vonHelmut Höge 23.08.2009

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„Volker, schau auf diese Stadt!“ (Ernst Reuter)

Volker heißt heute meist Pedro – und gehört zu jenen Konsumtouristen, die alljährlich millionenfach in der Toplocation „Berlin“ einfallen. Für die nächsten vierzig Jahre müssen die Eingeborenen sich nun die Frage gefallen lassen: „Wo war hier die Mauer?“ Die clevere taz veröffentlicht dazu gerade eine Serie „Mauer-Spaziergänge“. 1987 waren schon einmal zwei Amiirre die ganze Mauer  abgegangen und hatten alle Sprüche auf dem 162-Kilometerring  abgeschrieben. Ihre Ausbeute hatte die taz dann ebenfalls  weggedruckt.  Seit 1999 gibt es diese und andere „Mauerkunst“ auch auf einer CD-ROM.

Vor 89 karrten täglich 50 Busse die Touristen an die Mauer, für antikommunistische Politiker aus aller Welt war sie eine beliebte Kranzabwurfstelle. Heute, da sie abgebaut und segmentweise in alle Welt verscherbelt wurde, gibt es idiotischerweise noch weitaus mehr Mauertouristen. Abgesehen von der Wiederauffrischung der peinlichen   „East-Side“-Mauerkunst, den noch  peinlicheren Einfällen der ukrainischen Mauermuseums-Leiterin am und den geradezu peinigenden Endlosporträts der Mauertoten in der Springerstiefelpresse hat die Stadt sich bisher keine große Mühe gemacht, den Mauertouristen außer den Phantomschmerzen der Icke-Berliner, deren Familienbande die Kommunistenschweine einst mit ihrem Bauwerk brutal zerrissen, etwas zu bieten.

Heuer, im Jubiläumsjahr ihrer Errichtung, machte man gerade mal lächerliche 60.000 Euro für einige diesbezügliche  Kunststücke locker. Die DDR war da ganz anders: Sie scheute  keine Kosten und Mühen, um das seit 1961 „beste Grenzsicherungssystem der Welt“ ansprechender zu gestalten. Die Mauerexperten im „Mauer-Museum“ am Checkpoint Charlie, in dem alle Fluchtutensilien und „Zwischenfälle“ (192 mit tödlichem Ausgang) exponiert werden, sprachen zuletzt von einer „Mauer der vierten Generation: Triumpf der Technik und Ästhetik – die neuen Bauelemente aus Beton sind so konstruiert, daß sie sich fugenlos und stabilisierend ineinanderfügen.“ („Die Mauer spricht“, S.20) Die ca. 164.000 Betonplatten der vierten Generation wurden  dicker (16 cm), höher (4,10 m) und mit Rohrauflage gestaltet. Joseph Beuys votierte damals sogar für 4 Meter 15.

Zur „Schandmauer“ (Adenauer) gehörten aber auch 210 Beobachtungstürme, 245 Bunker- und Schützenstellungen, 6.400 Peitschenlampen und 11.000 Sichtblenden sowie ein elektrisch geladener Stacheldrahtzaun, „mit dem die ganze Erde umspannt werden könnte“(„Es geschah an der Mauer“, S.25). Außerdem der stets frisch geeggte sogenannte „Todesstreifen“ (Kai Diekmann), auf dem sich Zigtausende von „vorbildhaften Kaninchen“ (Klaus Wagenbach) tummelten. Bei Wolkenlosigkeit konnte man den „antiimperialistischen Schutzwall“ (Walter Ulbricht) vom Mond aus sehen, berichteten Astronauten.

