vonHelmut Höge 22.05.2009

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Am 18.Mai starb der Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin.

Er wurde 92 Jahre alt. Seine ethnopsychoanalytischen Bücher, die er zusammen mit seiner Frau Goldy und seinem Freund Fritz Morgenthaler schrieb, waren in der Studentenbewegung quasi Pflichtlektüre. In den letzten 15 Jahren veröffentlichte er vor allem Erzählungen. Antonia Herrscher und ich interviewten ihn im Sommer 2008 – über „Jugoslawien“ und die dortige „Partisanenkrankheit“.

1948 hatte er, der zuvor als Arzt bei den “Tito-Partisanen” gearbeitet hatte, einen psychiatrischen Bericht über die in Jugoslawien nach dem Krieg bei demobilisierten Partisanen massenhaft aufgetretene “Partisanenkrankheit” veröffentlicht. Es war seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung und diese Krankheit bezeichnete er in seinem Aufsatz als hysterische bzw. epileptische “Kampfanfälle”. Sie bedeuteten für ihn das Gegenteil einer “Kriegsneurose”: Während diese den davon heimgesuchten vor weiteren Fronteinsätzen quasi schützt, legte jene nahe, dass der oder die an ihr Erkrankte nicht mit dem Kämpfen aufhören kann bzw. will. Das betraf damals etwa 120.000 zumeist junge, ungebildete vom Land stammende Demobilisierte (1/3 davon waren Frauen).

Hier einige Teile aus unserem Interview mit Paul Parin:

„Die Arbeit als Chirurg bei den Partisanen in Jugoslawien war eine wichtige Erfahrung für mich. Zunächst während des Krieges, im Januar 1946 war ich dann noch einmal in Jugoslawien – in Nordbosnien. Das war noch vor meiner Arbeit als Psychoanalytiker. Und die „Partisanenkrankheit“ dann war so interessant, dass ich alles aufgeschrieben habe. Der Artikel für das renommierte Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, der daraus dann entstanden ist, hat lange gelegen. Ich habe ihn Professor Bruns geschickt, der ein Gutachten dazu gemacht hat, das muß in meinem Archiv in Wien liegen, das Gerry Trübswasser verwaltet. Bei Prof. Bruns habe ich dann auch eine Analyse gemacht. Eine Zürcher Kollegin, Ursula Hauser, die in Costa Rica ein psychoanalytisches Institut mit aufgebaut hat, beschäftigt sich in Nicaragua mit einer ähnlichen Symptomatik wie die Partisanenkrankheit. Es handelt sich dabei um Miskitos, sie sind früher von Wiedertäufern beeinflußt worden und waren dann als Gesellschaft derart isoliert, dass sie sich primär durch Inzest vermehrten. Schließlich wurde der Stamm in zwei Teile geteilt – die einen wurden Sandinistas, die anderen Contras. Zuletzt kam es unter ihnen zu einer „ansteckenden Neurose“ – ähnlich der „Partisanenkrankheit“ (PK).

In Jugoslawien – gegen Ende des Krieges – waren die Ärzte zunächst ratlos – angesichts der plötzlich massenhaft auftretenden „PK“: eine „ansteckende Epilepsie? Das gibt es doch nicht!“ 1/3 der Kranken waren Frauen. Die demobilisierten Partisanen, die schon in der zuvor zusammengestellten Volksbefreiungsarmee gekämpft hatten, waren ratlos – sie drängten in ihre Einheiten zurück. 90% des Landes war verwüstet durch den Krieg. Die Häuser ihrer Eltern zerstört und ihre Eltern lebten vielleicht gar nicht mehr. Was sollten sie machen? Ihr Kampfanfall war auch ein Wunsch. In unserem Spital kam es immer wieder zu solchen Anfällen – einer umgedrehten Kriegsneurose. Das Spitalpersonal hielt sie fest, ich habe vorgeschlagen, laßt sie los, aber das ging nicht, sie verletzten sich bei ihren Anfällen. Besonders hat sich ein jugoslawischer Psychiater namens Klejn um sie gekümmert. Er hat dann später seine Praxis aufgegeben und ist Regisseur an der Belgrader Oper geworden. Ich habe einen Briefwechsel mit ihm über die PK geführt – Klejn hat ihren Sinngehalt genauso gesehen wie ich, auch in bezug auf die Ansteckung. Der Briefwechsel befindet sich im Archiv von mir.

Ich arbeitete erst in einem Spital in Montenegro, dann in einem auf einer Insel nahe Corcula, wo wir bis Februar 1945 in einem Franziskaner-Internat untergebracht waren. Dann wurde das Spital aufs Festland verlegt – nach Herzegnowy, wo wir das ehemalige Spital der königlich-jugoslawischen Marine übernahmen. Ich war der einzige Arzt dort für 660 Schwerverletzte und Typhuskranke. Zur chirurgischen Assistenz stand mir eine sehr gute Krankenschwester zur Seite. Die Tschetniks hatten ihren Mann und ihre Kinder erschossen. 2007 erfuhr ich: sie hatte neu geheiratet und einen Sohn, der Arzt in Paris geworden war.“

1. Exkurs – wie Paul Parin der Krankenschwester einmal das Leben rettete, sie sollte erschossen werden. Von Herzegnowy ging es nach Belgrad, wo sein Kollektiv in einem Vorort ein Spital der deutschen Luftwaffe übernahmen. Paul Parin operierte dort bis Juni 1944 (oder war es bis 1945 – nachkucken in: „Stell dir vor, es ist Krieg und wir gehen hin“), Goldy arbeitete dort bis November.

