von 20.06.2010

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Die Befindlichkeit des Landes Alles nur künftige Ruinen Material für die nächste Schicht Die neuen Tempel haben schon Risse künftige Ruinen einst wächst Gras auch über diese Stadt über ihrer letzten Schicht Einstürzende Neubauten, 2000

Berlins immanenter Charakter der Zerstörung und Wiederherstellung, Schichtung und menschlichen Koexistenz ist eine Metapher für die Zukunft der Stadt. Diese ethische Landschaft (Befindlichkeit) reflektiert einen Weg der Akzeptanz gegenüber dem Ausbleiben der wahrhaftigen Erzählung der Moderne und ist gleichzeitig eine Weigerung gegenüber der intellektuellen Dramaturgie der Postmoderne. So führt diese strukturelle Interpretation zur Hinzufügung und Überlagerung einer neuen, weiteren programmatischen Schicht in die Geografie des von vielen historischen Layern und Spuren geprägten Tempelhofer Feldes.

Das Tempelhofer Feld ist ein dicht angereicherter Ort, der die vielen Nutzungen der letzten Jahrhunderte widerspiegelt. Diese existierenden Strukturen ergeben zusammen mit dem neuen Layer im Zuge der Entstehung des Parks neue Oberflächen. Es entstehen neue Spuren, die wieder Geschichte werden. Die Geschichte ist kein statischer Zustand, sie begegnet uns ständig während wir den Park durchqueren.

Ziel ist es den Park in seinem derzeitigen Zustand zu bewahren und lediglich durch kleine Eingriffe die Qualität des Ortes zu verstärken und Nutzungen zu aktivieren. Wir schaffen einen offenen Rahmen, der aktiv eine informelle Nutzung und Entwicklung des Geländes stützt. Das alte Exerzierfeld wird zum Flugfeld … wird zur Stadtsavanne … wird zum Park – ähnlich einem landschaftlichen Stadtmeer, das durch Baumarchipele die flache Weite des Ortes in seinen Dimensionen erfahrbarer macht. Das Bild der Stadtsavanne als Ausgangspunkt dieser informellen Entwicklung steht für eine neue Typologie von Parkanlagen in Berlin.

Ausgangspunkt der formalen Gestaltungsidee ist die letzte Nutzung des Areals als Flugfeld. In einem Raum ohne Hindernisse bewegt man sich von Punkt zu Punkt auf direktem Wege. Dies ist die Navigationsstrategie des Luftraumes, die wir auf dem Tempelhofer Feld durch ein aus dem Delaney-Algorythmus abgeleiteten Wegesystem auf der Fläche sichtbar machen. Der Park wird so zu einem 1:1 Mapping seiner vorherigen Nutzung.

Gleichzeitig werden durch auf dem Feld verteilte kreuzförmige Installationen neue informelle Bezugspunkte im Koordinatensystem Tempelhofs geschaffen. Als übergroße Reseau-Kreuze werden sie eine weitere Metapher in der kartographierten Landschaft. Das neue System von Wegen, dass sich über die bestehenden legt und sie ergänzt, schafft neue Beziehungen und ermöglicht Verdichtungen von Nutzungen und Verbindungen, die in Ihrer Intensität im Westen an die angrenzenden Stadtteile zunimmt und sich in der Mitte und gen Süden eher extensiv ausbreitet.

Das Bild der geschichtlichen Vielschichtigkeit des Ortes wird durch die Eingriffe verdeutlicht und ergänzt. Es entsteht eine neue Schicht, die das Feld für die Menschen erschliesst, Aufenthaltsqualitäten aussergewöhnlicher Art schafft und in der 20-50 jährigen Dauer der Vollendung neue Oberflächen, neue Spuren der Geschichte entstehen lässt.

