Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Werner Faymann! Sehr geehrter Herr Außenminister Dr. Michael Spindelegger!
Seit April 2010 regiert in unserem Nachbarland die neu angetretene Fidesz-Regierung unter Viktor Orban mit einer verfassungsgebenden 2/3-Mehrheit im ungarischen Parlament. Ungarn steht im Zeichen der Wende. Der starken Ansage von Ministerpräsidenten Orban, mindestens 20 Jahre an der Macht bleiben zu wollen, folgten Taten. Die Fidesz-Regierung hat keine Zeit verloren:
In atemberaubender Geschwindigkeit wurde begonnen, die satte parlamentarische 2/3-Mehrheit dafür zu nutzen, die politischen Spielregeln im Land zu ändern.
Im ersten Jahr der Regierung Orban beschloss das Parlament über hundert neue Gesetze, teilweise mit empfindlichen sozialen Einschnitten, etwa bei Pensionen und öffentlich Bediensteten.
Mit dem international viel kritisierten neuen Mediengesetz wird die Freiheit der Medien und der Meinungsäußerung empfindlich eingeschränkt. Im Eilverfahren wurden Verfassungsänderungen, zuletzt eine große Verfassungsnovelle beschlossen – Kompetenzbeschneidung beim Verfassungsgerichtshof inkludiert.
Ohne Einbindung der repräsentativen Gewerkschaften ist ein neues Arbeitsgesetzbuch in Vorbereitung, das – so ist zu befürchten – zu Einschränkungen bei Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmer/innen und Gewerkschaften führen kann.
Unerwünschte Kritiker/innen werden ihrer Existenzgrundlage beraubt und mundtot gemacht – zuletzt geschehen durch Massenentlassungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Für den Unterzeichner dieser Petition ist nur allzu deutlich klar, dass die ungarische Regierung unter Viktor Orban die verfassungsgebende Mehrheit in keiner Weise mit der notwendigen Verantwortung gegenüber Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausübt.
Angesichts der bedrohlichen Entwicklung in unserem Nachbarland fordert der Unterzeichner Sie dazu auf, bei jeder gebotenen Gelegenheit, im Namen der Republik Österreich in deutlicher Art und Weise zu den bedenklichen und Demokratie und Meinungsfreiheit gefährdenden Entwicklungen in Ungarn Stellung zu beziehen:
Weisen Sie in diesem Sinn die stetig wiederholten Behauptungen von Vertreter/innen der ungarischen Regierung zurück, wonach in Ungarn heute nichts anderes geschieht, als – etwa im Rahmen des Medienrechts – in anderen EU-Mitgliedstaaten auch.
Machen Sie im bilateralen, wie auch multilateralen Rahmen gegenüber Repräsentant/innen der ungarischen Regierung klar, dass Medien- und Informationsfreiheit sowie die völlige Meinungsfreiheit, der Schutz von Minderheiten und die Unabhängigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit zu unverzichtbaren Grundbausteinen eines sozialen und demokratisch verfassten Europas zählen.
Unterstreichen Sie gegenüber der ungarischen Regierung, dass den Medien und insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinen kulturellen, sozialen und demokratischen Aufgaben hierbei eine besondere Bedeutung für Demokratie, Pluralismus, sozialen Zusammenhalt sowie kulturelle und sprachliche Vielfalt zukommt und jede Einschränkung in einem Mitgliedstaat der EU von der österreichischen Regierung auf das schärfste verurteilt wird.
Verweisen Sie darauf, dass sowohl der Europarat als auch die OSCE weiterhin scharfe Kritik am ungarischen Medienrecht üben. Trotz minimaler Nachbesserungen, wie sie erst auf Druck der Europäischen Kommission erreicht worden sind, kennzeichnen mangelnde Vielfalt und weitreichende Eingriffe in die Medien- und Meinungsfreiheit die neue Gesetzgebung.
Fordern Sie die Rücknahme von politisch motivierten Personalentscheidungen im öffentlichen und öffentlichkeitsnahen Bereich, die offensichtlich das Ziel verfolgen, Pluralismus in Ungarn zu verhindern und Kritik an der Regierungspolitik verstummen zu lassen.
Wolfgang Koch, Wienblog
Eine Inititiave der österreichischen Journalistengewerkschaft GPA-djp www.gpa-djp.at