„Die Partisanenkrankheit ist in Slowenien, bei slowenischen Partisanen, nicht aufgetreten – es gab dort kein Sexualverbot. Zu wenig betont habe ich in meinem Artikel darüber, dass die Partisanenkrankheit ideologisch vorgebildet war – in Form von Trancezuständen. In Nordbosnien wurden die Töchter verheiratet. Wenn der Braut der Mann nicht gepaßt hat, dann bekam sie „Zustände“, um der Ehe mit ihm auszuweichen – bis ein Mann ausgesucht wurde, der ihr gepasst hat. Das habe ich nicht gewußt damals. Und wahrscheinlich ist die Partisanenkrankheit dort entstanden. Schließlich waren 80.000 – 120.000 junge Leute praktisch geisteskrank.“

2. Exkurs: Jugoslawische Politik in der ersten Nachkriegszeit. Der Sowjetische Wirtschaftsplan sah eine Abhängigkeit von der UDSSR vor. Tito wollte diesen Plan nicht annehmen. Die jugoslawische Fluglinie war bereits sowjetisch, und die Aktien der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft befanden sich ebenfalls in sowjetischem Besitz. Tito schickte zu Verhandlungen stets eine Delegation, statt selbst dorthin zu fahren. Tito ließ Belgrad im Oktober 1944 durch seine eigenen Truppen – fast ohne die Russen – befreien, die anschließend keine größeren Operationen in Jugoslawien mehr durchführten. Anfang 1948 stimmte das Zentralkomitee Titos Ablehnung des sowjetischen Wirtschaftsplanes für Jugoslawien zu. Und der Titoismus wurde zum Hauptfeind der UDSSR. Jugoslawien blieb russenfrei – und behielt dadurch seine Stellung zwischen Ost und West.

3. Exkurs über den 5-Sternegeneral der Sanitätstruppen Goyko Nikolis, dem obersten Vorgesetzten von Paul Parin, der über die Vereinigung der ehemaligen Spanienkämpfer in Jugoslawien Kritik an der Parteiführung äußerte, die er jedoch erst im französischen Exil veröffentlichte, er lebte dort in der Nähe von Bordeaux, wo es ihm dann sehr schlecht ging.

4. Exkurs über Alexandr Tisma: Er war Pfadfinder – als Jude, und der einzige der im Pfadfinderlager einen Pyjama mit dabei hatte.

Buchtip von Paul Parin: Lojze Kovacic „Die Zugereisten“ – eine Familienchronik über die Slowenen und ihre Unterdrückung.

Recherchen von mir über die Partisanenkrankheit:

Die Partisanenkrankheit war zuvor auch schon von Nadeshda Mandelstam
beobachtet worden: Sie fuhr mit ihrem Mann 1922 nach Suchumi – auf dem
Schiff befanden sich viele demobilisierte Leichtverwundete, die aus dem
Bürgerkrieg zurückkehrten, und ständig kam es unter ihnen zu solchen
“Kampfanfällen”.

Zuletzt berichtete Ursula Hauser in Gesprächen mit Paul Parin von ähnlichen Symptomen. Sie hatte in Costa Rica ein psychoanalytisches Institut aufgebaut und in Nicaragua Miskito-Indianer behandelt. Diese waren früher von wiedertäuferischen Brüdergemeinen beeinflußt worden, hatten ansonsten jedoch derart isoliert gelebt, dass sie sich primär durch Inzest vermehrten. Ihr Stamm wurde dann in zwei Teile geteilt: die einen schlossen sich den Sandinistas an, die anderen den Contras. Nach Beendigung der Kämpfe kam es unter ihnen ebenfalls zu einer “ansteckenden Neurose” – ähnlich der Partisanenkrankheit.

Von “Ansteckung” redet auch Roger Caillois in seinem Buch “Méduse & Cie”, in dem es um die “Mimese” geht, die er als tierisches Pendant zur menschlichen Mode begreift. Beides gründet für ihn “auf eine undurchsichtige Ansteckung”. Gilles Deleuze und Félix Guattari sprechen bei der Banden-, Meuten- und Schwarmbildung von “Ansteckung”, insofern es dabei um ein “Werden” geht. Dieses kommt durch Bündnisse zustande: “Werden besteht gewiß nicht darin, etwas nachzuahmen oder sich mit etwas zu identifizieren; es ist auch kein Regredieren-Progredieren mehr; es bedeutet nicht mehr, zu korrespondieren oder korrepondierende Beziehungen herzustellen; und es bedeutet auch nicht mehr, zu produzieren, eine Abstammung zu produzieren oder durch Abstammung zu produzieren. Werden ist ein Verb, das eine eigene Konsistenz hat; es läßt sich auf nichts zurückführen und führt uns weder dahin, ‘zu scheinen’ noch ‘zu sein’. Das Werden ist eine Vermehrung, die durch Ansteckung geschieht. So wie beim Vampir – der sich ja auch nicht fortpflanzt, sondern ansteckt.”

