Der Niqab, der volle Gesichtsschleier, entspringt einer Tradition auf der Arabischen Halbinsel und ist keine religiöse Pflicht, die sich aus dem Islam ableiten lässt, argumentiert Badria Al Bishr, in einem interessanten Beitrag, der gestern in der überregionalen arabischen Tageszeitung al-Hayat erschienen ist. Er macht deutlich, dass die Niqab-Debatte auch innerhalb der islamischen Welt fortdauert. In dem Artikel plädiert sie dafür Frauenrechte nicht als Schlachtfeld zwischen Islamisten und dem Westen zu missbrauchen. Auf dem Saudiwoman’s Weblog findet sich auch eine englische Übersetzung. Hier ein Auszug.
“Es scheint, als ob Muslime und besonders Araber den Niqab (die Burka) zu einem Fall machen wollen, ähnlich der Frauenbeschneidung oder Kinderehen. Mit diesem Vergleich meine ich, sie wollen kulturelle Traditionen in einen Akt des Glaubens verwandeln. So werden Frauenrechte zum Schlachtfeld zwischen den Islamisten und beispielsweise der britischen Regierung. Einige Araber lassen mit Hilfe nicht registrierter Hebammen heimlich ihre Töchter beschneiden und verwehren ihnen damit ein normales Leben. Sie sehen das als eine Art Unterwerfung unter Gott. (…)
Wenn diese Dinge dann an die Öffentlichkeit kommen, dann beginnt die islamische Welt zu diskutieren, ob Muslime das Recht haben ihren Glauben als Bürger zu praktizieren. Das geschieht, ohne dass die Welt darüber reflektiert, dass diese Praktiken etwas mit kulturellen Traditionen zu tun haben und nicht mit der Essenz des Islam.
Als Sarkoszy den Niqab, den Vollgesichtsschleier verboten hat, rechtfertigte er das manchmal mit Sicherheitsgründen und manchmal damit, dass er die Rechte der Frau als Mensch bewahrt, weil ihr Gesicht ihre Identität sei. Niemand ist aufgestanden, um zu sagen, dass sogar einige radikale islamistische Rechtgelehrte wie Al-Albani in seinen Buch „Der Schleier im Koran und in der Tradition des Propheten“ erklärt, dass das Gesicht des Mannes oder der Frau deren Identität darstellt und nicht verdeckt sein sollte. Diejenigen, die gegen das Burka-Verbot auf die Straße gegangen sind, haben nicht auf den verstorbenen Muhammad Tantawi geblickt, dem ehemaligen Großscheich der Al-Azhar Universität in Kairo, einer der wichtigsten Institutionen der islamischen Welt, als dieser verkündet hatte, dass der Niqab eine Tradition ist und nicht ein religiöser Akt und damit keine religiöse Pflicht darstellt.
Stattdessen sucht jeder nach extremistischen Fatwas (…) Vor kurzem kam das Ganze wieder auf, als es Studentinnen an den ägyptischen Universitäten verboten wurde, während den Prüfungen einen Niqab zu tragen, damit sie identifiziert werden können. Obwohl ich für das Recht einstehe, dass Menschen sich selbst ausdrücken können, möchte ich darauf hinweisen, dass islamistische Bewegungen gerne mit ihren demokratischen Rechten argumentieren, obwohl die Demokratie nicht von der Liberalität zu trennen ist. Demokratie kann kein Freibrief sein, etwas inhumanes zu tun, unter dem Vorwand der Freiheit kultureller Praktiken und der Religion, wie Frauenbeschneidung, Kinderehen oder Frauen einzuschüchtern, dass sie unislamisch seien, wenn sie keinen Niqab tragen.
Menschenrechte, selbst wenn sie von einer Mehrheit abgelehnt würden, stehen nicht zu Wahl. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich sagen: hört auf die Frauenrechte als Spielzeug zu benutzen. Wenn ihr spielen wollt, dann wendet euch doch den Männerrechten zu. Die beste Parallele, die mir einfällt, wäre zu fordern, dass Männer sich rasieren müssen, denn auch das wird von radikalen Islamisten abgelehnt. Trotzdem sehe ich nicht, dass Friseuren die Lizenz entzogen wird, wenn sie rasieren. Rasierte Männer werden nicht auf der Straße aufgehalten und mit Rat und Disziplinarmaßnahmen überzogen. Das machen nur die Taliban.”
Die Islamisten argumentieren, dass der Niqab eine islamische Pflicht ist und dessen Tragen ein religiöses Grundrecht sei. Und in Europa wird der Niqab gerne als Symbol für den Islam schlechthin angegriffen. Ein gigantische Themaverfehlung? Das Forum ist eröffnet.