von 23.06.2010

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Präambel. Das Tempelhofer Feld ist in stadtzentraler Lage Bestandteil der südlichen Berliner Innenstadt und bildet zwischen den Berliner Bezirken Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und letztlich Friedrichshain-Kreuzberg eine ca. 370ha große Raumspange zwischen den sehr unterschiedlich geprägten Milieus der angrenzenden Quartiere. Noch stellt sich das Gebiet als urbanes Vakuum, als ein Raum in Warteschleife dar, dessen alte Nutzung aufgehört hat und in den sich neue Strukturen erst zögernd abzeichnen.

An das Flugfeld als stadträumliche Schnittmenge werden hohe Erwartungen geknüpft. Der neue Park stellt daher nicht nur in räumlicher sondern insbesondere in sozio-kultureller Hinsicht für Berlin eine große Herausforderung und Chance in der aktuellen Stadtentwicklung dar. Allein aufgrund der mit der räumlichen Dimensionen einhergehenden Zeitspanne für die Entwicklung einer Parklandschaft des 21. Jahrhunderts, ist eine langfristige Entwicklungsstrategie, welche Pioniernutzungen als Generatoren und Initiatoren städtebaulicher Aktivität und als Werkzeug für die Entwicklung des Standortes einsetzt, von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des gesamten Entwicklungsprozesses.

Unabhängig von der langfristigen städtebaulichen Strukturierung durch Freiflächen und Bebauungsfelder wird das Tempelhofer Feld zunächst als einzigartiger Freiraum wahrgenommen.

Die Grenzen dieses Raumes sind dynamisch:

Bedingt durch heute noch nicht absehbare Nutzungen, temporär nicht zugängliche Flächen oder die Erschließung von Pionier- und Baufeldern werden sich die Grenzen der öffentlich nutzbaren Freiflächen kontinuierlich über einen sehr langen Zeitraum verschieben. Auch das Nutzungsspektrum lässt sich nicht mit einer herkömmlichen, öffentlichen Parkanlage vergleichen. Neben bekannten, nicht-kommerziellen Freizeit- und Erholungsnutzungen wird es Bereiche geben, die von Unternehmen oder Einzelpersonen (temporär oder dauerhaft) privatwirtschaftlich betrieben werden. Ebenso werden Zonen mit soziokulturellen und gemeinwohlorientierten Angeboten und Schutzbereiche mit eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten entstehen. Zudem werden die zukünftigen Pionierfelder den Freiraum des Tempelhofer Feldes entscheidend mitprägen. Diese dynamische Freiraumentwicklung benötigt daher starke, räumliche Entwicklungselemente, die sowohl aktivieren als auch strukturieren und Orientierung bieten.

Leitidee. Das sich zunächst als einzigartiger Freiraum darbietende Areal ist in der Wahrnehmung mit unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Codes versehen. Für die Umnutzung des nicht nur für Berlin bedeutsamen, geschichtsträchtigen Ortes, ist die Bestimmung und strukturelle Wertung des Identität stiftenden Ankers, für die künftige räumliche Entwicklung der Parklandschaft für uns von wesentlicher Bedeutung. Neben der räumlich dominanten, nicht zu übersehenden monumentale Anlage des Flughafengebäudes zählt die erhabene Weite des Flugfeldes zum herausragenden Charakteristikum des Areals. Emotionaler Anker- und Ausgangspunkt für die strukturelle Entwicklung der neuen Parklandschaft sind für uns insbesondere die Landebahnen des ehemaligen Flugfeldes. Als weit über die Grenzen Berlins bedeutsames, positiv besetztes Symbol, bilden sie nicht nur räumlich das komplementäre Pendant zum monumentalen Flughafengebäude. Die Start- und Landebahnen, speziell der sich dazwischen aufspannende Raum, bilden deshalb das Zentrum der neuen Parklandschaft ab, wobei wir die diese in zweierlei Hinsicht als Ankerpunkte begreifen:

Zum Ersten verankern sie durch ihre Einbindung in die vorgesehenen Baufelder das Areal insgesamt innerhalb der städtebaulichen Entwicklungsstruktur und geben damit Orientierung. Dimensionierung und Materialität, künftige Nutzung und Gebrauch weisen ihnen innerhalb der Freiraumstruktur eine besondere Bedeutung zu, wobei es deren objekthaften Charakter zu bewahren bzw. herauszuarbeiten gilt. Zum Zweiten verankert der dauerhaft nutzungsfreie Zwischenraum, Erinnerung und Identität in einem sich stetig wandelnden, dynamischen Entwicklungsprozess. Der leere Raum wird zum Struktur bestimmenden Merkmal des neuen Parks. Diese grundlegende und unverwechselbare gestalterische Aussage zum Ort hebt die authentische, besondere Qualität des ehemaligen Flugfeldes hervor.