Dies scheint mir, bei allem Respekt vor marxistischen (politökonomischen) Analysen, auch für die 68er-Studentenbewegung zu gelten, die sich u.a. in Frankreich und Italien mit den Arbeitern verbündete. Es gab kaum ein Land auf der Welt, das nicht von dieser Protestbewegung erfasst wurde. Und das geschah eben auf dem Wege der Ansteckung: über die Protest-Formen, -Moden, -Musiken, ihre mediale Verbreitung und durch direkten Kontakt mit den Protestierenden selbst. In wissenschaftlicher Hinsicht kann es so etwas wie eine “ansteckende Neurose” nicht geben, dennoch kennen wir solche Phänomene schon seit langem: im Mittelalter die Veitstänze und in den Sechzigerjahren die Hysterien der Beatlesfans. Sogar bei den frühen Sartre-Auftritten war es bereits zu solchen hysterischen Ohnmachten gekommen. Daneben gilt das Lachen, aber auch das Gähnen als ansteckend (nicht einmal Hunde können sich dem entziehen).

Um während der Studentenbewegung die Ansteckungsgefahr zu bannen, d.h. die Revolte an der Ausbreitung zu hindern, setzten die konservativen Kräfte in den meisten Ländern auf die heilsame Wirkung von Polizeiknüppeln. In der Protestbewegung selbst wußte man jedoch, dass gerade die Polizeiknüppel auf Demonstrantenschädel eine bewußtseinserweiternde Wirkung hatten – sogar auf unbeteiligte Fernsehzuschauer. Erst 20 Jahre Jahre später und nach dem “Zusammenbruch des Sozialismus” trauten sich die Politiker wieder, für alle Übel dieser Welt “68″ verantwortlich zu machen: Bei Tony Blair und Nicolas Sarkozy war dies sogar (analytischer) Teil ihres Regierungsprogramms. Auch die Universitätspräsidenten beeilten sich landaus landab, “die letzten Folgen von 68″ zu beseitigen, wie sie lauthals zu verkünden wagten. Die nächste Protestpest wird deswegen um so gewisser sein. Zumal es bis jetzt noch keinerlei Forschung darüber gibt, wie die Ansteckung wirklich erfolgt – geschweige denn, wie man sie im Keim ersticken kann.

Zur Sexualmoral der Partisanen:

In vielen Partisanenbewegungen – während des Zweiten Weltkriegs, aber auch noch im „Vietnamkrieg“ – herrschte eine rigide Sexualmoral: Die Kämpfer – Männer wie Frauen – waren auf das meist bäuerliche Umfeld, dem sie nicht selten selbst entstammten, angewiesen. U.a. darauf, dass man ihnen aus den Dörfern Mädchen und Frauen hochschickte, die sich als Versorger, Kuriere, und Mitkämpfer zur Verfügung stellen wollten, wie Paul Parin schrieb.

Der serbokroatische Schriftsteller Mladen Oljaca beschrieb in seinem Partisanen-Roman „Das Vermächtnis“, wie schrecklich sich diese Abhängigkeit gestalten konnte: Seine Gruppe nahm einmal zwei der Spionage für die Deutschen verdächtige junge Mädchen gefangen. Zwar kam beim „Verhör“ heraus, daß sie keine Spione waren, aber da man sie physisch gefoltert hatte, wurden sie trotzdem erschossen: Derart zerschlagen hätte man sie nicht ins Dorf zurücklassen dürfen, wo man weiterhin auf die Unterstützung der Bauern angewiesen war.

Der österreichische Historiker Erik Eberhard schreibt in einer neuen Studie über den kommunistischen Widerstand in Griechenland: „In den Bergen, außerhalb der Kontrolle von Familie und Dorfgemeinde, entwickelten sich freiere soziale und sexuelle Beziehungen, die aber von den Führungen von EAM (Nationale Befreiungsfront) und ELAS (Volksbefreiungsarmee) auch als Problem gesehen wurden. Denn natürlich führten sie dazu, daß immer wieder unverheiratete junge Frauen, die in der ELAS kämpften bzw. sie als Trägerinnen, Köchinnen, Krankenpflegerinnen unterstützten, schwanger wurden. In den konservativen Dorfgemeinden brachte das sowohl für die Frauen als auch für die Haltung gegenüber der ELAS ernste Probleme mit sich. Deshalb untersagte die ELAS-Führung Annäherungsversuche gegenüber Dorfbewohnerinnen und ahndete Belästigungen mit schweren Strafen. Innerhalb von ELAS und EAM wurde eine puritanische Moral gepredigt. Sexuelle Beziehungen waren streng verboten. Eine Aktivistin vom Peloponnes kam zu folgender Einschätzung: ‚Wenn nicht so strenge Standards bestanden hätten, wären weder Frauen noch Mädchen der Organisation beigetreten, noch hätten die Dörfler jemals die Kader und die Partisanen in ihre Häuser und dort schlafen gelassen, noch wäre ich persönlich in der Lage gewesen, mein Haus zu verlassen und am Widerstand teilzunehmen. Die Leute wußten, daß romantische Verwicklungen verboten waren‘. Beziehungen mußten der Organisation gemeldet werden, und in manchen Fällen wurde das Paar geographisch getrennt. Die EAM übernahm eine disziplinierende Rolle, die üblicherweise den Eltern vorbehalten war. Es wurde argumentiert, daß sexuelle Beziehungen ‚dem Kampf schaden‘ würden und dem Gegner die Möglichkeit zur Propaganda gäben, daß EAM und ELAS eine ‚degenerierte Gesellschaft‘ anstrebten.“

