War diese Schlagzeile nun rassistisch? Bei der Wahl der Leser unter 60 taz-Titelseiten kam „Onkel Baracks Hütte“ auf Platz 9. Der Titel erschien am 5. Juni 2008, als Barack Obama sich bei den Vorwahlen der Demokraten gegen Hillary Clinton durchgesetzt hatte und klar war, dass er gegen den Republikaner John McCain antreten wird. Der Titel wurde unter den taz-Redakteuren und unseren Lesern damals heftig diskutiert (siehe die in der taz abgedruckten Leserbriefe).
Die Haupt-Kritik an dem Titel: Es ist eine Beleidigung, einen Schwarzen „Onkel Tom“ zu nennen, denn in dem 1851 erschienenen Buch von Harriet Beecher-Stowe mit diesem Titel wird die Hauptfigur – ein schwarzer Sklave – als unterwürfig und schicksalsergeben dargestellt. Der Name wird als abschätzige Charakterisierung für einen schwarzen Verräter verwendet, der sich den Weißen fügt und unterordnet.
Oft wurde auch kritisiert, dass es grundsätzlich falsch sei, in der Berichterstattung über Barack Obama überhaupt herauszustellen, dass dieser schwarz sei. Dies sei völlig irrelevant, es komme doch auf seine Politik an. Seine Hautfarbe trotzdem zu erwähnen, sei rassistisch. Und außerdem sei seine Mutter eine Weiße – Obama also nur ein Halbschwarzer. Wie lange wolle die taz jemanden, der teilweise von Schwarzen abstamme, noch als Schwarzen darstellen?
Die Verteidiger des Titels argumentierten: Der Titel zeige doch gerade, dass ein Schwarzer, der vor anderthalb Jahrhunderten noch als unterwürfiger Sklave charakterisiert wurde, es heute bis ins Weiße Haus schaffen kann. Der Titel gebe dem Triumph Ausdruck, dass Onkel Tom heute passé ist – und das auf humorvolle Art und Weise.
Es sei auch zulässig, zu erwähnen, dass Obama schwarz ist. Wir würden uns die Welt kunterbunt lügen, wenn wir so tun würden, als ob seine Hautfarbe in der öffentlichen Debatte und bei den Wählern keine Rolle spielen würde. Darum sei es schließlich auch in der ganzen Auseinandersetzung um seinen Pastor Jeremiah Wright gegangen. Das Schwarzsein sei eine reale Zuordnungen der Fremd- und der Selbstwahrnehmung – egal wie differenziert die Gruppe der Schwarzen in sich ist.
Kritiker antworteten darauf, dass auf dem Titel und auch sonst in der Berichterstattung das Identitätsmerkmal „Schwarz“ in den Vordergrund gerückt wird. Das geschehe zu Lasten von politischen Beobachtungen, etwa: Endlich wurde in den USA mit den Familiendynastien gebrochen – ein Gewinn für die Demokratie. Oder: Ein Nicht-Reicher, der seine Kampagne mit vielen Kleinspenden finanziert hat, hat die Chance auf das Weiße Haus.
Ich persönlich sehe es wie unsere Leser, die den Titel zu einem der besten der taz gewählt haben. Irrelevant ist dabei für mich die ganze Debatte, ob „Onkel Tom“ nun eine Beleidigung ist oder gerade den heute für Schwarze möglichen Aufstieg zeigt. Denn diese ganze Konnotation hat „Onkel Tom“ in den USA – aber nicht bei den meisten Lesern in Deutschland. In unserem Kulturkreis ist „Onkel Toms Hütte“ als ein Roman bekannt, der irgendwie von einem schwarzen Sklaven handelt, ohne dass man viel mehr vom Inhalt weiß. Die Debatte um den Roman und das Rollenbild von „Onkel Tom“ ist hier den meisten Lesern nicht präsent. Das kann man falsch finden, aber wenn es um die Frage geht, ob etwas eine Beleidigung ist, muss man das nach den Lesern beurteilen, die man in Deutschland hat.
Ein anderes Beispiel: In den USA ist das Märchen „The Wizard of Oz“ ein Standardwerk, das allgemein als bekannt vorausgesetzt wird, hier hingegen ist es völlig unbekannt. Der Spruch „Toto, I’ve a feeling we’re not in Kansas anymore“ ist eines der bekanntesten Zitate aus der Verfilmung und in den USA eines der bekanntesten Filmzitate überhaupt. Der Spruch ist inzwischen zu einer Art „Überklischee“ geworden, heißt es in dem Blog „USA erklärt“:
Nun ist Kansas hauptsächlich für seine Weizenfelder bekannt. Es gibt in Filmen meist keinen guten Grund, über diesen Bundesstaat zu sprechen. Wir können daher eine Faustregel aufstellen: Wenn das Wort „Kansas” plötzlich irgendwo auftaucht, sollte man sofort an Oz denken.
Anders in Deutschland: Hier denkt man bei „Kansas“ an „irgendwas in den USA“ und ist sich nicht einmal ganz sicher, ob es ein Bundesstaat oder eine Stadt ist. In einer deutschen Zeitung klappt die Kansas-Anspielung also nicht. Man kann also das Wort benutzen, ohne seine Bedeutung in den USA dabei mitzuberücksichtigen.
Noch ein Beispiel: In den USA ist der Mythos weitverbreitet, dass John F. Kennedy bei seinem Satz „Ich bin ein Berliner“ einen grammatikalischen Fehler gemacht habe. Richtig wäre demnach nur „Ich bin Berliner“ gewesen. Der Satz von Kennedy sei dagegen so verstanden worden, dass Kennedy behauptet, er sei ein in Fett gebackenes Hefegebäck mit Marmeladenfüllung (was in Berlin als „Pfannkuchen“, in anderen Regionen als „Berliner“ bekannt ist). Die Zuhörer hätten Kennedy daraufhin ausgelacht, so die Legende. Wenn der Satz in den USA zitiert wird, dann steht er dort offenbar dafür, wie man sich durch unsauberen Gebrauch einer fremden Sprache im Ausland lächerlich macht. In Deutschland steht der Satz dagegen für einen wichtigen Moment des Kalten Krieges: Die Solidarisierung der USA mit West-Berlin nach dem Mauerbau. Die Legende in den USA ist dagegen hier völlig unbekannt. Wenn man in einer deutschen Zeitung diesen Satz verwendet oder ihn abwandelt, dann bezieht man sich dabei also auf die deutsche Rezeption des Satzes und nicht auf die in den USA. Und genauso muss es meiner Meinung auch bei „Onkel Tom“ darauf ankommen, was in Deutschland bei diesem Begriff mitschwingt – und wenn ich bei meiner Einschätzung nicht falsch liege, dann schwingt da nicht viel. Unter diesen Voraussetzungen finde ich die Schlagzeile „Onkel Baracks Hütte“ witzig und treffend. Noch besser hätte ich allenfalls „Onkel Obamas Baracke“ gefunden.
Sebastian Heiser ist Redakteur im Berlin-Ressort der taz