vonClaudius Prößer 14.11.2009

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Einen Monat vor den chilenischen Präsidenten- und Parlamentswahlen am 13. Dezember darf im Wahlkampf endlich geworben werden. Nach­dem verfrühte Plakate diesmal recht konsequent abgehängt wurden, ta­pe­zieren die Teams der Kandidaten und Parteien seit Freitagmorgen Straßen und Plätze. Mit echter Spannung dagegen haben die Chilenen die franja electoral erwartet, die epischen TV-Spots, die ab jetzt Tag für Tag aus­ge­strahlt werden, und in die die jeweiligen Teams viel Kreativität und noch mehr Geld investieren. Die Popularität der franja geht auf das Jahr 1988 zurück, als das Plebiszit über die Verlängerung der Pinochet-Herr­schaft den Chilenen zum ersten Mal in ihrer Geschichte politische Fern­seh­wer­bung bescherte – die im Fall des „No“ so gut gemacht war, dass der Erfolg der Anti-Pinochet-Kampagne zum Teil auch auf ihr Konto ging.

Hier die ersten vier je fünfminütigen „Streifen“ zur anstehenden Wahl: Oppositionskandidat Sebastián Piñera, der in den Umfragen mit knapp vierzig Prozent führt, hat sich kurzerhand die Farben und Ideen der regierenden Concertación angeeignet, die seinerzeit einen Regenbogen im Logo führte. Bei Piñera ist es ein hübscher bunter Stern aus Blumen oder Häkelgarn, der die behauptete Diversität seiner Regierung unterstreichen soll, den Soundtrack liefern Straßenmusikanten. Der Rest ist Inszenierung: Piñera zutiefst nachdenklich im Kreise seiner Think-Tanker, Piñera obama-gleich als Redner vor Tausenden, der mit einem Blick gen Himmel um „Gottes Hilfe“ für sein Projekt bittet.

Bei Konkurrent Eduardo Frei (Concertación) macht eine rührende Ge­schich­te den Anfang: von einer jungen Frau, die als Schülerin schwan­ger wird, die Schule abbrechen muss und dann, als Prä­ze­denz­fall, doch noch ihre Ausbildung beenden darf. Was wohl als Exem­pel dafür herhalten soll, dass Chile unter der Concertación immer so­zia­ler wird und die Politik immer nah an den Menschen bleibt. Auch Freis Kampagne spielt mit bunen Farben, hier in Form eines Pfeils, der in den un­ter­schied­lichs­ten Zusammenhängen auftaucht – sogar beim Vorspiel eines Lie­bes­paars. Solche Einfälle sollen das dröge Image Freis aufpeppen.

Bei Marco Enríquez-Ominami („MEO“), dem abtrünnigen concertacionista und Ex-Sozialisten, merkt man, wie schwierig es ist, mit Spaß, aber wenig Geld einen 5-Minuten-Spot kohärent zu füllen. Lustig: MEO lässt sich von einem „Wissenschaftler“ im Rahmen eines „Experiments“ ohr­fei­gen. Peinlich: die tragende Rolle von MEOs Frau, der deutsch­stäm­mi­gen Fernsehmoderatorin Karen Doggenweiler, die für den Gla­mour-Effekt sorgen soll. Tenor insgesamt: Ich, Ich, Ich.

Sympathisch und unprätentiös schließlich die franja von Jorge Arrate, dem Kandidaten der außerparlamentarischen Linken. Arrate selbst darf gentlemanlike vor seinen häuslichen Bücherwänden sitzen und über Vaterlandsliebe räsonieren, ein paar bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen machen Klamauk für ihn, unter anderem im Rahmen einer fiktiven Telenovela.

In den kommenden Wochen werden diese Spots immer weitergesponnen werden, die Strategen der einzelnen Kommandos werden ihre Tage damit verbringen, die Produkte der Konkurrenz zu analysieren und an allen verfügbaren Schräubchen des eigenen zu drehen. Ob und wie sehr die franja den Wahlausgang beeinflusst, ist offen – dass die Chilenen unbändig neugierig auf ihre „Streifen“ sind, kann keiner verhehlen.

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