Erstaunlich, wieviel Mühe man sich als junger Popjournalist einmal gemacht hat! Heute stieß ich auf einen sehr alten, rührenden Text aus dem letzten Jahrtausend über die sehr sympathische Mitbürgerin Jasmin Wagner, die als Jugendliche in den 90er Jahren unter dem selbstgewählten Pseudonym ‚Blümchen‘ viele Millionen Tonträger verkaufte und in ihrem Jahrfünft erfolgreicher war als der damals bereits geächtete Michael Jackson. Als sie volljährig wurde, zog sie sich aus dem Markt vollkommen zurück – was für ein ehrenwerter Abgang! Doch lest selbst:
„Hiphop hat gewonnen. Also da, wo es zählt. Wo die Medien sind, die Kultur sich niedergelassen hat, und Kultur ist heute Jugendkultur. Ganz früher gab es verschiedene Jugendkulturen, man trifft sie heute noch in diesen Doris-Dörrie-Filmen, wo immer noch ´Hippies´ und ´Yuppies´ auftreten, Punks, Grufties, Rocker und dergleichen Konstrukte. Später gab es einen fast zehnjährigen Zweikampf zwischen Techno und Hiphop. Und dann siegte Hiphop. Auf der ganzen Linie. Es war ein totaler, totalitärer Sieg. Wie eine dunkle Pest ist dieser Nörgelgesang schimpfender Rentner über das Land gekommen, große Buben, die immer gleichgeschlechtlich zusammenhocken und von Frauen nur wissen, daß man sie als ´Pussy´ abzuwerten hat. Mitten in diese Barbarei platzt nun ein Stern: die deutsche Technoqueen Jasmin Wagner alias ´Blümchen´, die, unbemerkt von den Medien, Millionen Fans zum Tanzen bringt. Wie sie das schafft? Sie war schon einmal ein Star, Mitte der 90er. Verkaufte Millionen Tonträger, an Kinder, war selbst erst 15. Das Neue damals: Blümchen verband den extrem harten, treibenden Technobeat mit süßen, sphärischen Melodien und vor allem: mit deutscher Sprache. Die Fans sind inzwischen etwas größer. Durchweg junge Frauen. Und sie haben keine Lust, sich von krummbeinigen Flegeln was sagen zu lassen, die im Hochsommer verfilzte Wollmützen tragen und deren Hosenböden bis zu den Kniekehlen hängen wie bei windeltragenden Dreijährigen. Die sich nur in ihrem eigenen Stallgeruch wohlfühlen, in ihren Seilschaften, bei ihren Homies, Gangs, da, wo auch die befreundeten ernsten, verklemmten, männlichen Journalisten abhängen, der ewige latent frauenfeindliche deutsche Intellektuelle. Großvaters lange unterdrückte Zeltlagermentalität lebt da wieder auf: Tag und Nacht unter Jungen, ohne die doofen Pussys vom BDM, wunderbar. Das Un-Wort, auf das sie alle hören wie auf die Habachtstellung des Scharführers, „respect!“, hat dazu geführt, daß inzwischen ganz Deutschland tiefsten Respekt vor der Hiphopszene bekundet. Jeder zweite Germanistikstudent schreibt seine Dissertation darüber. ´Blümchen´ und Techno dagegen, obwohl eine echte Massenbewegung, ist verpönt wie nie zuvor. Wie jede ECHTE Subversion. Als das SZ Magazin mich höflich bat, über das Phänomen zu berichten, lehnte ich zunächst aus Altersgründen ab. Bis ich merkte: einer muß es tun. Man darf die Kulturhoheit über Pop nicht jenen überlassen, die in finster beleuchteten dark rooms in- und übereinander herumlungern/abhängen/rumchillen, die fetten Finger pausenlos zum gimme-five durch die schlechte Luft klatschen lassen und glauben, dadurch würde auch ihre Haut allmählich immer dunkler und dunkler, und die Ganoventexte ihrer Vorbilder machten Schwabing oder Charlottenburg schlagartig zur Bronx. Ich nahm also an und traf die Queen of Techno Jasmin ´Blümchen´ Wagner bei VIVA in Köln. VIVA, so heißt es, habe ´Blümchen´ einst erfunden. So wie Dieter Gorny VIVA erfunden hat, etwa zur gleichen Zeit, um den Kids, die gerade Opfer des seelenlosen, inhaltslosen Beliebigkeitssenders MTV wurden, ihre Sprache zurückzugeben. Girlies à la Heike Makatsch machten aus Konsumenten freche Quälgeister, und eine wie Blümchen kam da gerade recht. Sie wurde gefördert ohne Ende, bis heute, zum Glück.