Vom knausrigen Westberliner Senat wurden bis zur Wende an der Mauer nur 52 provisorische Aussichtsplattformen errichtet, umgeben von Imbiß- und Souvenirständen. Die am meisten bestiegene (mit Buswendestelle) stand am Potsdamer Platz, die berühmteste, der „Kennedy-Podest“, am Grenzübergang Friedrichstraße. Beide wurden abgerissen. Vor 89 wurden „Fluchthelfer“ (BILD) und „Mauerbeschmierer“ (BZ) noch vom Senat quasi alimentiert und ihre Auslagen konnten sie von der Steuer absetzen, heute ist beides streng verboten. Noch schlimmer ist aber, dass den Westlern seit dem Mauerfall die Freiheit der Wahl ihres Deutschlands genommen wurde: Besonders Terroristen, Dichter  und Theaterregisseure empfinden dies als empfindliche Einengung ihrer Persönlichkeit – und tatsächlich ist Berlin seit 89 immer enger und scheußlicher  geworden. Das hängt aber auch mit den ganzen neoliberalen Wichtigtuern aus dem Westen zusammen, die sich seitdem hier einwurmen. Demnächst wollen sie sogar die märkischen Seen privatisieren – damit kann man das Berliner „Umland“ dann auch vergessen.

Zwei Kunstprojekte halten hier nun dagegen:

1. die „Wanderboje“ von „Urban-Art“ und „Hauptstadtkulturfonds“: Sie treibt auf der Mauerroute und erzählt noch einmal die lustigsten Mauergeschichten – in Laufschrift. Die witzigsten stammen natürlich von Grenzsoldaten, in diesem Fall von der Mannschaft des Wachtturms an der Schlesischen Straße, der heute als Kunstraum dient. Ähnlich endete auch der Wachtturm an der Alten Jakobstraße, auf den der New Yorker Künstler Hans Haake 1990 als Ekelzeichen der Zeit einen Mercedesstern installierte. Das war jedoch zu direkt, so dass man den Turm abriß. Übrigens gaben dann auch die „Wachtturm“-Verkäufer am Engelbecken auf: Sie verscherbelten  ihren düsteren „Königssaal“ an die Aleviten, die daraus ein fröhliches Kulturzentrum machten.

2. gibt es vom 13.8 bis 9.11. eine Ausstellung und Veranstaltungsreihe in der Zwinglikirche der „Oberbaum-City“ – über das Leben in Kreuzberg und Friedrichshain „Vor dem Fall der Mauer“, finanziert vom Bezirksmuseum dieses nunmehrigen Doppelbezirks, der als Einfallstor des juvenilen „Easy Jet“-Sets gilt, so dass man hier gespannt sein darf, ob diesem internationalen Amüsierpöbel nicht die Mauer-Phantomschmerzen der Icke-Berliner am Arsch vorbeigehen.

Am 13.August um 5 Uhr 30 fand außerdem in der Prenzlauedr-Berg-Bar „Luxus“ eine Vorstellung des Buches „Mauer-Schluß“ statt. Herausgegeben von Irone Rethe, Sarah Schlitz und Mik Stone enthält es Beiträge von:

Alexander Krohn, Andrej Matajew, Bert Papenfuß, Claudia Schattach, Clemens Kuhnert, Dany Mertineit, mts, Uwe Ducke, Florian Günther, Frank Diersch, Freygang, Gerd Schönfeld, Helko Reschitzki, Henning Rabe, Hugo Velarde, Joachim Wendel, Kai Pohl, Karsten Krampitz, Klaus H., Matthias Hering, Moritz Nibbrig, Ralf S. Werder, Robert Mießner, Roman Neumann, Scheiffele, Silka Teichert, Silvia Koerbl, Stefan Döring, Su Alois, Tarwater und Tone Avenstroup.

„Mauer-Schluss“ ist eine Freisetzung der Epidemie der Künste (EDK) in Kooperation mit Rothahndruck, Berlin, versichern die Herausgeber.

Auch das Land Brandenburg hat heuer einige Mauer-Shows zu bieten – im Rahmen seines Touristen-Sommerprograms „Kulturland Brandenburg“. So findet z.B. in Potsdam eine Ausstellung mit dem Titel „Mauer-Blicke“ sowie eine mit dem Titel „Die Mauer ist weg“ statt, außerdem eine Reihe organisierter  Radtouren „160 Kilometer Mauerweg“.

