vonBenjamin Kiersch 26.08.2011

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Liebe Freundinnen und Freunde,

Ihr habt sicherlich die Bilder des gestrigen Tages im Fernsehen gesehen und die Berichte in den Medien verfolgt. Mich haben einige dieser Bilder und Berichte tief berührt. Ich weiß: Ich bin Gast in Chile, und als solcher zur Zurückhaltung bei politischen Themen verpflichtet. Aber ich bin auch Vater, Musiker, und Deutscher, und in diesem Sinne möchte ich euch heute schreiben.

Als Deutscher, denn: ich hatte zwar das Glück, auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs geboren zu sein, aber die Familien meiner Eltern stammen aus Ostdeutschland, und ein Teil meiner Familie lebte in Bautzen. Aus der Ferne bekam ich mit, wie sie darunter litten, dass das autoritäre Regime der DDR ihre persönlichen Freiheiten beschnitt. Als Musiker, da ich weiß, dass Künstler in autoritären Systemen ein besonders schweres Leben haben, oder gar ihr Leben verlieren, wenn sie nicht die Meinung des Regimes vertreten. Und als Vater, denn ich liebe meine Töchter, und ich möchte nicht, dass ihnen etwas zustößt.

Ich freue mich, in Chile zu Gast zu sein: es ist ein wunderschönes Land mit einer unglaublichen kulturellen und landschaftlichen Viefalt. Ich kenne viele tolerante, kreative, unternehmerische und solidarische Menschen, die hier leben.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=iQRKR2SQ2ZY[/youtube]

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Ich bin überzeugt, dass Chile ein funktionierender Rechtsstaat ist, und dass der chilenische Staat die Menschenrechte achtet und schützt. In dem Zusammenhang möchte ich auch klarstellen, dass es meiner Meinung nach absolut gerechtfertigt ist, wenn die Polizei vermummte Randalierer, deren einziges Ziel es ist, Gewalt zu schüren, zur Not mit Gewalt daran hindert, andere Menschen zu gefährden und Sachbeschädigung zu verursachen.

Allerdings: Wenn ich den Tatsachenbericht einer mir bekannten Chorsängerin aus Santiago lese, deren siebzehnjähriger Sohn vorgestern Nacht von der Polizei festgenommen und auf dem Polizeirevier misshandelt wurde; wenn ich die Bilder des friedlichen Gitarrenspielers in Puerto Montt sehe, der, von dem harten Strahl eines Wasserwerfers getroffen, ins Taumeln gerät…

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=VLI9XTeZQ2I[/youtube]

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und von Schülern, die friedlich tanzend und musizierend vor dem Einkaufszentrum Parque Arauco demonstrieren…

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=bgQOuKvz32g[/youtube]

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und von Polizisten in Kampfanzügen und ohne Namenschild festgenommen und wie Kriminelle in einen engen Gefangenentransporter gepfercht werden…

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=pnUqfp6C1qw[/youtube]

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dann fallen mir die Worte des Chemikers und Schriftstellers Primo Levi ein:

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Mit solidarischen Grüßen,

Benjamin

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https://blogs.taz.de/offener_brief_an_meine_chilenischen_freundinnen_und_freunde/

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