Teilweise unterwarfen sich auch die italienischen Partisanen einer ridigen Sexualmoral. Die Piemonteser Partisanen-Kurierin Anna Maria Follo legte jedenfalls noch 1995 Wert auf die Feststellung: „Es gab nicht einen einzigen Fall von Respektlosigkeit mir gegenüber. Ich bin ‚rein‘ aus den Bergen wieder zurückgekommen“ – das war im April 1945, als sie sich an der „Befreiung Turins“ beteiligte.

In den Partisanenbewegungen Osteuropas – insbesondere in Weissrussland, Litauen und Polen – wurde die Sexualmoral dagegen nicht derart betont. Im Gegenteil – kam eine der Meldegängerinnen in Andrej Wajdas berühmten Spielfilm über den Warschauer Aufstand 1944 „Der Kanal“ sogar zu dem Schluß: „Mit Liebe ist es leichter zu sterben“. Sie erschoß sich am Ende, weil ihr Geliebter ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Eine zweite Meldegängerin – „Gänseblümchen“ – versuchte ihren verwundeten Geliebten zu retten. Die ARD interviewte 2004 eine der wirklichen Kämpferinnen des Warschauer Aufstands – Wanda Stawska, die dabei auch auf „die schönen Momente des Warschauer Aufstands“ zu sprechen kam: Alle Jungs seien in die Kämpferinnen verknallt gewesen – „wir waren doch alle so jung. Und es entstand eine so unglaubliche Solidarität und Nähe in dieser ganzen Aussichtslosigkeit“. Ähnlich äußerten sich auch einige andere weibliche Verbindungssoldaten im Warschauer Aufstand, die der Freiburger Regisseur Paul Meyer 2006 für seinen Film „Konspirantinnen“ interviewte. So meint eine der Frauen z.B.: „Es war die schönste Zeit in meinem Leben“.

Auch die in den Wäldern untergetauchten bzw. von den Wäldern aus operierenden Partisanen waren dort in sexueller Hinsicht eher freier als in ihren alten Milieus zuvor – und das wirkte anscheinend auf die Dörfer zurück. Der polnische Dichter Jan Himilsbach schrieb – über seine Mutter, die während des Krieges mit Deutschen Umgang hatte: Die Nachbarn sagten ihr, wenn sie einen Kerl haben wolle, dann „solle sie sich als Patriotin und Antifaschistin jemanden aus dem Wald holen, wo in letzter Zeit Partisanen wie Pilze aus dem Boden schossen.“

Nicht selten sehnten sich die Partisanen nach dem Sieg zurück „in die Wälder“, wo ein stärkeres „Gemeinschaftsgefühl“ geherrscht hatte. Zudem überdauerten die dort eingegangenen Liebesbeziehungen nur selten das Ende der Kampfhandlungen. Rochelle Sutin, eine Partisanin aus Litauen schätzt, dass etwa 80% der Paare, die im Wald bzw. im Kampf zusammen gefunden hatten, danach wieder auseinander gingen: „Die Überlebens- und Nützlichkeitsaspekte waren in Friedenszeiten nicht mehr tragfähig“. Sie selbst trennte sich nicht von ihrem Mann, dennoch mußte auch sie „umdenken“: „Ich war inzwischen wie ein Waldtier – ich hatte mich an das Leben in frischer, freier Luft gewöhnt“.

Im Wald konnte man jedoch von einer „Waldkrankheit“ befallen werden. Der polnische Schriftsteller Yuri Suhl hat sie in seinem Roman „Auf Leben und Tod“, der von jüdischen Partisanen in einem ukrainischen Wald handelt, die unter der Führung von Mischa Gildenmann kämpften, beschrieben. Eine Krankenschwester in einem Waldlager erklärte sie gegenüber einem Patienten so: „Der Wald kann dich heilen und krank machen. Einige Partisanen haben jahrelang Krankheiten gehabt, die im Wald verschwanden. Keiner weiß warum. Es ist ein Rätsel. Und andere, die vorher nie etwas gehabt haben, werden krank, so wie du, mit hohem Fieber und Schüttelfrost.“

