Der Bär flattert in östlicher Richtung.
Zu der Meldung, daß der Metro-Gründer und Multimilliardär Otto Beisheim nach Kritik an seiner SS-Vergangenheit die Zehn-Millionen-Stiftung für das Tegernseer Gymnasium auflösen will, hier eine Episode aus dem Jahr 1997. Der Herr reagiert bei Kritik immer mit fristloser Kündigung:
Na ja, anderen Leuten sind eben andere Sachen peinlich. Zum Beispiel meine Argumente einem Hans Werner Richter, der in seiner Grunewaldvilla auf Fernseh- und Senatskosten literarische Live-Sendungen fürs ZDF moderierte. Eingeladen waren außerdem die Verlegerin Renate Gerhardt und Maurice Girodias, der Gründer der Olympia Press, dem wiederum war es peinlich, daß sich in der Nacht zuvor eine Schneidezahnkrone gelöst hatte. Sein notdürftig geklebtes Provisorium fiel ihm während der Sendung mehrfach heraus. Es wurde zum fünfunddreißigsten Mal diskutiert: Pornographie und Literatur – Zensur und Kunstvorbehalte. Meine Beiträge waren inkompatibel mit dem silberzüngigen Sprechen des Mannes mit dem kleinen Hut. Seine Gruppe-47-Suada, die ollen Literaturbegriffe paßten nicht zu meinen fiedlerhaften postmodernen Statements, das gefiel ihm nicht. Dafür aber den Fernsehzuschauern, ich bekam an die dreißig Briefe und Telegramme mit dem Tenor: »Wunderbar!« »Sehr amüsant und aufschlußreich …« »So muß diskutiert werden …« Heute geschieht nach einer Talkshow gar nischt! Auch wenn du dich um Kopf und Kragen redest.
Halt! Manchmal doch, es dauert nur etwas länger, dann ruft dich ein Vierteljahr nach einem ›Dichterclub‹ ein Mann aus Pforzheim an: »Mein Name ist Klaus Pfefferle. Herr Schröder, Sie waren neulich im Südwestfunk, ich habe es zwar nicht selbst gesehen, aber jemand hat mir davon berichtet. Sie sollen gesagt haben, Otto Beisheim sei Scharführer bei der SS gewesen.« »Ja, so ist es.« »Gut, daß Sie es bestätigen. Sie müssen wissen, ich bin Betriebsratsvorsitzender bei Möbel Unger, einem Beisheim-Betrieb. Und es ist ja bekannt: Der Chef des Metro-Konzerns hält von Gewerkschaften, Betriebsräten und Mitbestimmungsrechten überhaupt nichts. Dies habe ich bei einer Betriebsratsversammlung angeprangert und dabei Ihre Behauptung aus dem Südwestfunk wiederholt. Daraufhin wurde mir fristlos gekündigt. Natürlich prozessiere ich! Mein Anwalt hat mir geraten zu beweisen, daß ich nicht leichtfertig Nachteiliges über Otto Beisheim geäußert habe. Könnten Sie mir mit Informationen weiterhelfen?« Ich konnte. »Kaufen Sie unsere Folge ›Brot und Spiele‹, darin steht, was über Beisheim und Kirch zu sagen ist.« Ich riet dem Pfefferle noch, sich wegen weiteren Materials an die ›Spiegel‹-Dokumentation zu wenden. Die schickten ihm, was sie hatten, es war nicht mehr, als ich wußte, zumindest nichts Konkretes über Beisheims verlorene Jahre bei der SS.
Aber ich war wieder angestochen: Warum legt ein ehemaliger Unteroffizier der SS-Leibstandarte Adolf Hitler – die als Waffen-SS angeblich nicht mehr Soldaten als Mörder produzierte als andere Wehrmachtsteile – solch großen Wert darauf, daß in seiner Biographie die Jahre 1941 bis 1949 leer bleiben? Im übrigen gab es ja auch einige Waffen-SS-Einheiten, wie der Fall Priebke zeigt, die nicht ganz so »sauber gekämpft« haben. Wenn man dem Leo-Kirch-Biographen Michael Radtke folgt, ist entlastend für Otto Beisheim, daß sein Name im Stadtarchiv Mülheim, im Staatsarchiv Düsseldorf, im Bundesarchiv Koblenz, beim Document Center in Berlin, bei Simon Wiesenthal und der Zentralstelle Ludwigsburg nicht auftaucht. Die Kriegstagebücher der SS-Leibstandarte zum fraglichen Zeitpunkt sind verschollen, nur in einem privaten Tagebuch wird auf einen dubiosen Vorfall in Italien Bezug genommen, die Resistenza-Archive können oder wollen dazu keine Auskunft geben. Fragt sich nur, warum dann in Kreisen ehemaliger SS-Angehöriger der unbedeutende Unteroffizier Beisheim eine so große Nummer ist. »Der Otto macht das schon«, heißt es da hinter vorgehaltener Hand. Tief blicken läßt ebenfalls, wie sich Beisheims Metro nach der Ergreifung ihres Finanzexperten Schotte-Natscheff, der mit sechsunddreißig Millionen nach Paraguay türmte, ihrer »hervorragenden Verbindungen« nach Südamerika rühmte. Nachtijall, ick hör dir trapsen!
Es geht mir nicht darum, einem Unteroffizier diabolische Züge zu verleihen. Sonderbar ist es aber schon, wenn einer, der sich angeblich nichts zuschulden hat kommen lassen, so sorgfältig darum bemüht ist, Lücken in seiner Biographie unausgefüllt zu lassen. Natürlich muß man ihn zwingen, über seine Zeit bei der SS zu reden! Schließlich schmückt sich eine deutsche Universität, die Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung in Koblenz, mit dem Namen ›Otto Beisheim‹. Zumindest sie wäre verpflichtet, klipp und klar zu verlangen, daß sich ihr Namensgeber zu seiner Vergangenheit äußert, denn so steht es im Hochschulgesetz.
(BK / JS)