Sie hat schon für einiges herhalten müssen, die Farbe Grün: als Schlafzimmerfarbe um 1830, als neues Rot des Ökologismus. Paolo VERONESE, ihr uneinholbarer Maler, liebte sie so sehr, dass sein Name selbst zur Farbe wurde und ein Grünton noch heute nach dem Italiener benannt ist.
Außerirdische Männchen, giftigen Schlangen und Stunden und Teufel und Wellen … Schließlich der unglaubliche Saiho-ji Garten in Kyoto, in dem nicht weniger als 300 Moosarten wachsen, die sich nur durch ganz subtile Nuancen voneinander unterscheiden.
Grünphil ist der Planet, besonders draußen, zu Kuben geformte Schnitthecken, immergrüne Thujen, zwischen denen als Ängstliche komisch wirkt. – Was uns die Wiener Fotografin Gisela ERLACHER unter dem Buchtitel CUT vorstellt, geht allerdings noch über das Interesse am gesunden Farbton hinaus. Im Mittelpunkt ihres genauen Blicks steht das, was Bauplaner »Abstandsgrün« nennen, jene teils neutralen, teils pittorsken pflanzlichen Objekte, mit denen wir unsere Mitwelt auf Distanz halten.
CUT ist ein schmales Konzeptbändchen und belehrt alle Naturverächter eines Besseren. Was zeigt es? Um die Fensteröffnung herum gestutzte Fassadenbepflanzungen, mit unerhörter Präzision plazierte Gartenelemente, Mikrolandschaften wie von Kriegsingenieuren erdacht, hochmütige Behauptungen und zartester Lebensappetit von Kleinhäuslern, Parkgestaltern, Landschaftsarchitekten.
An 32, vorwiegend mitteleuropäischen Orten fand die Fotografin surreal anmutende Gärtnerkreationen, die wie Lehrgegenstände für die Evolution von einfachen Formen wirken. Bei der Durchsicht dieser Bilder kommt einem das Wort Abstandsgrün ganz von selbst in den Sinn: Abstand zum Nachbarn, zur Umwelt, zur Gegenwart, Distanzierung, Auf-Distanz-Halten, Ruhe der Meditation.
Nein, diese pittoresken geometrischen Formen müssen nicht als »Mittelstandsideale«, als »Scheitern am Schönen« oder als »Ästhetik des Häßlichen« denunziert werden, wie das der Autor des Vorwort, Franz SCHUH, tut. Das ist eine dieser typisch österreichischen Gehässigkeiten, mit denen der Absender seine höhere Empfindsamkeit zu Schau stellen möchte.
Was ERLACHER künstlerisch dokumentiert, ist so wenig ein Fall für den Psychiater wie ein Fall für den Gesellschaftssatiriker. Vielmehr zeugen die Schnitte in der Grünen Welt von einer nie erlöschenden Liebe zur Geometrie in der Gartenkunst, einer schier unstillbaren Neigung zur Reduktion auf Urformen des Schaffens. Es ist, als kämen die Nüchternheitsgrundsätze eines Adolf LOOS oder eines Henry RICHARDSON mit hundertjähriger Verspätung im Vorgarten zur Anwendung.
Gestaltete Natur, meist umzäunte, jedenfalls abgegrenzte, zur verfeinerten Bodenkultur bestimmte Grundstücke, auf denen Pflanzen mit besonderer Sorgfalt gezogen werden. Der französische Gartenstil der Schlossparks war bekanntlich ein Abbild der Selbstkontrolle; war Weltordnung, die in Serie gedieh, rigide und angeberisch. ERLACHERs Bilder zeigen etwas anderes, Neues, nur noch fern damit Verwandtes: geschlossene Pflanzenformen voll überraschender Ruhe, Einheit und Harmonie; zweckmäßig im Raum verteilte Erinnerungen daran, dass wir die Objekte der Natur niemals als Einzelobjekte betrachten können.
Die studierte Psychologin, Jahrgang 1956, kommt beruflich aus der Architekturfotografie und hat in den letzten Jahren schwungvoll die Kurve vom Gebrauchsbild zur künstlerischen Fotografie genommen. Das Ergebnis ihrer jüngsten Studien kann sich in jeder Galerie für pertinente Kunst sehen lassen.
© Wolfgang Koch 2011
Gisela Erlacher: CUT. Mit einem Essay von Franz Schuh, Wieser Verlag, Klagenfurt/ Celovec 2010, ISBN 978-3-85129-920-5, 120 Seiten, 12,95 EUR