vonDetlef Kuhlbrodt 13.03.2009

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Das Marc Almond Konzert war großartig! Eines der schönsten, die ich je gesehen habe. Wie bei allen wichtigen Konzerten, war ich den ganzen Tag über schon ziemlich aufgeregt; ich hatte Angst, dass es nicht wirklich gut werden könne. Es war auch komisch, dass er in meiner Gegend spielte; fünf Minuten von zu Hause.
Es regente ein bißchen. Vor der Passionskirche standen paar Leute, die noch Karten verkauften. Vermutlich hatte es sie verwirrt, dass das Zusatzkonzert vor dem lange schon ausverkauften Konzert statt fand und nicht danach. So war die Passionskirche schätzungsweise dreiviertelvoll. Vielleicht auch vier fünftel. Wir standen aber noch davor und rauchten. Ich war allein da. Das Publikum war international; ein paar Engländer, Italiener, Spanier. Jemand hatte gesagt, es würde um halb neun anfangen. Eine Frau, Mitte dreisssig, deren Begeisterung ansteckend war, erzählte von einem Fan, den sie grad kennengelernt hatte. Der hätte schon drei Konzerte dieser Tour gesehen, käme aus Süddeutschland, und sehe ganz unscheinbar aus. Sein unscheinbares Aussehen begeisterte sie richtig und sie stupste mich während sie das erzähte mehrmals an, ging dann aber wieder mit ihrer Begleitung. Monika Döring, die lange Zeit das Loft im Metropol gemacht hatte, bevor sie dann in die Goa-Szene ging, sagte ihr Lieblingslied von Marc Almond sei Sowieso – ich verstand den Titel nicht – und antwortete, meine Lieblinsgplatte wäre „Violent Silence“. Was sie glaube ich wieder nicht kannte.

Um halb neun betrat Marc Almond die Bühne. Er war so gekleidet, wie in der Vermine-Hermine-Phase, also schwarz und purple, und wirkte viel entspannter, als vor acht Jahren. „It’s nice to be back in the passion church.“ Anfang der 90er hatte er hier zum ersten Mal gespielt, in ganz kleiner Besetzung, nur mit Gitarrenbegleitung; ein Konzert, dass fast ausschließlich aus seinen Jacques Brel-Songs bestanden hatte. Mitte der neunziger war er dann noch mal hier gewesen, 2001 dann die Soft-Cell-Reunion-Tour, das Konzert in der Columbiahalle, 2005 der schlimme Motorradunfall.

Anfangs sang er, in blaues und rotes Licht getaucht, vor allem Stücke von „Fantastic Star“ und „Stardom Road“. Und „Glorious“, „My Love“, „Child Star“ (ich hatte mir während des Konzerts kaum Notizen gemacht; sicher steht im Internet irgendwo schon die Setlist; es gab noch zwei sehr schöne Stücke, die ich nicht kannte)
Jemand rief etwas, was trotz Wiederholung nicht zu verstehen war; Marc Almond machte entspannt ein paar Scherze. Später rief wohl jemand „how do you feel“ und er antwortete: was denkst du denn – „I’m feeling old“.

Als er „Tragedy“ sang, dachte ich, das wäre die Unterschrift unter einem Marc-Almond-Bild im Guardian: „Marc Almond doing ‚Tragedy'“. Danach, oder zumindest in der Gegend von ‚Tragedy‘, ein großartiger, erster Höhepunkt des Konzerts: „If you go away“. Er hätte das Lied sehr lange nicht mehr aufgeführt, sagte er, verließ dann die Bühne und ging in den Mittelgang, auf seine Fans zu.
Ich war die Zeit zuvor leicht nervös und ohne Homebase hin- und hergerannt;
rechts von der Bühne sah man Marc Almond ein bißchen besser; der Sound war aber schlechter; im Mittelgang; hinter dem Mischpult war’s auch ganz gut; sich die Lichtverteilungsgrafik im Computer des Lichtmanns anzugucken.


