In den letzten zwei Monaten habe ich gelernt, dass regelmäßiges U-Bahn fahren, ein bisschen was von einem Besuch im Panoptikum hat. Als Freiberufler genießt man die Freiheit, sich seine Termine selbst legen zu können, was dazu führt, dass man nicht jeden Morgen in öffentlichen Verkehrsmitteln hockt, um zur Arbeit zu fahren. Die Arbeit liegt entweder gleich neben dem Bett, eine Wand weiter und wird vom heimischen Schreibtisch, der Küche, dem Balkon, aus dem Bett heraus, im Café oder vom coworking space erledigt. Der Freiberufler arbeitet auch des Nachtens und steht nicht jeden Tag zwischen 6:00 Uhr und 8:00 Uhr auf. Der Tag eines Freiberuflers beginnt zuweilen auch manchmal später.
Für zwei Monate hatte ich meine mir bekannte Arbeitswelt verlassen, um als Krankheitsvertretung, denn ganz normalen Büroalltag kennen zu lernen und um Geld zu verdienen. Seit meinem Abitur saß ich nicht mehr jeden morgen müde in der U-Bahn und wie damals auf dem Weg zur Schule, hatte ich auf der Linie der U8 ein straffes Programm zu erledigen. Um kurz nach 8:00 Uhr wetzte ich also morgens aus dem Haus, zum Bus, kam schwitzend am Herrmannplatz an und sprang in die Bahn. Platz finden, Schminktasche rausholen, Augenbemalen mit Kajal und Mascara, ein bisschen Rouge, damit wenigstens die Wangen wach wirken, Jannowitzbrücke Schminktasche einpacken, Tabak raus, Zigarette drehen.
Ich beneidete 2 Monate all die, die morgens völlig entspannt in der Bahn saßen, Kaffee in der einen Hand und die Tageszeitung in der anderen. Auch nach dieser Zeit habe ich nicht verstanden, wie sie das schaffen, morgens alles unter einen Hut zu bekommen. Und bei durchschnittlichen 6 – 7 Stunden Schlaf kam noch eher aufstehen für mich nicht in Frage. Bei mir wurde also das was ging und nötig war in die U-Bahn verlegt. Manchmal traf ich im Bus eine Bekannte, die seit November ungefähr einen festen Job hat. Sie sagte: „Jetzt nach vier Monaten bekomme ich das auch langsam mit meiner Wohnung hin.“ Ich verstand sofort was sie meinte, denn gegen Donnerstag sah meine Küche aus wie ein Schlachtfeld und der Samstag wurde zum Waschtag. Regelmäßiges morgendliches Bus- und Bahnfahren ist ein bisschen wie in einer Fahrgemeinschaft fahren. Da ist der grimmige Junggeselle, der nie lächelt, das Schnuffelpärchen, das so aussieht, als hätte sie jemand zwar vollständig bekleidet, jedoch direkt aus dem Bett in die Bahn gezaubert, der Typ im Anzug und Trenchcoat, der Typ, der wie ein Mafiosi aussieht und über den man gerne mal schöne Grüße nach Neapel hätte ausrichten lassen, die Schülerin, die noch letzte Hausaufgaben erledigt, der Mittfünfziger mit den Joggingschuhen…
Abends trifft man dann den Verrückten an, der einen die ganze Zeit auf eine Psychoart angrinst, bei der man entweder losprusten oder wegrennen muss, ein paar Reihen weiter brüllt einer animalisch und schlägt seine Hände laufend ineinander, dann der süße Typ, der bei der selben B.Z.-Nachricht grinsen muss, die Oma, die wirkt als wäre sie direkt aus den 50ern ins Jahr 2010 gebeamt worden, die Oma die Minisodoku knobelt, zahllose abwesende Blicke zahlloser Mitfahrer. Manchmal kann mir eine U-Bahnfahrt so elendig vor, dass ich angefangen habe, dagegen zu lächeln.
Nach zwei Monaten bin ich ausgestiegen, kein aktives Mitglied der Fahrgemeinschaft U8, morgens um 8:30 Uhr. Ich komme nicht mehr abends um 19:00 Uhr nach Hause gewetzt, mache mir schnell was zu essen und arbeite dann noch für die freiberuflichen Projekte weiter.
Meine Arbeit liegt jetzt wieder eine Wand weiter, ich fahre wieder mit dem Fahrrad zu meinen Projekten, Mittags setze ich auch mal für eine Weile in die Sonne, Wäsche wasche ich ganz lustbetont mal zwischendrin. Schöne Grüße ans Panoptikum und lächeln hilft.