Ankunft Flughafen. Jasmin huscht auf mich zu, aber ich sehe nur eine große Sonnenbrille und die beste Figur außerhalb der Kinoleinwand, die denkbar und technisch-mathematisch möglich ist: Lara Croft in echt. Man möchte die vermeintliche Simulation sofort berühren, nachprüfen, verifizieren, aber Jasmin verweigert die Schicki-Micki-Wir-sind-doch-alle-in-den-Medien-Umarmung und verzieht sich wie ein bockiges Kind auf den Rücksitz. Sie sagt nicht Tag und nicht hallo, verzieht keine Miene, nimmt die Brille nicht ab, starrt nur einmal zehn Sekunden regungslos in meine Augen. Wahrscheinlich hält sie mich für einen hohen Kulturfunktionär des SPIEGEL, der noch Material für seine Serie ´Massenaufmärsche in Deutschland – von den Reichsparteitagen bis zur Love Parade´ sammelt. Sie trägt eine karierte rote Hose, drei übereinandergezogene schwarze Unterhemden und offene, engelhaft üppige, lockige Haare, blond und braun. Sie wirkt wie 16, nicht wie 20, kaut Kaugummi, das Gesicht ist blaß und ein bißchen verpickelt, völlig ungeschminkt, total gelangweilt und doch jederzeit für alles zu haben. Sie hängt auf dem Rücksitz wie ein Affe, die langen Beine wachsen in alle Richtungen. Sie hat ein schönes Gesicht, intelligent, eine hohe Denkerstirn, große strahlendblaue Augen, endlich ist die Spacebrille weg, ein erwachsenes und alles andere als ein Püppchengesicht, gerade Nase, großer wohlgeformter Mund, eher dünne Lippen. Eigentlich hat sie gar keine Oberlippe, die muß sie sich immer draufmalen, das sieht niedlich aus ohne Schminke, als wachse die Oberlippe erst noch. Sie duzt mich, aber ich verbitte mir das, angesichts meiner Lebensleistung. Ich sage, ich würde sie duzen, sie müsse mich aber siezen. Wie alle Hamburger sagt sie, sie sieze gerne Menschen. Klar, das kumplige Du liegt dem dezidierten, denkenden Hanseaten eigentlich nicht, ein feiner Zug übrigens, aber die Rotznase auf der Rückbank siezen, das ist einfach eine Unmöglichkeit. Wir fahren zu Saturn, weil ich einen CD-Player kaufen will, um all die hundert Blümchen-CDs zu hören, die das Management mir zugeschickt hat. Ich frage daher:
„Können wir noch kurz ein elektronisches Gerät kaufen gehen?“
„Auf jeden. Wenns nicht gerade ein Vibrator ist?“
Ich muß jetzt doch ein bißchen an das Kubrick-Filmplakat von LOLITA denken, weil dieses Mädchen dieses Aufreizende in der Pose hat, was ja auf der Bühne toll ist, Brust raus, Becken vor, und im Blick dagegen das Aufreizende zurücknimmt, ganz normal ist, ein guter Kerl, wie man früher in Nachkriegsfilmen sagte. Natürlich hat sie in ihrer Kindheit immer mit ihren Brüdern rumgehangen, war eins von diesen Mädchen, das mit Jungen spielte, das ein Baumhaus hatte und so weiter. Sie mag Jungs. Männer. In die allgemeine Homosexualisierung unserer Gesellschaft Alleinerziehender paßt sie so wenig wie Madonna in eine Moslembruderschaft. Sie ist eher ein Produkt des Fortschritts, der Demokratie, genauer: der Sozialdemokratie. Jasmin Wagner ist ein Repräsentant des neuen Schröderstaates, wenn man so (genau sein) will.