In der Sowjetunion gab es im Zweiten Weltkrieg die größten Partisaneneinheiten und von ihnen befreite Gebiete in Weissrussland. Dort entstand später dann auch eine Literatur, vor allem von Ales Adamowitsch und Wassil Bykau, die sich fast ausschließlich mit dem Partisanenkampf befaßte, weil der Einzelne dabei noch moralische Entscheidungen treffen kann und muß, während er in der Armee nur noch ein Rädchen im Getriebe einer gigantischen Militärmaschinerie ist, auch wenn er weiterhin Teilnehmer an einem „gerechten Krieg“ bleibt. Diese daraus entstandene Literatur kann man als „sozialistischen Existentialismus“ bezeichnen. In Frankreich entstand aus dem Partisanenkampf gegen die Deutschen zur selben Zeit explizit ein „Existentialismus“, er ist mit den Résistancekämpfern Sartre und Camus verknüpft. In Italien sprach man von Neoverismus oder Neorealismus, der dann vor allem durch Filme – u.a. von Rossellini – berühmt wurde. Das erste neorealistische Manifest wurde bereits 1943 in einer Partisanenzeitschrift veröffentlicht.

Die vietnamesische Partisanenarmee versuchte die strenge Moral der Bauern anscheinend sogar noch zu überbieten. Dazu kam, dass sie in ihrem Kampf gegen die Militärdiktatur und das US-Militär immer wieder auch auf die Unmoral der Amerikaner abzielte: Die Amerikaner zerstörten das Land und trieben die Bauern in die Städte, wo sie nur in Bars und Bordellen arbeiten oder kriminell werden konnten. Ein Sprecher der Nationalen Befreiungsfront erklärte ihren siegreichen Kampf schließlich mit dem – was man fast ein „Partisanengesetz“ nennen könnte: „Der Unterschied in der Feuerkraft wird durch den Unterschied in der Moral aufgehoben“. Umgekehrt wurde der Zusammenbruch der gegnerischen Wehrpflichtigenarmee Südvietnams damit erklärt, dass „sie moralisch am Ende“ war. Wenn ein Bauer in einem der von den Amerikanern eingerichteten „Wehrdörfer“ seine Töchter dort zur Schule schicken mußte, dann verbot er ihnen u.U. Jeans zu tragen oder Kaugummi zu kauen – was ihn nicht selten sogleich in Verdacht brachte, ein „Vietkong“ zu sein. Bald war für die Amerikaner jeder Vietnamese ein „Vietkong“. Der während des Krieges in Hué als Arzt tätig gewesene Erich Wulff schrieb in seinem Buch „Lehrjahre in Vietnam: Die Guerilla auf dem Land „wurde immer mehr zum geistigen, politischen und organisatorischen Zentrum für die Orientierung der Menschen in der Stadt“.

Wenn man Paul Parin folgt, dann hatte das rigide partisanische Sexualtabu in Jugoslawien, mit der Ausnahme Slowenien, zur Folge, daß nach dem Krieg dort die „Partisanenkrankheit“ epidemische Ausmaße annahm. Dabei bekamen die ehemaligen Kämpfer plötzlich massenhaft hysterische Kampfanfälle: „In früheren Kriegen hatten Kriegsneurosen stets den verborgenen Sinn, einem unerträglichen Geschehen zu entrinnen…Bei Jugoslawiens Partisanen war es umgekehrt. Vielen war es unmöglich, den Kampf aufzugeben“, schrieb Paul Parin. Es wurden deswegen Spezialkliniken für diese nach dem Sieg im Volkskrieg immer häufiger auftretenden Fälle eingerichtet – und jugoslawische Ärzte begannen mit der Erforschung dieser im Gegensatz zur „Kriegsneurose“ bis dahin noch unbekannten Krankheit.

Durchgesetzt hat sich seitdem jedoch die andere Seite – mit einer anderen Begrifflichkeit: Als die US-Soldaten nach dem Vietnamkrieg nach Hause kamen, wurden sie von der kriegsmüden und in der Haltung zum Krieg gespaltenen Bevölkerung nicht gerade freudig empfangen. Sie organisierten sich und gründeten die gewerkschaftsähnliche Organisation der Vietnam Veterans. Mit ihrer Lobbyarbeit gelang ihnen 1980 die Anerkennung und damit Etablierung der PTSD „Post-Traumatic-Stress-Disorder“ (posttraumatischen Belastungsstörung) durch die „American Psychiatric Association“. „Die PTSD-Diagnose bedeutete eine Würdigung ihrer psychologischen Leiden,“ schreibt die Soziologin Eva Illuoz. Von den Vietnam-Vets aus wurde „das PTSD dann auf immer mehr Vorkommnisse und Fälle ausgeweitet, etwa auf Vergewaltigung, terroristische Angriffe, Unfälle, Verbrechen etc..“ Inzwischen sind wir mehr oder weniger und im Zweifelsfall alle gestresst. Der Stress der Vietnam-Vets ist ein Vorläufer der Kriegsneurose, genauer gesagt: ein Nachläufer. PTSD ist die Verlängerung der Kriegsneurose in den Frieden. Letztere wird seit dem Ersten Weltkrieg systematisch erforscht und klassifiziert, vorher gab es nur Simulanten. Beim PTSD wie auch bei der Partisanenkrankheit ging es in Friedenszeiten nicht zuletzt auch um die Rente – dafür war ihre offizielle Anerkennung als Leiden Voraussetzung. Anders gesagt: „Die Klassifizierung von Pathologien entsprang der Tatsache, dass die mentale Gesundheit aufs engste mit der Versicherungsdeckung verknüpft wurde.“ (Eva Illouz)

