vondorothea hahn 18.12.2010

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Die Boulangerie ist gleich gegenüber. Der Duft von frischen Baguettes, die der Bäcker selber herstellt, weht bis auf unsere Straßenseite. In der Vitrine sind Butter-Croissants aufgereiht. Neben der Bäckerei befindet sich ein Blumenladen. Daneben ein Tabac. Dann kommt ein Zeitungskiosk. Dann die Post. Dann die Käserei.

Hinter jeder Schaufensterscheibe machen sich VerkäuferInnen zu schaffen. Eine Apothekerin reiht mehrere Fläschchen mit Hustentropfen auf dem Tresen auf. Ein Postbeamter nimmt sich die Zeit, die Vor- und Nachteile der Telefonkarten in seinem Sortiment zu erklären.  Der Metzger, der den einzigen Träger seiner weissen Schürze kunstvoll zu dem branchenüblichen Knoten gedreht hat, läßt mich an mehreren Schüsseln mit hausgemachter Terrinen riechen: Hase, Geflügelleber und Wild.

Ein ganz normales Quartier in Paris. Dieses Mal im Westen der Stadt. Mit funktionierendem Einzelhandel. Mit Cafés, von denen jedes anders aussieht und jedes ein eigenes Sortiment hat. Und mit Bussen, die im 5-Minutentakt an die überdachte Haltestelle kommen.

Ich habe kein Auto gebraucht und mußte über keinen Freeway fahren, um zu einer Shopping-Mall zu gelangen. Ich bin zu fuß von einem Laden zum nächsten geschlendert. Habe Preise und Qualitäten verglichen. Bin persönlich beraten worden. Und komme gut gelaunt und schwer beladen zurück.

Elf Monate lang habe ich keine kleine Metzgerei mehr betreten. Keine Bäckerei mit eigener Backstube. Und keine Apotheke, die nicht in einen großen Supermarkt integriert wäre. In Washington kommt alles aus einer Kette. Selbst das seltene Qualitätsbrot. Es wird fernab der Kundschaft hergestellt und anschließend an Zweigstellen verteilt, die längst keine Bäckereien mehr sind.

In den meisten Städten der USA gibt es so gut wie keine erschwingliche Alternative zum Supermarkt. Zur Kette. Und zur Shopping-Mall. In letzterer sind die Temperaturen im Sommer wie im Winter gleich. Gibt es von Chicago bis New Orleans dasselbe Angebot. Und riecht es überall identisch. Am penetrantesten ist der Geruch, der von süßlich und zimtig bis zu frittiert reicht, in den „Food-Courts“. Da gruppieren sich mehrere Imbisse Fast-Food-Läden der großen Ketten rund um einen überdachten Innenhof. Auf den Tischen in der Mitte stapeln sich Plastikbehälter, aus denen KundInnen chinesisch, mexikanisch oder hamburgerisch essen.

„Washington ist more beautiful“ als Paris, sagt der Taxifahrer. Er hat es von Verwandten gehört. In Ghana. Aus Ghana stammt auch der Mann, der mich gestern in Washington in einem Bus durch dichtes Schneetreiben im Schritttempo zum Flughafen gefahren hat.

Wir sind unterwegs auf den Quais am Seine-Ufer. Links liegt das Quartier Latin. Rechts die Île de la Cité und das Marais. Es hupt. Auf den Trottoirs drängen sich Menschen. Auf der Pont des Arts umarmt sich ein Paar. Aus den Cafes kommt das Klingeln von Weingläsern. Die Sonne ist untergegangen. Schneeflocken, die langsam durch die Luft kreisen,  sorgen für kleine, glitzernde Reflexe des warmen, gelben Lichtes der Straßenlaternen.

Ich stelle mir ein Familienfest in Afrika vor. Drei Cousins, die ihren Lebensunterhalt in Washington, London und Paris verdienen, sitzen beieinander. Drei Taxifahrer. Drei Migranten. Ein jeder schwärmt von seiner neuen Stadt, von seinem neuen Leben.

Ich denke an die breiten, menschenleeren Straßen in Downtown Washington. Sie tragen Zahlen und Buchstaben als Namen. Die Gebäudekomplexe an ihrem Rand haben Fenster, die nicht zum Öffnen gedacht sind. Und Eingänge, die für Giganten gebaut sind. „Hier residieren Geld und Macht“, lautet die Botschaft dieser Trutzburgen. Seit elf Monaten versuche ich, mich damit anzufreunden.

„Nein“, platzt es aus mir heraus: „Im Vergleich zu Paris ist Washington häßlich“. Der Taxifahrer lacht. Dann sagt er: „Das Leben hier kann auch ganz schon hart sein.“

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