Gleich mehrere Leute ihres Managements versuchen in der Folgezeit ständig, aus unserer Begegnung ein standesgemäßes, branchenübliches Interview zu machen, was, wie wir Leser wissen, das Schlimmste ist, was es gibt: zehntausendfach eingecoachte Fragen und Antworten. In einem Sushiladen sagt Jasmin schließlich:
„Laßt uns bitte allein.“
Pures Entsetzen. Das hat es anscheinend noch nie gegeben.
„Wir… wollen das n-nicht zusammen machen?“
„Nein.“
Wir reden über Kraftwerk, Neue Deutsche Welle, Andreas Dorau, Bernd Begemann, moderne Architekten, die NASA, neue Werkstoffe, die Kernspaltung (sie ging auf die Otto-Hahn-Gesamtschule), die Internetrevolution, die Wissensrevolution. Immer zeigt sich eine aufklärerische, kritische Haltung. Über Politiker:
„Natürlich blickt keiner mehr zu denen auf. Die haben keinen Wissensvorsprung mehr. Jede Hausfrau kann sich übers Internet dasselbe Wissen aneignen.“
Über Otto Hahn: „Viele kleine Laborratten haben ihren Beitrag zur Entdeckung der Kernspaltung geleistet, von denen man auch nie hören wird.“
Das ist ja Brecht, so eine Haltung! Kein Wunder, Brecht hat sie weiß Gott gelesen, Max Frisch, Charles Dickens – sie war in der Literaturklasse. Wieder so eine Sache, die es erst seit der Gesamtschule gibt. Ein bißchen mehr als nur der Koran. Oder immer nur ´Spex´. Natürlich war sie Klassensprecherin, hat die Schülerzeitung neugegründet (mit 13), hat Demonstrationen gegen die atomare Bedrohung organisiert. Tausend Gesamtschüler marschierten gegen das Muraroa-Atoll, ich glaube, ich sah das damals kurz im Fernsehen. Wer steckte dahinter: Jasmin Wagner. Wofür sie steht, für welche Werte sie kämpft, kann sie sogar mühelos zu Protokoll geben. Aber wir wollen nicht langweilen. Es ist jedenfalls mehr als „ey, Mann, Bruder, piss Du mich nich an, dann piss ich dich nich an“…
Über Ausländer: „Wenn man 30 Jahre in Deutschland lebt und kein Wort Deutsch spricht, ist man selbst schuld und nicht das Land. Es sollten noch mehr Kurse angeboten werden, vor allem für entmündigte ausländische Hausfrauen.“ Jasmins Mutter ist Kroatin. Kein Grund, hier wie Rapunzel zu leben, im Gegenteil.
Über die Kanakstabewegung um Feridun Zaimoglu: „Streit kann fruchtbar sein, aber nicht, wenn man so einen Krawallpunkt gleich als erstes festsetzt.“
Nun sagt sie selbst das Un-Wort: „Ich kann es nicht ertragen, daß diese Typen einfach nicht lernen, daß man eine deutsche Frau mit Respekt zu behandeln hat.“ Das zielt aber nicht gegen die Kanaksta, sehr politische, sehr gut erzogene Menschen. Ein reiner Männerbund jedoch auch das.