Das ist noch nicht lange so. Partisanen hat es dagegen schon immer gegeben, so lange wie es Volkskriege und -aufstände gegen innere oder äußere Bedrückungen gab. Und meistens standen sie in einem Zusammenhang mit der Landbevölkerung. Einige Partisanentheoretiker, wie der BBC-Programmchef Steward Hood, der im Zweiten Weltkrieg Partisanenführer in der Toskana war, meinen, dass nunmehr, mit dem Verschwinden der Bauern auch kein Partisanenkampf mehr möglich ist. Nach dem euphorischen Friedensschluß, auf dem Weg nach Hause, überfiel ihn seiner eigenen Aussage zufolge erst einmal ein Posttraumatisches Syndrom, das sich jedoch eher in Erschöpfung denn als Weiter-Kämpfen-Wollen äußerte.

Was der Wilderer im Frieden, ist der bäuerliche Partisan im Krieg bzw. unter fremder Besatzung. Deswegen empfiehlt Paul Parin den siegreichen Partisanen nach ihrem Krieg statt zu herrschen lieber jagen oder angeln zu gehen. In einer fast durchurbanisierten Welt kann es laut Hood höchstens noch eine Stadtguerilla geben – und ihre Krankheit, das wäre das PTS. Tatsächlich begriffen sich die Mitglieder der RAF und der „Bewegung 2.Juni“nach ihrer Entlassung aus der Haft dann auch als „traumatisiert“. In langen Gesprächen mit Psychologen löste sich dieses Idiotenwort (all labelling is lethal) jedoch auf – zugunsten der dahinter sich verbergenden individuellen Leidensgeschichten. Siehe dazu: „Nach dem bewaffneten Kampf“, herausgegeben von Angelika Holderberg – im Psychosozial Verlag.

Neuerdings gibt es – in der Berliner Edition Freitag – ein weiteres Buch mit Geschichten von RAF-Frauen, herausgegeben von Traute Hensch und Katrin Hentschel: „Terroristinnen Bagdad 77“.

Traute Hensch gab zuvor in der selben Editionsreihe auch einige Bände mit Erzählungen von Paul Parin heraus. Sie sind alle ganz wunderbar. Am meisten hat mich allerdings seine Geschichte „Die Leidenschaft des Jägers“ beeindruckt – und vor allem überrascht. Sie wurde in einem der Verlage von Sabine Groenewold veröffentlicht.

Paul Parin war selbst ein leidenschaftlicher Jäger und Angler, der bereits als 13jähriger bei seinem ersten tödlichen Schuß auf ein Haselhuhn einen Orgasmus bekam: „Seither gehören für mich Jagd und Sex zusammen“. Dieser Doppelschuß, wenn man so sagen darf, machte ihn zum „Mann: glücklich und gierig“. Vor dem offiziellen Erwachsenenstatus steht aber noch eine sadistische „englische Erziehung“: Bei einer Jagd mit Hunden beging er als junger Treiber so viele Fehler, dass sein gutsherrschaftlicher Vater ihn von seinem Förster auspeitschen läßt – „auf den blanken Hintern“ inmitten der Treiberschar. Die darf ihn sich gleich anschließend noch einmal im Keller des Landschlosses vornehmen, dabei ziehen sie ihn ganz aus. Sein „Papa stand daneben und genoss das Schauspiel“. Anschließend legte sich einer der Burschen nackt neben ihn, „nahm meinen Pimmel in die Hand, steckte ihn in den Mund und fing an zu saugen und mit der Zunge zu streicheln. ‚Er will mich trösten‘, dachte ich und drehte mich so, dass ich seinen Pimmel auch zu fassen kriegte, und steckte ihn meinerseits in den Mund. Es war wirklich ein Trost.“

Das war aber noch nicht die eigentliche „Initiation“. Die kam erst mit 17 – als er seinen ersten Bock schoß. Ein Onkel hatte ihn in seine Jagdhütte eingeladen, als Paul Parin oben ankam, bedrängte dieser gerade mit heruntergelassener Hose seine Haushälterin am Kachelofen. „Komm in zehn Minuten wieder,“ rief ihm der Onkel zu, „dann sind wir mit Vögeln fertig. Dann sind auch die Mädels da, die ich gemietet hab. Sie sind scharf auf dich, haben sie gesagt“. Abends erzählt der Onkel Jagdgeschichten, danach geht der Bub mit einem der drei Mädchen auf sein Zimmer. Erst läßt sie sich von ihm mehrmals mit der Hand befriedigen, dann holt sie ihm einen runter. Anschließend schläft sie sofort ein, er kann nicht schlafen, stattdessen zieht er sich wieder an, schnappt sich sein Gewehr und geht in den Wald, wo er dann von einem Hochsitz aus einen „starken Bock“ mit Blattschuß erlegt. Beim Frühstück muß er alle Einzelheiten erzählen. Auch das gehörte zum „Ritual“.

