vondorothea hahn 17.05.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

“Wir waren in Ihrer Wohnung.” Mit diesem Satz beginnen die drei vorgedruckten Zettel. Sie hängen an dem Griff auf der Innenseite meiner Wohnungstüre, als ich von einer Reise zurückkehre. Weiter unten ist aufgelistet, was während meiner Abwesenheit so dringend zu erledigen war: Kontrolle der Feuermelder, Umstellung der Klima-Anlage auf Sommer, Putzen der Lüftungsschächte. Unterzeichnet jeweils von der Hausverwaltung.

Ein Wohnungsmakler in Paris hatte mir vor dem Umzug nach Washington gesagt: “Amerikanische Mieter sind Pflegefälle. Die rufen an, wenn eine Glühbirne durchbrennt”. Ich war überzeugt, dass er übertreibt. Aber seit ich in den grossen Wohnkomplex am Potomac-Fluss eingezogen bin, erlebe ich die Rundum-Versorgung als Mieterin in diesem Land selbst.

Es beginnt mit dem freundlichen “Hi”, das mir eine Dame oder ein Herr aus der Pförtnerloge zuruft, wenn ich nachhause komme. Ihre rundum verglaste Loge ist Tag und Nacht besetzt. Niemand kommt ungesehen an ihnen vorbei. Und wenn doch, gibt es dahinter noch mehrere Videokameras und gelegentlich Patrouillen von MitarbeiterInnen einer Wachgesellschaft in Uniform.

Die PförtnerInnen wissen, wann ich das Haus verlasse und wann ich zurückkomme. Sie kennen jede einzelne der mehreren hundert BewohnerInnen des Komplex namentlich. Sie öffnen den Zugang zum Parkplatz. Wenn wir sie über die hausinterne Leitung anrufen, bestellen sie Taxis für uns – und notieren in einem großen Buch die Adresse, zu der wir fahren. Sie nehmen sperrige Poststücke und Pakete für uns entgegen. Sie händigen Putzfrauen Wohnungsschlüssel aus. Und sie rufen uns an, bevor sie Gäste zu uns durchlassen.

Nach 15 Jahren in Paris, wo die Leute vor lauter Diskretion nicht einmal ihre Namen an die Klingeln ihrer Wohnungstüren schreiben, fand ich so viel fremden Einblick in mein Privatleben beunruhigend. Noch mulmiger wurde mir bei dem Gespräch mit dem Präsidenten und der Vizepräsidentin des Aufnahmekomitees des Wohnkomplexes. Zwar hatte ich zu dem Zeitpunkt schon die Zusage meiner Vermieterin. Aber das Selbstverwaltungsgremium der KleineigentümerInnen hat das letzte Wort.

Zum selben Termin wie ich war auch ein junges Paar geladen, das gerade eine Wohnung in dem Komplex gekauft hatte. Der Mann saß im Raum. Seine Frau war Zuhause bei dem Baby geblieben und schaltete sich telefonisch zu. Ich hatte Dokumente über mein Einkommen und amtliche Papiere mitgebracht. Stattdessen war persönliche Vorstellung gefragt. Als erstes erzählten die beiden von dem Aufnahmekomitee ausführlich über sich. Ich erfuhr, mit wem sie verheiratet sind, wie viele Kinder sie haben, welche Arbeit sie machen und was ihnen an der Hausgemeinschaft gefällt. Dann war die junge Frau am Telefon an der Reihe. Ihre Stimme wurde per Lautsprecher in den Raum übertragen. Nachdem auch sie ausführlich über ihre Arbeit, ihr Alter, ihre Familie und ihren Geburtsort berichtet hatte, fügte sie hinzu, dass sie und ihr Mann das Baby auf “natürlichem Weg” gemacht hätten. Ich blickte in die Gesichter der Anwesenden im Raum. Sie hörten freundlich interessiert zu. Keine einzige Augenbraue zuckte.

Seither sind mehrere Monate vergangen. Ich bin froh, dass ich dem jungen Mann mit Frau und selbst gemachtem Baby nie wieder begegnet bin. Und wenn ich Gäste habe, finde ich es immer noch seltsam, dass ich ihre Namen an der Loge angeben muss.

Aber an den Rest habe ich mich schnell gewöhnt. In den letzten 15 Jahren in Paris habe ich erfahren, dass eine Hausverwaltung vor allem dafür da ist, viel Geld zu kassieren, um nichts zu tun. Jetzt lerne ich zu schätzen, dass defekte Aufzüge noch am selben Tag repariert werden. Dass jeden Morgen der Müll vor meiner Wohnungstüre abgeholt wird. Dass ich per Zettel im Briefkasten an die Umstellung auf die Sommerzeit und an Ereignisse in meinem Stadtteil erinnert werde. Und dass die Hausverwaltung in Rund-Mails Nachbarschaftshilfe für kranke HausbewohnerInnen organisiert.

Beeindruckt war ich, als ein Rohr in meinem Bad nicht funktionierte und binnen weniger Minuten meine Wohnung und die des Nachbarn unter mir unter Wasser setzte. Das Malheur passierte nach Beginn des Wochenendes – an einem späten Freitag Nachmittag. Ein Anruf in der Loge genügte. Schon nach wenigen Minuten war der Klempner da. Nachdem der die Überschwemmung gestoppt hatte, schickte die Loge Handwerker mit Pumpen, Ventilatoren und Entfeuchtern an, um die Fußböden zu trocknen.

So schnell wird frau zum Pflegefall.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/pflegefall/

aktuell auf taz.de

kommentare