Entwicklungsansatz/ Gliederung. Das vorhandene Rund des Taxiway umschließt die offene Mitte des Tempelhofer Feldes. Nach außen vermittelt er zum dynamischen Rand des Areals, der einen viel genutzten, aktiven Raum mit starker Verbindung zu den angrenzenden Quartieren darstellt und ein Ort von großer städtebaulicher Entwicklungsdynamik sein wird. Nach innen gliedern die Start- und Landebahnen das Areal in Drei Felder:

A Das Freie Feld: Naturpark. Ein Ort mit hohem ökologischem und naturschutzfachlichen Wert (u.a. Kaltluftentstehungsgebiet), den wir als autarken Raum sichern und weiterentwickeln wollen.

B Das pointierte Feld: Landschaftspark. Ein Ort, der im weiten, leeren Rund, durch Baumgruppen, kleinere Bauwerke und die topographische Erhebung des Schießstandes bereits eine Akzentuierung aufweist, die wir im Sinne eines pittoresken Landschaftsparks nutzen möchten.

C Das unbestimmte Feld: Agrarpark. Ein Ort, mit peripherem Charakter entlang von Bahntrasse und Tempelhofer Damm, für den wir das Bild einer urbanen Agrarlandschaft entwickeln wollen.

Die verschiedenen Entwicklungsansätze widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich zu einem interagierenden Spanungsfeld. Jeder Raum hat seine ganz spezifischen Qualitäten und Aufgaben in der zukünftigen Entwicklung. Der Ring, die Hauptschlagader der Tempelhofer Parklandschaften, verzahnt die drei zentralen Entwicklungsansätze zu einer Strategie für die Gestaltung des Areals: Die verschiedenen räumlichen Qualitäten werden durch konzentrierte Zusammenführung entlang des Ringboulevard erlebbar gemacht und das Areal insgesamt damit in eine stabile Gesamtform überführt.

Die Freiräume der Parkfelder werden aus der räumlichen Struktur heraus entwickelt und durch Blick- und Wegebeziehungen geordnet. In einer klaren Gliederung fügen sich modifizierte urbane und natürliche Elemente zu einer urban-ländlichen Parklandschaft, die mit prägnanten Raumbildern die Identität des Ortes ausformulieren. Innerhalb der klar strukturierten und tragfähigen Gesamtform werden die urban-ländlichen und der kultiviert- natürlichen Räume in unterschiedliche Beziehungen zueinander gesetzt: Mischungen, Durchdringungen und Überlagerungen; Friktionen und Fissuren bilden einprägsame, neue und ungewohnte Raumerlebnisse. Der Entwurf differenziert die Teilbereiche deutlich voneinander, die sich in ihrer Formensprache und Stimmung unterscheiden und eigenständige Erlebnisräume bilden. Die Gestaltqualität der Parkfelder zeichnet sich dabei durch Einprägsamkeit und Integrität aus.

Raumkonzepte. Das Konzept gliedert das Wettbewerbsgebiet unter Berücksichtigung der übergeordneten und lokalen Bezüge in vier Hauptbereiche:

Ringboulevard. Der Ringboulevard fasst zum Einen die neuen Stadtkanten und erfüllt das Bedürfnis nach dem Städtischen; zum Anderen umschließt er die Weite des Tempelhofer Feldes und inszeniert die Landschaft als Bühne des Erhabenen. Der Ring hat eine Gesamtlänge von ca. 5,3 Kilometern. Aufgrund der Kreisstruktur münden alle Wege des dynamischen Randes und der offenen Mitte in den Ring, so dass er eine Art Rückgratfunktion für die innere Erschließung des Tempelhofer Feldes übernimmt. Auf seinem Weg durchquert bzw. berührt der Ring unterschiedliche Räume und gliedert sich dadurch in mehrere Sequenzen. Die Sequenzen werden langfristig durch die anliegenden Nutzungen bzw. stadträumlichen Entwicklungen des dynamischen Randes bestimmt und formulieren einen eigenständige Freiraumcharakter, der sich als linearer Park beschreiben lässt. Die angrenzenden Bereiche bilden sich im Ring ab und werden unmittelbar erlebbar. Gleichzeitig erhält der gesamte Ring eine abwechslungsreiche Differenzierung. Dadurch werden eine enge Vernetzung und ein aktiver Austausch zwischen Ring und Umgebung gefördert. Über die offenen Bereiche an den beiden Flughafengebäuden sowie den stadträumlichen Fugen zwischen den Entwicklungsbereichen ist der Ringboulevard als Forum und Campusbereich charakterisiert. Entlang der neuen Stadtkanten erfährt er als Esplanade und Stadtbzw. Gartenpromenade weitere Differenzierungen. Verschiedene Baumarten (Sophora, Robinia, Platanus, Fraxinus) und Anordnungsmuster (Allee, Esplanade, Einzelstellungen, Cluster) generieren fortwährend stimmige Atmosphären (hell, licht, offen, dicht). Die Baumstandorte werden aus der Betonoberfläche ausgespart. Durch das Einsetzen von Pilzkulturen wird der Boden im Zuge der städtebaulichen Entwicklung der Baufelder langfristig vorbereitet. Die Vervollständigung des Boulevards erfolgt demgemäß sukzessiv und prozessorientiert. Zu den Ausstattungsmerkmalen des Boulevards zählen Sitzgelegenheiten, Trinkwasserstellen oder lineare

Baumgärten.An den Knotenpunkten sind Servicestation angelagert, die unterschiedliche Nutzungen aufnehmen: Information, Fahrradverleih, Toiletten, Gastronomie/Kiosk, Ausstellung usw. Je nach Lage sind die Schwerpunkte der Nutzungen anders gelagert. Die Servicestationen dienen als Impulsgeber, Orientierungspunkt und Identifikationsobjekt in einem. Der Ringboulevard bietet durch seine lineare Verbindung eine klare räumliche und eine gute programmatische Orientierung. Seine prägnante und klare Gestaltung trägt entscheidend zum Erscheinungsbild des Tempelhofer Feldes bei. Er wird so zu einem wichtigen Wiedererkennungsmerkmal.

Naturpark. Der Raum zwischen den Start- und Landebahnen soll als Ruhender Pol dauerhaft von aktiven Freizeitnutzungen frei gehalten werden. Hier wird die Weite des Tempelhofer Feldes inszeniert. Die Flughafennutzung bleibt als Spur der Erinnerung in das Gelände eingeschrieben. Die einzigartige Weite inmitten der dicht gebauten Stadt bleibt damit erlebbar. Über eine Distanz von bis zu 2 Kilometern erstreckt sich ein innerstädtischer Horizont, der diesen Ort entscheidend prägt. Das Freihalten der Mitte hat darüber hinaus aus stadtklimatischer Sicht eine hohe Priorität (Kaltluftentstehungsgebiet). Entlang der Start- und Landebahnen wird die Begehbarkeit durch Abgrabungen und lineare Pflanzungen eingeschränkt. An der Ostseite bildet die Neuköllner Esplanade mit dem davor liegenden Retentionsbecken eine „natürliche“ Grenze. Das von einem Schilfgürtel durchflochtene Retentionsbecken dient darüber hinaus dem Regen- und zum Teil dem Brauchwassermanagement der konzipierten Bebauungsfelder. Die Fläche wird von zwei aufliegenden Stegen gequert.

Agrarpark. Wir verstehen Ökologie in seinem eigentlichen Wortsinne als Interaktion von Mensch und Umwelt. Erst das Zusammenwirken beider macht die alltägliche Wirklichkeit sinnlich erfahrbar. Der Entwurf formuliert einen identifizierbaren Ort, der neue urban-ländliche Erfahrungsmöglichkeiten bietet. Die Fläche zwischen Tempelhofer Damm und südlicher Landebahn soll zu einem neuen Freiflächentyp eines städtischen Parks „reifen“. Vorgesehen ist auf einem Teil der Fläche die Anlage einer Kurzumtriebsplantage mit der Pflanzung von Weiden und Pappeln, die aller 5- 10 Jahre geerntet werden können. Durch ihr schnelles Wachstum eignen sie sich am besten zur ertragreichen Produktion von Biomasse. Die Vorteile regenerativer Energieerzeugung können sich voll entfalten: Ressourcenschonung, CO2 –Neutralität, Anregung regionaler Wertschöpfung. Die stadtzentrale und damit verbrauchernahe Energieerzeugung minimiert die Energieverluste durch Transport. Da im Winter geerntet wird, bleibt das Laub auf der Fläche und wird zu Humus zersetzt. Die Böden brauchen daher nicht gedüngt zu werden und können sich im Zuge der Nutzung weiter generieren. Der urbane Agrarpark generiert durch gezielte Pflege und Gestaltungsmaßnahmen differenzierte, dynamische Raumbilder. Charakteristische Bäume werden durch Auslichtung herausgestellt, Wege durchbrechen das Pflanzraster. So entsteht mit der Zeit ein urbaner Wald, bei dem sich die Wirkungsbereiche der Forstwirtschaft und Landschaftsarchitektur überschneiden.