An der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Wedding gibt es seit 1992 den „Mauerpark“. Ihn wollte man jetzt mit schicken Neubauten einrahmen. „Aufstand gegen Bauprojekt am Mauerpark“ titelte der Tagesspiegel:

Am Rand des Geländes sollten einzeln stehende sechs- bis siebenstöckige Häuser gebaut werden, „nicht ungewöhnlich für eine Großstadt“, mit mehreren Durchgängen zum Brunnenviertel. Eine geschlossene Gebäudewand werde es nicht geben. Auch der Flohmarkt und der Biergarten „Mauersegler“ könnten erhalten bleiben. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung begrüßt das Konzept. Die Zeit drängt: Der Park sollte bis 2010 mindestens zehn Hektar groß werden, sonst muss das Land vertragsgemäß 2,3 Millionen Euro an die Allianz-Umweltstiftung zurückzahlen, die das Geld 1990 für den Ausbau des Parks spendiert hatte. Die Stiftung erwartet bis zu diesem Zeitpunkt zumindest erkennbare Schritte.

„Gute, parkverträgliche Pläne sehen anders aus“, sagt Christian Rippel von der Anwohnerinitiative „Mauerpark-Fertigstellen“. Eine Lösung wäre es seiner Ansicht nach, dass Berlin die fehlenden Flächen aufkauft und dem Park zuschlägt. Oder der Vivico eine andere Fläche irgendwo in der Stadt zum Tausch anbietet. Vivico-Sprecher Wilhelm Brandt sagt, dass genaue Entwürfe noch gar nicht vorlägen, dass sich nur Strukturen verändert hätten, nichts aber mit dem Bezirksamt verabredet oder gar beschlossen sei. Leider habe man bislang keine Zustimmung der Anwohner erhalten. Die Vivico sei kompromissbereit, das Land Berlin oder auch Initiativen könnten das Gelände der Vivico auch kaufen. Zu verschenken aber habe man nichts. Wenn es letztlich zu einem „Nullsummenspiel“ komme, sei das auch in Ordnung. Die Vivico sehe sich eher in der passiven Rolle, der Bezirk müsse hier moderieren und entscheiden. Auch ein Bebauungsplanentwurf für das Gebiet steht noch aus.

Wikipedia ergänzt: Die Vivico Real Estate GmbH ist eine „Immobiliengesellschaft“ mit einem „Portfolio“ von rund 220 „Liegenschaft“. Vivico wurde 2001 gegründet, um über einen späteren „Privatisierung“ der Gesellschaft, Liegenschaften aus ehemaligen Eisenbahnbeständen ertragsoptimal zu veräußern. Von der Unternehmensgründung im Jahr 2001 bis Dezember 2007 waren die Eigentümer der Vivico das „Bundeseisenbahnvermögen“ (94,99 %) und die Bundesrepublik Deutschland (5,01 %). Danach wurde das Unternehmen für € 1,03 Mrd. an die österreichische börsennotierte Gesellschaft „CA Immo“ verkauft.

Wladimir Kaminer, der am Mauerpark wohnt und im Park regelmäßig grillt, engagiert sich ebenfalls in der BI gegen die Randbebauung des Parks. Bei den letzten Auseinandersetzungen war er jedoch nicht dabei, weil er gerade im Nordkaukasus einen Film über seine dort lebende Schwiegermutter dreht. Er schickte vorhin drei  Poller-Photos aus der Region:

Wladimir Kaminer schreibt dazu:

Der erste Poller ist ein klassischer Kaukasier – dünn und deutlich. Der zweite Poller, bestehend aus zwei aufeinandergestapelten Kartons, soll die chinesischen Sportanzugverkäufer von den koreanischen Verkaufsständen auf dem Markt abhalten. Der dritte Poller, mit der Kuh und dem Haus der Schwiegermutter im Hintergrund, hält ein Hinweisschild hoch – mit der Aufschrift: „Niemand darf die Wiese beschmutzen“. Er stammt von der Besitzerin der Kuh.

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