den Vereinten Nationen?

Das muss nicht so bleiben. „Robustere Einsätze“ von Battlegroups sind keineswegs der Universalschlüssel zur neuen Weltordnung. Es geht nicht um die Fähigkeit, im Gefecht durchzuhalten, sondern darum, Menschen auszubilden. Bei SSR ist Intercultural Behaviour die wichtigste Kompetenz. Wer zum Beispiel in den Kosovo geht, muss erst einmal wissen, dass er mit vor der Brust verschränkten Armen dazustehen hat („Ich tue dir nichts, ich will mit dir reden“), wenn er bei Einheimischen Eindruck machen möchte. – Ohne Frage ist gelegentliche Gewaltanwendung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Gewaltregimes vonnöten. Aber westliche Bellizisten gibt es schon genug. Polizeimissionen sind garantiert die bessere Option, und der demonstrative Armeeverzicht ist das überzeugendere Signal an die Unterdrückten dieser Erde. Es wird höchste Zeit, dass sich endlich ein EU-Mitglied auf der Liste der 25 armeelosen Länder einfindet, die entweder einen Demilitarisierungsprozess durchlaufen haben (Japan, Costa Rica, Panama) oder schon ohne Streitmacht gegründet worden sind (Island, Vatikan, Tuvalu).

Österreichs konventionelle Abrüstung, die Abwicklung des Bundesheeres, stellt keine Beschränkung der Teilnahme an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union dar, wir ersetzen nur militärische Leistungen durch das sinnvollere polizeiliche Mitwirken. Gegenüber Terrorattacken war das ja schon bisher die bessere Option – oder haben Sie etwas davon gehört, dass militärische Nahkampfverbände die Attentäter von Madrid (2004) und London (2005) ausgehoben haben?

Unantastbar ist ein unbewaffnet neutraler Staat nicht, unantastbar ist keiner. Wer aber hat durch Hochrüstung und militärische Out-of-Area-Einsätze seinen Bürgern ihre Ängste genommen? Die USA nicht. Sicherheit und die berühmte Lufthoheit über die Gefühle gewinnen, das lässt sich heute am besten durch beziehungsstarke Netzwerke und das Empowerment der Habenichtse. Mit einem solchen Solidarbeitrag wird Österreich weiter internationale Reputation gewinnen und negative Rückwirkungen verhindern, mit Militärkapellen im Wüstensand nicht.

„Die Auslandseinsätze sind auf hohem Niveau fortzusetzen“, tönt Werner Faymann bei jeder Lächelparade. Gut, dann beschränken wir doch die Teilnahme an den EU-Krisenreaktionskräften zuerst einmal auf polizeiliche Aufgaben. Ein Polizeikontingent in der Stärke der schon jetzt ins Ausland rotierenden Militärkräfte (5000), ein Drittel der Kadertruppe in die zivile Verwaltung, der Rest zu privaten Sicherheitsfirmen, welche die „sekundäre Aufgabe“ des Objektschutzes übernehmen – annulliert ist das Bundesheer. Das entspricht freilich einer Strukturveränderung im Staatsgefüge. Die „Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit“ überlassen wir guten Gewissens dem Innenministerium.

Es gäbe wirklich viel zu tun für eine unverkrampfte Regierung: Um sich auf Katastropheneinsätze vorzubereiten, müssen a) die Feuerwehren durch eine Bundesakademie aufgewertet und b) das schwere Gerät der Pioniere an zwei Standorten im Bundesgebiet konzentriert werden. Auch die ABC-Abwehr wandert samt Chipssackel, Schnorchel und Elch zu den Florianijüngern; Militärstreifen wechseln Aufgaben und Uniform im Innenressort, Nachrichtendienstler und Militärhundezentrum in den Kriminaldienst; Fernmelder ziehen für die Polizei in den Cyberwar; Heeresmuseum und Sport übernimmt das Kulturressort; die Garde folgt salutierend den Sängerknaben. Vom Erlös aus den Liegenschaften und dem Verkauf der umstrittenen Eurofighter war noch gar nicht die Rede. Aus der Konkursmasse der Luftstreitkräfte sollte nur das Radarbataillon in die zivile Luftraumüberwachung übernommen werden; Geschwader und Fliegerwerften dürfen der Staatskasse nicht länger zur Last fallen. Es gibt 4000 Abfangjäger am europäischen Himmel: Da muss es doch möglich sein, den Luftraum durch regionale Zusammenarbeit zu schützen.

Wer wären die unvermeidlichen Verlierer dieser Außerdienststellung des Heeres? Zivilbedienstete, Zivildienstorganisationen, Zivilversager, Kantinenbetreiber, Kriegsverkäufer, sprich: Armeelieferanten und Waffenlobbyisten wie Alfons Mensdorff-Pouilly, Schmiergeldempfänger und in der Folge wohl auch die nichtswürdigen Exporteure (der EU-Jahresbericht für 2009 schätzte Österreichs Rüstungsexporte auf 350 Millionen Euro). Und wer wären die massiven Gewinner? 30.000 junge Männer pro Jahrgang, die Exekutive, die Feuerwehren, die frühpensionierten Generäle, die umgeschulten Kader, das Finanzministerium, die Steuerzahler, die internationale Gemeinschaft, der Weltfriede, wir alle.

Aber, was sage ich? „Das Bundesheer abschaffen…“ – Der Fluch für uns Österreicher liegt doch darin, dass wir nur um den Preis einer neuen Illusion dazu gebracht werden können, die alte zu opfern. ■

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.10.2011)

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