INSTALLATION

Das Verständnis einer neuromantischen Landschaft beinhaltet den Begriff von erzählenden und symbolischen Werten, vermittelt in Literatur, Kino, Musik und städtischem Wissen, dem Bewusstsein der Repräsentation und unserem Anteil an der Schaffung dieses Bildes. Dieses Bild (Image) der Stadt wird hier durch die Reseau Kreuze der Vermessungskameratechnik der Luftfahrt (Die Form der Kreuze ist bekannt von der Mondfotografie) als gebaute Installationen präsentiert und auf die Fläche projiziert. Sie erscheinen als große Möbel im Verhältnis zur Größe des Parks und schaffen die Möglichkeit Sequenz und Raum auf der Fläche lesbar zu machen. Folglich ist auf dem Flugfeld zu laufen wie durch sein eigenes Bild zu laufen, die Selbstrepräsentation hallt wieder von der Geschichte der Menschheit in ihrer Suche nach Wahrheit durch Naturwissenschaften, Technologien und Quantifikationen. Diese konstruierten Elemente bieten eine erhöhte Position um die Landschaft und ihre Spuren zu beobachten. Ausserdem dienen sie als Bühnen für informelle und organisierte Veranstaltungen oder laden ein sich auszuruhen und sich von Kreuz zu Kreuz durch die Landschaft zu bewegen. Das ehemalig größte Flugfeld der Welt wird sein eigenes Observatorium, gesehen von einem der Kreuze als Signatur von Berlin. Die monolithischen Installationen fügen rein informelles Programm hinzu, sie stehen jeder Interpretation offen.

WEGE

Um ein Kommunikationssystem hinzuzufügen, das alle wichtigen Punkte des Feldes, programmatische wie gebaute, verbindet, wird ein trianguliertes System eingeführt, das vom Delanay-Algorythmus abgeleitet ist. Diese projizierte Dimension verbindet drei Punkte nach der Navigationsstrategie in der Luft und auf dem Land (Bei der Ermittlung der Distanz zwischen drei Punkten wird Geschwindigkeit und derzeitige Verortung bestimmt). Da alle Punkte von jedem anderen Punkt erreicht werden können, ist es weniger ein System von Bewegung als eine Kartierung von Vorhandenem und Erwartetem. Somit können die drei intensiveren Zentren im Westen angrenzend an den Stadtteil Tempelhof, im Norden angrenzend an den Stadteil Kreuzberg und Nordosten angrenzend an den Stadtteil Neukölln umweglos verbunden und die Zentren in sich verdichtet werden. Die gleichbreiten Wege sind dabei simpel als wassergebundene Wegedecke ausgeführt.

VEGETATION

Die Brandenburger Landschaft steht als Motiv für die Pflanzung von Kiefern, Birken und Eichen. Die Birken als Pionierpflanzen ziehen die langsam wachsenden Eichen als nachfolgende Klimax-Vegetation groß. Die Kiefern sind neben den trockenen, betonierten Flächen der Landebahnen und dem Vorfeld gepflanzt. In dieser Landschaft sind Baumgruppen angesiedelt, ein Archipel im Wiesenmeer. Sie formen kleinere, ge schütztere Orte und Grenzen und helfen die Größe des Parks zu erfassen. In Ihrer orthogonalen Pflanzung wird die neue Schicht verdeutlicht. Durch die weite des Feldes und die Gruppierungen der Bäume wird der

Flugplatz zur Stadtsavanne. Die historischen Straßen die ehemals von Südwesten nach Norden und von Südosten nach Süden führten werden durch eine zweireihige, unregelmässige Eichenbepflanzung in der Landschaft sichtbar gemacht.