Kurz vor „If you go away“, hatte ich noch die Fanfrau getroffen. Sie sagte, sie müsse jetzt schnell mal eine rauchen und dass sie auf „Jackie“ warten würde. Ich wollte ihr erzählen, dass ich bei dem Lied jahrelang immer statt „I’d have a bank on every finger/ A finger in every country“, „a finger in every cunt“ verstanden hatte, da war sie aber schon weg.
Kurz hatte ich mir noch überlegt, rauszugehen, um eine zu rauchen, war dann aber doch geblieben.

Marc Almond stand auf der Bühne und erklärte, dass er dies Stück lange nicht mehr öffentlich gesungen hätte, weist also auf den besonderen Moment hin, und beginnt, ganz zart, verläßt die Bühne, geht in den Mittelgang und steht ganz nah bei den Leuten – er weiss, was er seinen Fans schuldig und ist und ist ihnen dankbar und die Fans natürlich auch.
Ich gehe dann auch in den Mittelgang und stehe plötzlich vielleicht sechs Meter vor Marc Almond, während er „If you go away“ sang und mich dabei anguckte. Unsere Blicke treffen sich glaube ich, auch wenn die Lichtverhältnisse so sind, dass wir unsere Augen nicht sehen konnten.
Irgendwann, vor hundert Jahren, hatte ich ihn mir als Repräsentanten eigener Weltgefühle ausgesucht; als einen der das, was gestört, wirr und schlecht verarbeitet in einem so vorgeht, die eigenen verpeiltromantischen Aussenseitergefühle, äh, glaubwürdig repräsentiert und in eine schöne Form bringt und nun hätte ich nur zwei Schritte machen müssen, um meinen Star zu umarmen.
Keine Ahnung, was er sah; vermutlich nur die Silhouette eines netten Fans, der so ähnlich angezogen war, wie er, für den er dann ein bißchen sang, bis sich andere dazwischen schoben. Ich war fast in Ohnmacht gefallen. (Hätte mir irgendjemand mal gesagt, das ich bei „if you go away“ fast in Ohnmacht fallen würde, hätte ich geantwortet: „du hast doch einen Knall!“)

Es war aber ergreifend. Es gab standing ovations. Eigentlich gab es nun dauernd standing ovartions.
Jemand ging auf die Bühne und überreichte ihm einen großen Blumenstrauß mit roten Rosen. Das geschah dreimal und die, die sich getraut hatten, wurden nett umarmt.
Und dann eine „stunning“ Performance von Jackie; fast so scatmäig superschnell gesungen und mit langen Pausen, wo er dann superschön dandymäßig am Klavier stand und amüsiert in’s Publikum schaute. Gesangstechnisch war das absolut großartig und viel besser, als bei den anderen Konzerten, die ich von ihm gesehen hatte.

Nach anderthalb Stunden verließ er die Bühne. „Mother Fist“ war glaube ich die erste Zugabe. Beim Mitsingen spürte ich die Löcher im Zahnfleisch wo mir neulich paar Zähne rausgerissen worden waren. Dann „Tainted Love“ als zweite Zugabe – unglaublich, wie frisch das wirkte, wie wunderschön und gut das war. Wieder stand er eine Weile im Publikum, als er das sang. Als letztes Stück und dritte Zugabe „Say hello – wave goodbye“, ein Lied, das jeder versteht, wo sich jeder drin wiederfindet und – anders als zuvor bei „Something’s gotten hold on my heart“ für Gene Pitney dort oben im Himmel –  verhaspelte sich das Publikum nun auch nicht mehr beim Mitsingen : „I never knew you, you never knew me – say hello, wave goodbye“.

Ich beneide die Leute, die eine Karte für das Konzert heut abend haben.

Freitagabend:

Gestern, nach dem Konzert war ich noch mal da; die Menschen wirkzen glücklich. Der Schlagzeuger hätte doch ausgesehen, wie dieser eine Typ aus der Sesamstrasse, sagte jemand.

Und hier die anderen Fotos. Als ich nahe dran war, hab ich natürlich nicht fotografiert.:

die Handyfilmästhetik ist ganz schön, finde ich

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