vonLalon Sander 29.10.2013

Aus dem Onlinebunker

Die tägliche Arbeit im taz.de-Ressort spült Bemerkenswertes, Skurriles und Anregendes in die Inboxen. Das meiste davon geht verloren – einiges wird hier gesammelt.

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Update 30.10.: Es gibt inzwischen zwei Antworten/Zurechtweisungen. Einmal auf Textdump und einmal bei Thorstena.

 

Die totale Überwachung der Kommunikation von Bürgerinnen fremder Staaten wirft die Frage nach deren Souveränität auf. Schließlich ist der auch auf liberalen Wattebäuschen zähneknirschend anerkannte Zweck eines Steuern erhebenden und mit Gewaltmonopol ausgestatteten Zwangsapparates der Schutz seiner Insassen.

 

Sind wir nun schutzlos, wo die NSA noch die Telefongespräche der Kanzlerin mitschneidet? Hat unser Staatswesen seinen Zweck verfehlt? Natürlich lässt sich argumentieren, dass „Europa“ (genauer: Deutschland) Autorität und Souveränität eingebüßt habe. Da staatliche Souveränität jedoch nicht nur, vielleicht sogar zum kleinsten Teil, aus materiellen Gegebenheiten entsteht, greift der Gedanke zu kurz.

 

Staatliche Souveränität ist zuallererst eine Erzählung, eine Präsentation, die geglaubt werden will. Dass der Spionageskandal so unangemessen wenig Empörung verursacht und angesichts der Verharmlosungen durch die Bundesregierung bisher kein schweres innenpolitisches Erdbeben auslöst, zeigt, dass diese Erzählung weiterhin funktioniert. Berlin ist kein Vorort von Washington. Das kann ich glauben, genau so wie das Gegenteil. Ich muss nur die der jeweiligen Position widersprechenden Fakten als von nachrangiger Bedeutung ansehen oder gleich ganz ignorieren.

 

Strukturerfahren Machttechnikerinnen ist die Bedeutung der Kontrolle über Datenströme und Kommunikation vollends bewusst. Solange eine Bevölkerung aber den Wert von Information nicht erkennt und zum allergrößten Teil nie mit den unmittelbaren Folgen der informationsgestützten Intervention der fremden Macht konfrontiert war, wird sie auch kein Schutzbedürfnis entwickeln. Ohne Bewusstsein für die Macht der Daten gibt es kein Bewusstsein für verlorene Souveränität. Alle Macht mag „vom Volke ausgehen“. Ein paar Uniformen in der Fußgängerzone zum Schutze vor Bettlern mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus genügen diesem jedoch als Repräsentation dieser auf Dauer an den Staat verliehenen Macht.

 

Im Carl Schmitt’schen Sinne handelt es sich bei Souveränität um ein Absolutum „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Ob Fürst, ob Führer, da war Schmitt ganz offen. Es handelt sich dabei jedoch im reaktionären Sinne um einen Idealzustand, der so gar nicht zu verwirklichen ist. Zum Glück. Angela Merkel zeigt in der Spionagesache (wie auch sonst immer wieder), wie Souveränität statt dessen in der Praxis funktioniert. Ihre Steuerung durch Abwägung, die getimte Empörung mit der ihr die Inszenierung als Opfer zu gelingen scheint – das ist natürlich nicht so sexy wie ein absoluter Monarch, aber keineswegs weniger wirksam.

 

Merkel weiß, dass Souveränität im tagespolitischen Kleinklein ein symbolischer Wert ist. Materiell droht keine Gefahr. Weder stehen bewaffnete fremde Horden vor der Tür, noch ist die ökonomische Macht gefährdet. Die Internetüberwachung ließe sich zwar als unerlaubter Grenzübertritt im virtuellen Raum beschreiben, wird öffentlich aber kaum als solcher wahrgenommen, außer die Kanzlerin selber definiert ihn als solchen. Die interessierte Netzöffentlichkeit schüttelt verwundert den Kopf über Merkel, höhnt ein bisschen, ist aber auch froh, dass die Überwachung nun eine höhere Aufmerksamkeit erhält. Auf nationaler Ebene, wohlgemerkt.

 

Dieses Internet, überhaupt der internationale Datenverkehr, lässt sich mit den Kategorien einer auf Landkarten so schön abgeteilten Nationalstaaten überhaupt nicht erfassen. Es gibt keine Grenze. Punkt. Staatliche Souveränität ist hier ein Relikt, dessen Spät-Erscheinungsform dann doch wieder die Gewalt ist – Kabel kappen, Drohnen, Guantanamo, das ganze Programm. Keine nationale Regierung kann uns aber davor schützen, dass es einen Raum gibt, der von einer ganz anderen Macht als Polizei und Grenzschutz transzendiert wird. Dieser Raum ist nicht im traditionellen Sinne regierbar. Es gibt hier keine Entität, die den Ausnahmezustand ausrufen, mithin souverän sein könnte.

 

Alles was dem Staate bleibt, ist, mit einem gewaltigen Überwachungsapparat dem Schwinden der eigenen Einflusssphäre zuzuschauen. Je dichter die Maschen des weltweiten Netzes sind, umso frustrierender dürften die Briefings im Situation Room des Weißen Hauses sein. Die sich anbahnende Regierung der nationalen Einheit mit ihrer überwältigenden Mehrheit im deutschen Bundestag kann nun versuchen, auf der selben Ebene mitzuspielen – oder einfach weiter die Illusion nationaler Souveränität aufrecht erhalten. Solange wir damit einverstanden sind, kann die NSA so viele Telefongespräche abhören wie sie will, ohne dass sich etwas an dieser Erzählung ändert.

 

Eine Opposition, parlamentarisch oder außerparlamentarisch, möge nun nicht darauf verfallen auf diesen illusionären Charakter hinzuweisen, um eine Souveränität im Schmitt’schen Sinne einzufordern. Das wäre ein wenig so, als würde man des Kaiser Blöße hilfreich mit einem Mantel zu bedecken suchen. Es braucht keine besseren Uhls, Friedrichs und Pofallas. Es braucht ein Bewusstsein für den Wert und die Macht der Informationen und eine glaubhafte Erzählung darüber, dass die Verfügungsgewalt darüber nur vom Individuum selber -souverän- ausgeübt werden und ihr Schutz nicht an eine wie auch immer geartete höhere Macht outgesourct werden kann.

 

Wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, ist eine Belohnung fällig. Eddie Izzard „Do you have a flag?“.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=0-PlQitfriE[/youtube]

 

angeregt von den faszinierenden Texten von Günter Hack und Hans Hütt.

im Bild: Symbol staatlicher Souveränität – die Flagge (ap)

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