PROGRAMM

Die Programmierung der Parklandschaft Tempelhof erfolgt in der inneren Parklandschaft dem System der möglichen, flexiblen Verdichtung und wird in ihren umgebenden Bereichen konkreter definiert. So siedelt sich die Erweiterung des muslimischen Friedhofs direkt südlich des bestehenden Friedhofs an, östlich davon ist Platz für Sportfelder aller Art, der längliche Streifen südlich des Flugfeldes wird mit Kleingärten besetzt. Der umlaufende Taxiway wird um eine Tartanbahn ergänzt, um Joggern die perfekte Laufstrecke zu bieten, auf den Runways siedeln sich weiterhin alle informellen Sportarten wie bspw. Windkiten an, das ehemalige Flughafenvorfeld wird in seiner Weite und Leere beibehalten und dient für Veranstaltungen. Die innere Parklandschaft verdichtet sich in Ihren drei Zentren im Westen, Norden und Nordosten und nimmt hier die wohnungsnahen Freiraumfunktionen für die einzelnen Neubauquartiere auf. Spielplätze, Gastronomie, Liege- und Grillwiesen, Hundeausläufe und kleineren Sportanlagen befinden sich hier. Diese dichteren Bereiche werden als kleinere, reguläre Parks unterhalten und können nach Bedarf erweitert werden.

Im Süden des Felds befinden sich die Großbiotope und die Möglichkeit zur Landwirtschaft. Die gesamte Parklandschaft nimmt in Ihrer intensiven Nutzung von Norden nach Süden ab.

WASSER

Um den Ansprüchen eines Regenwasserrückhaltebeckens gerecht zu werden und ein Naturerlebnis mit einer anderen, neuen Flora und Fauna zu schaffen, wird ein Feuchtbiotop konstruiert, das ausserdem hilft die ökologische Bilanz zu reduzieren. Hierfür dient die ehemalige Warmlaufplattform im Nordwesten, die mit ca. 4ha und einer Flutungskapazität von 0,25m den Bedarf der 10000m3 Wassermassen des Vorfeldes abdeckt. Das Feuchtbiotop schafft im Zusammenhang mit den Naturschutzgebieten im Süden des ehemaligen Flugfeldes einen Naturerfahrungsraum für Schüler und Experten und wird ein Bestandteil der Abenteuerwanderungen.

BIOTOPE

Der Fakt das Natur sich an eine „unnatürliche“ konstruierte Landschaft anpasst, sie natürlich macht und übernimmt, steht als ein ethisches Statement. 45ha sind für das Naturreservat vorgesehen. Die Biotope die nur durch menschlichen Einfluss entstehen konnten bleiben, um das bestehende Biosystem nicht zu stören, in Ihrer Unterhaltung gleich. Das zentral gelegene Luftfahrtnavigationszentrum, wird zu einem Vogelaussichtsturm für Schulen und Ornithologen und auch zu einem zentralen Punkt der Abenteuerwanderungen. Zur Abgrenzung dienen lediglich Schilder und keine Zäune.

ENTWICKLUNG

Die Umsetzung der Parklandschaft Tempelhof erfolgt in einem langangelegtem Prozess. Als erste Punkte werden die Baumarchipele gepflanzt und die Reseau Kreuze installiert, eine neue, informelle Landschaft entsteht. Im nächsten Schritt werden die wichtigsten Verbindungen nach dem Delanay-Prinzip angelegt und mögliche erste Verdichtungen in den drei Zentren entstehen. Jede weitere Verdichtung richtet sich nach dem Bedarf der nach und nach entstehenden umliegenden Bebauung und möglichen privaten Investoren.

PFLEGE UND UNTERHALTUNG

Um die minimalen Kosten bei der Pflege des Parks zu gewährleisten wird der Rasenmäher weitestgehend durch Schaf- und Pferdeherden ersetzt. Die Biotope werden in Ihrem derzeitigen Zustand belassen. Die Pflegeintensität nimmt im Park gleich der Abnahme der intensiveren Nutzung ab. Einzig die dichteren Zentren im Westen, Norden und Nordosten werden wie gewöhnliche Parkanlagen unterhalten und erstmals durch Durchführung der IGA umgesetzt.

Dieses Konzept wurde von der Jury als eins von sechs in die Auswahl für das Verhandlungsverfahren ausgewählt. Verfasser: Landschaftsarchitekt/in: Topotek 1, Lorenz Drexler, Martin Rein‐Cano, Berlin; Mitarbeiter/in: Frans Gillberg, Emily Johnson, Ines Bahr, Christa Bohne; Architekt/in / Stadtplaner/in: Dürig AG, Jean‐Pierre Dürig, Zürich.

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