Als ich noch in München in einer Wohngemeinschaft lebte, standen irgendwelche Wahlen an, und eine meiner Mitbewohnerinnen wusste absolut nicht, wen sie wählen sollte. Keine Partei war ihr gut genug. Dann geriet sie auf dem Marienplatz ein paar Aktivisten einer Minipartei in die Finger, die sich „Volksfront“ nannte und das Blaue vom Himmel versprachen: Geld ohne Arbeit, Frieden, und billige Mieten (in München besonders wichtig). Sie wählte tatsächlich Volksfront, die Partei bekam ungefähr 0,02 Prozent, und mein damaliger Freund und ich machten uns stundenlang darüber lustig, dass sie ihre Stimme verschenkt hatte.
Neulich, in Berlin, in unserer Küche, saß mein Wohni auf der Couch und las einen japanischen Comic, ich räumte, wie immer, die Spülmaschine aus, und im Fernseher lief ein Werbespot einer Partei, von der ich noch nie gehört hatte. Sie hieß Piratenpartei. Die Piratenpartei hat mehr oder weniger nur einen Programmpunkt, das ist die Freiheit des Internets. Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe zur Europawahl (per Brief, von New York aus), die Piratenpartei gewählt. Und ich bin sicher, die bekommen mehr als 0,02 Prozent.
Dabei geht mir viel von dem, was die wollen, gegen den Strich. Ich finde, Kinder (vor allem meine Neffen) hängen viel zu viel vor dem Computer, Killerspiele haben einen schlechten Einfluss, eigentlich wähle ich auch keine Parteien, die nur aus Männern bestehen, und ich bin gegen Contentklau im Internet.
Aber trotzdem. Ich habe einfach das Bauchgefühl, dass sich gerade eine ganz große Welle zusammenballt, dagegen, dass sich Menschen austauschen können, frei, global und halbwegs kostenlos. Allein ein Warnschuss wäre da schon ganz gut, auch wenn die Piratenpartei vermutlich, sobald sie gewählt wird, zerfällt und in der Versenkung verschwindet. Aber etwas Besseres als den Tod finden wir überall.
Hatte ich erwähnt, dass ich ein neues Buch draußen habe? Es heißt Manhattan Moments