Landschaftspark. Zentrales Motiv dieses Bereiches ist gestalterische und topographische Überhöhung der vorhandenen Erdmodulation des alten Schießstandes. Ziel des Entwurfes ist die Definition einer Landschaft im Übergang, eines hybriden Freiraumes, der eine Sensibilität für das „Pittoreske“ der heutigen Lebenswelt befördert. Der Prozess der Umwandlung des Geländes wird dabei thematisiert: herausgenommene Bauteile und Oberflächen werden geschreddert und ins Halbrund der vorhandenen Wallanlage verbracht, verdichtet und bis auf ca. 25m aufgeschichtet. Mit dem Aussichtsberg entsteht im Prozess der Parkwerdung eine Landmarke, welche ein Pendant zur weiten Ebene bildet und diese als Schwerpunkt reizvoll ergänzt. Nach Osten steigt der Berg in einem sanften Schwung leicht an und bietet zugleich einen liegefreundlichen Südhang. Durch seine Südorientierung und den freien Blick auf die Innenstadtsilhouette bietet die Landmarke eine besondere Aufenthaltsqualität. Die vorhandene Vegetationsstrukturen und Gehölze werden erhalten und punktuell durch weitere Baumcluster ergänzt. Unser Entwurf verbindet landschaftliche Elemente der Parkarchitektur mit einer gestalterischen Setzung, die ein einprägsames Raumbild in der großräumlichen Struktur generiert und den Gesamtraum in seiner konzentrierten Form sinnlich erlebbar macht.

Start- und Landebahnen. Zwischen Landschaftspark und Naturpark im Süden spannt sich in Ost –West-Richtung eine neue Verbindungsachse zwischen Herfurthstraße und Tempelhofer Damm. Sie soll die Anbindung des Areals verbessern und darüber hinaus zu einer Entlastung der Landebahn vom „Durchgangsverkehr“ ermöglichen. Die Landebahn wird damit für raumgreifende Bewegungsaktivitäten freigestellt und bewahrt ihren objekthaften Charakter. Die südliche Bahn wird in ein begleitetes Sukzessionsstadium überführt. Beide Bahnen werden an ihren jeweiligen Enden ohne weitere Pflanzmaßnahmen bewusst offen in die stadträumliche Struktur eingebunden um so den objekthaften Charakter zu unterstreichen.

Pionierfeld. Zur Förderung von Bürgerengagement und partizipatorischen Aneignung von öffentlichem Raum ist zwischen der nördlichen Landebahn und der neuen Ost-West-Verbindung Raum für Parkpioniere vorgesehen. Die Gestaltung dieser Fläche erscheint nicht als Endprodukt sondern vielmehr als ein weiterer prozessorientierter Ansatz. Dabei wird ein planerisch fest definiertes Strukturgerüst, das die räumliche Zonierung des Fläche, Beläge sowie Materialien fest definiert, kombiniert mit einer Entwicklungsstrategie, die weiche Planungswerkzeuge wie Minimalinterventionen, Regelung von Zugänglichkeiten oder kommunikative Instrumentarien integriert. Die Raumspange wird durch Selbstorganisationsprozesse kolonisiert. Der Park wächst. Der Raum wird so neu im öffentlichen Bewusstsein verankert und öffnet sich für neue Nutzungen.

Dieses Konzept wurde von der Jury als eins von sechs in die Auswahl für das Verhandlungsverfahren ausgewählt. Verfasser: Landschaftsarchitekt/in: Capatti Staubach, Tancredi Capatti, Matthias Staubach, Berlin;Architekt/in / Stadtplaner/in: Christoph Mayer, Berlin


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