vonBenjamin Kiersch 06.03.2010

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Pünktlich zur bevorstehenden Oscar-Verleihung schickt uns Martin Brauer aus Argentinien einen Text über den Film  „El secreto de sus ojos“, der als „bester fremdsprachiger Film“ nominiert ist:

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Wenn an diesem Sonntag in Hollywood der rote Teppich ausgerollt wird, wird die Welt erfahren, ob der Film „Das Geheimnis ihrer Augen“ den zweiten Oscar für einen argentinischen Film nach „Die offizielle Geschichte“ (1986) erhält.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=GcHkTSqeGoU[/youtube]

Es gibt viele Berührungspunkte zwischen beiden Filmen:  Zum einen beleuchten beide die dunkelste Vergangenheit Argentiniens, die Repression in den siebziger Jahren. Zum anderen war die Drehbuchautorin von „Die offizielle Geschichte“ die erste Professorin von Campanella, dem Regisseur von „Das Geheimnis seiner Augen“.

Ein Anliegen des Films ist es, den Abschnitt der argentinischen Geschichtsschreibung zu beleuchten, der eine klare Trennlinie zwischen der Präsidentschaft Isabel Peróns und dem Militärputsch im März 1976 zieht, als ob bis unmittelbar zu diesem Zeitpunkt alles in bester Ordnung gewesen wäre. Der Geschichtsprofessor und Co-Autor des Drehbuchs, Eduardo Sacheri, meint dazu: „Die Argentinier müssen sich weiterhin mit den siebziger Jahren beschäftigen, weiterhin über diese Epoche nachdenken, weil wir noch kein Verantwortungsbewusstsein für diese Jahre entwickelt haben. Wir müssen die Vergangenheit weit über die Miltärs, welche selbstverständlich vor Gericht gestellt und verurteilt werden müssen, hinaus sehen. Wenn die Militärs diese Gräueltaten begehen konnten, war das nur möglich, weil es einen Riss im Zusammenleben und der Normen gab, der dazu führte, dass den Leuten das Gesetz egal war.“

Die Protagonisten des Films sind Ricardo Darín und Soledad Villamil, die Schwächen im Drehbuch mit ihrem Improvisationstalent ausgleichen können, was sie bereits in Campanellas letzten Film „Dieselbe Liebe, derselbe Regen“ beweisen konnten. Neben ihnen überrascht Guillermo Francella, ein bekannter Fernsehhumorist (ähnlich wie Harald Schmidt) das argentinische Publikum indem er in einer völlig anderen , viel ernsteren Rolle überzeugt .
Luis Puenzo arbeitet in „Die offizielle Geschichte“ mit ruhiger Kamera wie Howard Hawkins, um seine Geschichte ohne virtuose cinematographische Effekte fließen zu lassen. Campanella dagegen, der eine der Folgen von „ Dr. House“ drehte, verbindet ruhige Bilder mit einer ungeheuren Kamerafahrt, plötzlich einsetzend mit einem Bild aus der Höhe des Fußballstadions von Huracán bis zu den unterirdischen Gewölben – ein formaler Bruch, der in seiner Kraft vergleichbar ist mit dem einzigen Reim aus der Todesfuge von Paul Celán : „ Der Tod ist ein Meister aus Deutschland…“

Der Film erzählt die auf historischen Tatsachen beruhende Geschichte der Ermittlung zu einer Vergewaltigung und des Mordes an einem jungen Mädchen. Der bereits verurteilte Mörder taucht allerdings bald wieder als freier Mann auf, inoffiziell vom Staat unter Vertrag genommen, um linke Aktivisten zu liquidieren. Die Handlung gewinnt an Komplexität, als der Ehemann des Opfers, der sein Leben dem Kampf gegen den unbestraften Mörder geweiht hat, den Mörder findet und auf sein Landhaus entführt, wo er ihn in einem Akt der Selbstjustiz in einen versteckten Kerker sperrt. Dort bringt er dem Mörder jeden Tag sein Essen in absolutem Schweigen.

Auch wenn das Ende fiktiv ist, zwingt es uns zum Nachdenken: Geht es hier um die Wiederherstellung einer verlorenen Ordnung, um das, was Simon Wiesenthal „Gerechtigkeit, nicht Rache“ nannte? Man diese Sicht teilen, wenn wir davon ausgehen, dass die Strafe unter Bedingungen des Rechtsstaates lebenslängliches Gefängnis gewesen wäre… Das Opfer, in einen Richter verwandelt, erinnert den argentinischen Staat an seinen Anspruch, jedes Attentat mit dem Verlust des Rechts auf ein Leben in Freiheit zu bestrafen.


Am 7. März wird „Das Geheimnis ihrer Augen“ gegen vier andere Filme antreten, die im vergangenen Jahr ihre Premiere hatten. Da dies auf absehbahre Zeit die einzige Möglichkeit für  Argentinien ist, einen internationalen Preis zu bekommen – jedenfalls, solange Maradona Nationaltrainer bleibt -, schlage ich folgendes vor: Falls „Das Geheimnis ihrer Augen“ den Oscar nicht bekommt, sollten wir in Argentinien eine inoffizielle Zeremonie organisieren, in der wir diesem Film, der das Format eines Shakespeare-Dramas hat, den Preis verleihen, den er verdient.

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Anmerkung – „El secreto de sus ojos“ lässt sich sowohl als „Das Geheimnis ihrer Augen“ als auch „Das Geheimnis seiner Augen“ übersetzen – wenn erstere auch die gängigere Übersetzung ist, ergeben, wie Paul Ingendaay in der FAZ feststellt,  beide durchaus Sinn.

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