Seitdem erfaßte ihn „das Jagdfieber immer wieder mit der gleichen Macht wie sexuelles Begehren“. Das ging auch seinem Jugendfreund so: „Dulli war Jude und zeitlebens dem Jagdfieber verfallen. Von seinem liebsten Jagdkumpan an die deutsche Besatzungsmacht verraten, wurde er Widerstandskämpfer und in der titoistischen Republik Slowenien Minister für Jagd und Fischerei“. Ein „aufgeklärter Mensch jagt nicht“ und auch ein „Jude jagt nicht“ – das sind „gleichermaßen Gesetze abendländischer Ethik. Ich muss mich zu den Ausnahmen zählen“. Aber Paul Parin hat von sich selber und vielen anderen erfahren: „Wenn mein Vater nicht seine Jagd gehabt hätte, wären wir Kinder in der strengen und sterilen Familienatmosphäre erstickt“. Deswegen kann er jetzt eher genuß- als reuevoll z.B. seine Jagd auf eine Gazelle in der Sahara und das Forellenfischen in Alaska – als Sucht – beschreiben.

„Sucht heißt, dass der narzisstische Genuß am Morden mit der Jagd weltweit einen Freibrief hat“. Am Beispiel von Milovan Djilas, leidenschaftlicher Angler, Mitkämpfer und Vertrauter Titos, gibt er jedoch zu bedenken: „Später, als Dichter, wusste Djilas: Keine Ausübung der Macht über das Volk, über die Schwachen bleibt ohne verbrecherische Taten. Wäre es nicht besser gewesen, der eigenen Leidenschaft Raum zu geben und den flinken Forellen nachzustellen…?“ Im Russischen gibt es ein volkstümliches Wort für Jagd und Lust: Ochota. Parins eigene „Jagdleidenschaft“ erlosch bald nach dem 84. Geburstag seiner Frau Goldy, am 30 Mai 1995: „An diesem Tag habe ich im Fluß Soca in Slowenien die größte Forelle meiner Laufbahn gefangen“. Anschließend erzählte er seiner Frau, daß er am Fluß einen jungen verwilderten Mann, der ihn beklauen wollte, fesselte – dann hätte er ihn ausgepeitscht bis zum „Flash“, woraufhin sie beide zum Orgasmus gekommen wären. Während Paul Parin diese Geschichte schließlich als eine „Phantasie“ darstellt, ist die Psychoanalytikerin Goldy sich da „nicht so sicher…Kann sein, dass du nicht nur die Riesenforelle erwischt hast, sondern auch einen Gayboy aus Kärnten“. Sie einigen sich darauf: „Es könnte so sein oder auch nicht…Gehen wir schlafen“.

In einer Art Nachwort rühmt Christa Wolf Paul Parins „Lebenskunst und Schreibkunst“, diese im richtigen Augenblick kennengelernt zu haben, hält sie für eine „glückliche Fügung“. Mich hat sie nun eher verwirrt. Während meiner Arbeit als landwirtschaftlicher Betriebshelfer hatte ich oft mit Bauern zu tun, die Jäger bzw. Treiber waren. Und oftmals kam mir das Dorfleben völlig oversexed vor, voller roher Triebe, die mich erstaunten, aber denen gegenüber ich meine eigenen auch als verzärtelt und allzu harmlos empfand. So erfuhr ich z.B. von einer Melkerin, mit der ich in einer LPG bei Babelsberg arbeitete, dass sie beim letzten Fest mit zwei Kollegen angetrunken aufs Feld gegangen wäre, um mit ihnen zu vögeln. Aber statt über sie, die sich bereits nackt hingelegt hätte, dankbar herzufallen, hätten die beiden Nichtsnutze sie bloß angepisst. Solche Schufte gäbe es. Ich war erstaunt, mit welcher Freimütigkeit sie mir das erzählte. Wollte sie mich schockieren? Nie hätte ich das sündige Dorfleben aber mit der Jagd in Zusammenhang gebracht, obwohl die Männer andauernd und bis ins hohe Alter den Frauen hinterherjagten, wie sie das selber nannten, und ich dabei selbst auch nicht gerade erfolglos war, obwohl mir weder die Jagd auf Wild noch das Angeln Spaß macht: Das eine bereitet mir hernach schlechte Träume oder ein schlechtes Gewissen, das andere langweilt bzw. im Anbissfall ekelt mich. Zudem waren und sind die Jagdgesellschaften meistens Männerrunden, mit deren Geschichten und Ritualen ich nichts anfangen kann. Als unnützen „Sport der Reichen und Mächtigen“ lehnten selbst „meine“ Bauern die Jagd zunehmend ab. Paul Parin ist 1916 auf einem slowenischen Landschloß geboren. Und in seiner Jugend lagen die Worte für Fleisch (viande), Vergewaltigung (viol) und Gewalt (violence) vielleicht noch enger zusammen als es bis heute im Französischen semantisch der Fall ist. Diesen Einbruch der Natur in die Kultur haben wir inzwischen mit der urbanen Trennung des Tieretötens vom Fleischessen vielfach für uns abblockiert, wobei das Morden – Jagen oder Schlachten – ebenfalls hochkultiviert/industrialisiert wurde. Von hier aus stellt sich mir die Lektüre der Jagd-Erzählungen von Paul Parin wie ein gelungener – weil verstörender – Einbruch in meinen psychischen Haushalt dar. Bisher hatte mich die ganze Jägerei – pro und contra – eher kalt gelassen.