Über Neonazis: „Die kleinen Randgruppen von neonazistischen Vereinen werden ja nun in keinster Weise von irgendjemanden unterstützt.“
Wir gehen am Rhein spazieren. Wir sitzen auf einer Wiese. Sie ist so körperlich präsent, wie man es bei konzentrierter geistiger Auseinandersetzung eigentlich nicht kennt, sodaß ich darüber nachdenke. Sie ist schlank und doch wirkt sie kräftig. Sie ist 1,78 Meter groß, mit Absätzen 1,88 – da kann ihr kein Goldzahn-Kapuzenträger was anhaben. Sie wirkt so sicher, und zwar körperlich sicher. Dann fällt mir ein: diese demonstrativ ausgestellte Sexualität haben ja heute alle jungen Frauen, je jünger, desto mehr. Das ist einfach so. Am schlimmsten mit 15. Welchen Vater traf nicht schon der Schlag deswegen – bis ein Blick auf VIVA und MTV ihn beruhigte. Nichts, worüber man berichten müßte. Nur ist es selten, daß man mit einem Wesen mit achtfach verstärkten erotischen Signalen über Brecht und Dickens, Hegel und Husserl diskutiert. Es geht aber. Wir spazieren durch das Belgische Viertel, Brüsseler Straße, Genter Straße, an der Wohnung Helge Malchows vorbei, bis zum Mediapark. Erstaunlich viele kennen das Mädchen, bleiben stehen und beginnen selig zu lächeln. Bei VIVA treffen wir wieder auf Betreuer vom Management, sodaß wir die üblichen Fragen nach neuer CD („Die Welt gehört miiiiiir!“), Chart-Position („Es ist ausgeschlossen, daß es kein Hit wird.“), musikalische Vorbilder („Sandra und Roxette habe ich mit 10 gehört“) und so weiter durchgehen. Nichtmusikalische Vorbilder? „Martin Luther King und Ghandi haben etwas bewegt, haben sich wenigstens nicht die Bäuche vollgeschlagen.“ Lieblingsfilm? „The Legend of 1900! Handelt von einem genialen Musikerkind, das auf einem Schiff geboren wird, dort groß wird, dort ein genialer Musiker wird, dieses Schiff aber nie verläßt… ja, er hat dieses Schiff nie verlassen… er hat Angst gehabt, von Bord zu gehen…“ Sie verliert plötzlich den Faden. Ganz klar: ihr Film. Auch sie hat die Blümchenwelt nie verlassen. Blümchen wurde sie schon als Kleinkind von ihrer machtbewußten Mutter gerufen. Doch genug der Psychologie. Psychologie ist immer richtig, und vor allem immer falsch. Wie Astrologie. Nächste Frage: „Niemand verkörpert so wie du die ungebrochene, naive, positive Welt des Techno und der Love Parade…“
„Falsch. Ich mache nicht Techno, sondern: ich verwende Techno-Elemente, also die wilden, hämmernden, lauten, sich überschlagenden Beats und amalgiere das mit sanften, runden Popmelodien.“
„Die Stimme ist unverwechselbar, viele sprechen von einer Piepsstimme, die…“
Ich halte inne. Sie lächelt. Ihre Stimme ist ja gerade vor mir. Eine rauhe, fast knabenhafte Stimme. Nächste Frage. Die Synthetisierung der Stimme. Entweder Fortschritt ganz – oder gar nicht. Will man die Stimme „echt“ und „natürlich“, sollte man konsequenterweise das Auto wieder gegen das Pferd tauschen. Jasmin hat aber gerade den Führerschein gemacht.