In der Zeitschrift „konkret“ hat Klaus Theweleit gerade noch einmal den Aspekt des Lustmordens bei den deutschen Vernichtungsfeldzügen in Osteuropa herausgearbeitet, wobei er von Pasolinis Film „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ ausging und diese „Transgressionen ins gesellschaftlich Unerlaubte“ als „Parallelhandlungen zum politischen Ermächtigungsgesetz“ bezeichnete. Demnach wäre die Jagd eine „Transgression des Lustmordens ins gesellschaftlich Erlaubte“.

Nun gibt es aber noch eine erregendere Tätigkeit als die des Jägers: das ist die des Wilderers, „der gleichzeitig Jäger und Gejagter ist“, wie der Sozialforscher Norbert Schindler in seiner wunderbaren Studie über das Salzburger Land „Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution“ schreibt. Darüberhinaus ist der bäuerliche Wildschütze auch noch in Friedenszeiten das, was der Partisan im Krieg ist. Und der Partisan ist immer auch und zugleich Wilderer, denn alles was er zum Leben braucht, muß er dem Feind abringen, und dazu gehört auch das Wild in den Bergen, das dieser für sich beansprucht. So wie in Friedenszeiten der „rechtmässige Herrscher“, dessen Besitzansprüche an Wald und Wild der bäuerliche Freischütze nicht akzeptieren will und kann. Denn mehr noch als die wechselnden und willkürlichen (adligen) Landbesitzer ist er ein Teil des Territoriums und umgekehrt. Aus dieser genauen Ortskenntnis resultiert dann auch meist seine Überlegenheit über die ihm nachstellenden Jäger und Förster des Landbesitzers – und erst recht seine Überlegenheit gegenüber feindlichen Okkupationsheeren, die ihn auf seinem partisanischen Territorium bekämpfen, ja sogar gegenüber einer möglichen „Anlehnungsmacht“, die bereit und in der Lage ist, ihre Soldaten an seiner Seite kämpfen zu lassen.

Aber müßte man dann nicht Wilderer gegen Partisanen erfolgreich einsetzen können? Die Nazis ließen 1942 alle inhaftierten Wilderer im KZ Oranienburg konzentrieren und machten daraus die erste Partisanenbekämpfungseinheit der deutschen Wehrmacht, genommen wurden jedoch nur solche, die zuvor mit dem Gewehr und nicht – feige – mit Fallen gewildert hatten. Mit letzterer durften allein die Jäger und Förster der Waldbesitzer „arbeiten“. Die Wilderer wurden der Brigade Dr. Dirlewanger zugeteilt. … Wie Gregory Bateson richtig bemerkte: „Die Karte ist nicht das Gelände“, d.h. die alpinen Wilderer bewegten sich als Partisanenbekämpfer im Osten außerhalb ihres Heimatterritoriums und waren deswegen als solche nicht besonders erfolgreich. Sie hielten sich deswegen an die Zivilbevölkerung, vor allem an wehrlose Frauen und Kinder und Alte, die sie in Weißrussland, Polen und in der Slowakei zu tausenden ermordeten – und hernach einfach als Partisanen abbuchten.

Abschließend noch ein kurzer Auszug aus einem Nachruf auf Paul Parin, den der Zürcher Psychoanalytiker Mario Erdheim in der heutigen WOZ veröffentlichte:

„Als seine Frau Goldy 1997 starb, dachten viele, dass auch sein Leben bald zu Ende gehen würde. Und wieder wurde eine neue Seite von ihm sichtbar: ein starker Lebens­wille, gepaart mit stiller Lebensfreude. Voller Interesse nahm er Teil am Leben der vielen Menschen, die ihn besuchten und die er miteinander zu verbinden wusste. Charakteristisch war der Artikel über die Pharmagreise, in welchem er mit subversiver Lust eine Art Drogencocktail vorschlug, um im Alter die alte Vitalität weiterhin zu geniessen.

2005 erblindete Paul Parin. Für jemanden, der so stark auf Zeitungen und Bücher ausgerichtet war, schien das ein schrecklicher Schlag zu sein. Aber auch da setzte sich sein Lebenswille durch: Er widmete sich den Hörbüchern und hörte sich all das an, was er früher nicht oder kaum gelesen hatte: die Klassiker. Seine Neugier war unerschöpflich. Es war diese Lebendigkeit und Neugierde, die ihm ein schönes Greisenalter beschieden. Frauen und Männer, die zu Freunden geworden waren, taten sich zusammen und organisierten ihm seinen Alltag. Es hatte etwas sehr Berührendes: Paul und Goldy wollten keine Familie haben; aber am Schluss boten die Freunde mehr, als Familien sonst bieten: Nicht aus Verpflichtung, sondern aus Liebe und Sympathie wandten sie sich ihm zu.“

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https://blogs.taz.de/paul_parin/

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