„Autofahren ist ein enormes, tolles Freiheitsgefühl, das meine ich ganz ernst. Man muß nicht mehr warten, kann jeden Weg neu gestalten, sich in jeder Sekunde neu entscheiden…“
Diese Frau weiß zu leben. Die meint, was sie singt. Ein Tophit über einen Führerschein – das nämlich ist „Die Welt gehört mir“ – war bisher noch nicht in deutschen Landen. Doch wie ist es denn nun eigentlich mit dem Liebesleben? Das will doch gefragt sein. Man weiß, sie raucht nicht, sie trinkt nicht, sie tourt aber monatelang durch Skandinavien (da ist sie nämlich noch beliebter als hier), da will Leser doch wissen, nicht wahr, ob sie ihren Fans auch treu bleibt. Antwort: „Ich habe mich dazu noch nie geäußert.“ Gemeinsam lesen wir durch, was der Munzinger dazu schreibt. Drei Langzeitbeziehungen werden ihr unterstellt. Mit Namen, Datum, Alter. Sie lacht laut auf. Meine Einschätzung: natürlich hat sie einen Freund, und dem ist sie garantiert absolut treu. Sie erzählt von einem Open Air letzte Woche mit 40.000 Leuten, in Karlsruhe war das, da war noch Sommer, die Sterne haben geleuchtet, es lag ein Knistern in der Luft. Sie wollte unbedingt auf die Bühne, und dann ist sie raus und es war wunderbar. So wie jetzt. Bauch frei zur ersten Runde, die Sendung beginnt. Sie schießt in den Raum hinein, in den Sucherkegel der wirr schwankenden Kamera. In der Maske/Garderobe haben sie sie noch richtig hochgestylt, der feste Kampfanzug aus gebleichter Fetzenjeans und blitzendem Britney-Spears-Tanktop scheint auf den Körper genäht. Aber wirklich irre ist ihre Bewegungsarithmetik, sind ihre gegenläufigen Zuckungen. Sie kippt das Becken nach links und das Kinn nach recht, schmollt, lacht, formt mit Zeigefinger und Daumen beider Hände ein Viereck, klemmt dabei das Mikro unter dem Arm fest, rennt herum, ist Co-Moderatorin, interviewt, singt: es gibt nur noch sie. Die Hauptmoderatorin, eine gewisse Jessica, ist als Pop-Wesen dagegen eine Leiche. Nicht lebendiger als die Studiozuschauer, debiles deutsches Jungvolk in der üblichen Turnschuh- und Sportvereinskleidung, mit Ring in der Nase und Margarine im Haar. Bauernburschen mit Händen wie Schaufelrädern, mit denen sie dann stampfend klatschen. Nein, Blümchen ist dagegen eine Göttin. Sie arbeitet immer Oben und Unten gleichzeitig, also schneidet mit dem Gesicht Grimassen und vollführt dabei Hüftschwünge, was nichts miteinander zu tun hat und einen verrückt macht. Jedenfalls die Bauernburschen. Das Kinn fällt ihnen auf die schwer atmende Brust, sie vergessen, daß sie eben noch die Bloodhound Gang beklatscht haben. Aber richtig flirten tut Jasmin nur mit der Kamera, egal was läuft. Das Kamera-Auge ist ihr innig geliebtes Wesen, sie ist richtig verliebt in dieses kleine runde Ding. Heimlich, aus den Augenwinkeln, verfolgt sie, was die süße kleine Kamera macht, macht kleine Späße mit ihr, gibt ihr Zeichen, die nur sie beide verstehen. Sie befeuchtet ihre Lippen, guckt plötzlich todernst, karikiert das eigene Gute-Laune-Image, bricht in einen unmotivierten Lachanfall aus. Die Bauernburschen kriegen davon nichts mit. Sie sind erst wieder dabei, als die erste Clipunterbrechung ihnen „De Leude“ beschert, das neue Lied der Hiphopper ‚5 Sterne deluxe‘. Das sind wieder so selbstgerechte Rüpel, die urdeutsches Besoffensein für Coolness halten. Dasselbe Geschimpfe wie überall. Jasmin verzieht kaum merklich das hübsche Gesicht, ihre frisch gepuderte, sonst so gerade Nase kräuselt sich. Wer sie kennt, kann Gedanken lesen: Das ist der Blaue Bock in Neuauflage, Schunkeln und Schenkelklopfen in der eigenen Soße. Ihr Freund Christoph sagt es später so: „Sie fühlen sich als Kämpfer, aber alles, wofür sie kämpfen, ist ‚respect‘ für sich selbst, und ‚legalize it‘. Also daß man mehr Geld an Leute zahlen darf, die Dinge verkaufen, die verblöden.“ Daß Jasmin lieber, zum Beispiel, für die sechs Millionen Menschen kämpfen würde, die jedes Jahr verhungern, liegt auf der Hand. In der Sendung wird sie sogar danach gefragt, mit Entsetzen in der Stimme. „Bist du etwa politisch?“
Knifflige Frage. Darf man als Teenie- und VIVA-Star sagen, man sei es? Darf man sagen, man liebe Mathe und fände seinen Lehrer scharf? Blümchens geschickte Antwort lautet: „Ja, sehr! Zwei meiner Freundinnen sind bei den Jungen Grünen, deswegen habe ich viel damit zu tun.“ Im Zweifelsfall sind es dann die anderen gewesen. Schnell rudert die Moderatorin davon wieder weg, kommt auf Jenny Elvers und Alex zu sprechen, deren Baby.
„“Äh… es gibt ja ne ganz heiße neue News… Jenny und Alex… ist schon hart, ne?“
„Also da war bestimmt was hart, als das passiert ist.“ Blümchen sagt das ganz genüßlich, mit einem eigenen Tempo. Die Sendung sehen mehrheitlich Kinder, die Moderatorin weiß sekundenlang nicht ein noch aus. Blümchen redet daher weiter: „Aber es ist immer schön, wenn sich Leute fortpflanzen.“ Es ist dieses eigene Tempo, das die Wirkung entfaltet, vor allem in der Bewegung, ein leichtes Hohlkreuz, ein Armeverschränken, ein Ausfallschritt, alles immer aufreizend ruhig und durchdacht wie ein 60-Meter-Golfschlag genau ins Loch. Dagegen sieht das ’sexy‘ Gestrampel der Moderatorin nur noch hektisch aus. Sie glaubt nicht mehr, der vermeintlichen „Techno-Maus“ die Schau stehlen zu können. Ein Clip von ‚Das Bo‘ rettet sie wie der Pausengong den angeknockten Boxer.
Jasmin kann in diesen Clip-Pausen noch ganz gut plaudern, während andere vor Angst und Konzentration nur vor sich hin brüten. Ich frage sie daher mit der unschuldigen Stimme des ahnungslosen Onkels (wohlwissend, daß das schon wieder jene Sorte Hiphop ist, wo dicke glatzköpfige Männer es geil finden, daß sie sich so geil finden), wie sie ‚Das Bo‘ fände. Sie ist ja sehr diplomatisch. Das muß sie auch sein als erfolgreicher Profi in dem Business. Kollegen anschwärzen ist hier so verpönt wie bei den doofen Bundesliga-Fußballern („Wenn der Loddar glaubt, er hat nix gesagt, soll er das mir sagen und net der Presse…“). Aber sie sieht aus, als müsse sie eine bittere Arznei trinken. Sie sagt schließlich sowas wie „Ich hätte es anders gemacht, aber es ist auch nicht derselbe Bereich Musik, in dem wir sind.“ Freund Christoph muß es sagen, spät am Abend: „In diesen Jungsgroups kriegt jeder ‚respect‘, der gut rumchillen und kiffen kann, egal, was er getan hat. Er kann ein Mörder sein oder Frauen treten, das interessiert keinen…“
Zwei Stunden dauert die Live-Sendung. Immer wieder wird Blümchens neuer Hit „Die Welt gehört mir“ eingeblendet, Motivationsbombe für alle, die aus ihrem Leben etwas machen wollen. Ermüdungsfrei verläßt sie den Laden, läuft einfach ins Freie. Nur einmal war sie böse geworden: als sie einen Leserbrief vorlesen sollte, in dem jemand via VIVA einen Seitensprung beichten und seine Freundin um Verzeihung bitten wollte. Sie geriet richtig außer sich, war fast entstellt vor Wut. Sie hielt den halb zerknüllten Brief zitternd in der Luft und forderte den Jungen auf, sofort das intensive Gespräch mit dem Girl zu suchen und in seinem Leben „aufzuräumen“. Soviel Engagement ist eigentlich gar nicht verlangt in einer sogenannten ‚Flirt-Show‘. Aber in der Sekunde wurde klar, daß nichts bei Jasmin Wagner aufgesetzt ist.
(erschienen unter dem Titel ‚Laßt Blümchen sprechen‘ in der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG)