vonBlogwart 29.01.2009

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Bei den meisten Texten, die in der taz stehen, ist die Recherche ein Sprint: Morgens wird auf der Konferenz darüber gesprochen, welche Themen am nächsten Tag im Blatt stehen sollen und wer sie bearbeitet. Dann bleiben nur noch ein paar Stunden, um sich einen Überblick über die aktuelle Entwicklung zu machen, Leute anzurufen und Dokumente mit Informationen zu suchen. Das klappt nur darum, weil es erfreulich viele Leute gibt, die gerne bereit sind, Informationen an anrufende Journalisten weiterzugeben – ohne sie wäre es wohl nicht möglich, eine Tageszeitung zu machen. Aber manchmal kann eine Recherche auch zum Marathon werden. Hier folgt nun die Geschichte so eines Marathons. Es geht dabei um einen möglichen Verstoß gegen Datenschutzvorschriften an der Freien Universität Berlin – einige Fragen wollte die Universität erst erst nach einer Auskunftsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin beantworten.

Das Thema: Die Freie Universität Berlin hat Werbebriefe der Unternehmensberatungsfirmen McKinsey und Boston Consulting an ausgewählte, besonders leistungsstarke Studierende des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften verschickt. Die Unternehmen warben darin um Absolventen und stellten sich als Arbeitgeber vor. Die Freie Universität und die Unternehmen finden, die Verschickung solcher Briefe sei eine prima Hilfe beim Berufseinstieg. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin sah darin allerdings einen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen. Nachdem die taz nach monatelanger Recherche über die Sache berichtete, hat die Freie Universität die Kooperation mit den Unternehmen beendet.

Besonders mühsam war es, während der Recherche Informationen von der Freien Universität über den genauen Umfang des Geschäftes zu erhalten. Dabei sollte gerade das eigentlich besonders einfach sein. Denn anders als private Unternehmen sind staatliche Behörden – und damit auch Universiäten – grundsätzlich verpflichtet, Fragen von Journalisten zu beantworten. In Berlin ist das in § 4 des Landespressegesetzes geregelt: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse, die sich als solche ausweisen, zur Erfüllung ihrer Öffentlichen Aufgabe Auskünfte zu erteilen.“

Im Alltag klappt das auch in den meisten Fällen hervorragend. Viele Pressesprecher verstehen sich als Vermittler zwischen Journalisten und den Mitarbeitern der Behörde, die auf beiden Seiten um Verständnis für die Rolle und Aufgaben der jeweils anderen Seite werben. Ich wende mich immer gerne an Pressesprecher, auch weil sie ihre Behörde einfach viel besser kennen und genau wissen, wo sie an welche Information herankommen. Viele von ihnen engagieren sich über das notwendige Maß hinaus in ihrem Job und die Sprecher der Senatoren sind auch am Wochenende für Stellungnahmen stets zu bekommen. Die meisten Pressesprecher haben auch selbst einmal als Journalisten gearbeitet. Der Umgang ist in der Regel locker.

Diese Anfrage an die Freie Universität Berlin gehört zu den wenigen Ausnahmen. Über mehrere Monate hinweg war die Universität nicht bereit, auf zentrale Fragen zu dem Geschäft mit den Daten der Studierenden zu antworten. Hier die Chronologie:

23. Mai 2008: Die Freie Universität verschickt Werbe-Briefe von McKinsey an einige Studierende.

25. Mai 2008: Einer der Empfänger meldet sich bei der taz. Er kenne McKinsey bisher vor allem von Berichten darüber, dass das Unternehmen bei seinen Beratungen oft den Abbau von Arbeitsplätzen empfehle und dass die McKinsey-Mitarbeiter so eingespannt seien, dass sie kaum noch Freizeit hätten. In dem Brief bediene McKinsey dagegen subtil die Wünsche vieler seiner Kommilitonen, in ihrem Beruf selbst etwas zu bewegen und viel in der Welt herumzukommen. Die Freie Universität solle solche einseitigen Informationen nicht unkritisch weitergeben. Darüber solle die taz doch einmal etwas schreiben. Außerdem stört er sich daran, dass die Universität seine Daten verkauft hat. Er verspricht, den Brief an die taz weiterzuschicken.

26. Mai 2008: Der Brief kommt bei mir an. Der Betreff: „Was muss man wissen, um die Wüste zu verändern?“ In dem Brief heißt es, über ein „einzigartiges globales Netzwerk aus 90 Büros in 51 Ländern unterstützen wir weltweit führende Unternehmen, öffentliche Institutionen und Nichtregierungsorganisationen“. Die Mitarbeiter bei McKinsey seien „maßgeblich an Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt“ und kämen dabei viel in der Welt herum. Die Tätigkeit von McKinsey würde man den Studierenden gerne einmal an einem Beispiel vorstellen: Der Planung eines großen Freizeitparks im Nahen Osten. Bei dem Termin werde auch über „über Ihre individuellen Einstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten bei McKinsey“ informiert. Im Anschluss „möchten wir Sie zu einem gemeinsamen Abendessen in einem arabischen Restaurant einladen“, bei dem man auch mit Beratern von McKinsey ins Gespräch kommen kann. Da die Teilnehmerzahl begrenzt sei, bitte man um eine Bewerbung „mit einem aussagekräftigen Lebenslauf“. Der Briefumschlag ist von McKinsey, darauf ist ein Poststempel der Freien Universität. Am Ende des Briefes heißt es: „Diese Einladung wurde vom Prüfungsbüro der FU Berlin direkt an eine ausgewählte Gruppe von Studentinnen und Studenten verschickt. Die Adressdaten wurden nicht an McKinsey übermittelt.“

27. Mai 2008: Die Suche auf der Homepage der Universität nach dem im Brief genannten „Prüfungsbüro der FU Berlin“ bleibt erfolglos – so eine Einrichtung gibt es nicht, sondern lediglich Prüfungsbüros an den einzelnen Fakultäten. Ich schicke eine Anfrage an die Pressestelle der Universität: Wie viele Studierende haben die Einladung bekommen? Nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt? Wie viel Geld hat die Universität dafür bekommen? Mit welchen anderen Unternehmen gibt es so eine Zusammenarbeit? Können Studierende sich auch dafür entscheiden, solche Werbebriefe nicht zu bekommen?

28. Mai 2008: Der Pressesprecher der Universität meldet sich. Er werde sich erkundigen und dann wieder auf mich zukommen.

2. Juni 2008: Der Pressesprecher schickt eine längere Stellungnahme. Die Post-Weiterleitungen seien eine von zahlreichen Möglichkeiten, die Studierenden über Informationsveranstaltungen potentieller Arbeitgeber zu informieren. Die Unternehmen hätten dafür eine „kostendeckende Spende“ gezahlt. Wie viel Geld genau geflossen ist, schreibt er nicht. Ich bitte ihn, auch diese Frage genau wie die weiteren offenen Fragen zu beantworten.

9. Juni 2008: Ich frage nach, ob der Pressesprecher inzwischen schon absehen kann, wann mit einer Antwort auf die noch offenen Fragen zu rechnen ist.

10. Juni 2008: Ich frage nach, ob meine Nachfrage vom Vortag angekommen ist. Der Pressesprecher antwortet, man habe bereits am 2. Juni eine Stellungnahme geschickt. „Darüberhinaus können wir diesen Vorgang nicht weiter kommentieren.“ Ich antworte, ich sei „nicht damit einverstanden, wenn Sie die noch ausstehenden Fragen überhaupt nicht beantworten“. Schließlich sei die Universität auch nach Landespressegesetz zur Auskunft verpflichtet.

27. Juni 2008: Ich frage nach dem aktuellen Stand.

4. Juli 2008: Die Antwort des Pressesprechers: „Sehr geehrter Herr Heiser, wie wir Ihnen bereits am 10. Juni mitteilten: Wir haben Ihnen am 2. Juni ein ausführliches Statement gesendet und Ihre Anfrage beantwortet. Eine darüber hinausgehende Möglichkeit zur Beantwortung Ihrer Fragen besteht aus unserer Sicht leider nicht. Bitte teilen Sie uns doch mit, wann genau Ihr Beitrag veröffentlicht werden soll. Mit den besten Grüßen aus Dahlem“

14. Juli 2008: Ich antworte, ich würde es „nicht hinnehmen, wenn die Freie Universität Berlin Ihrer Auskunfsverpflichtung nach dem Landespressegesetz nicht in vollem Umfang nachkommt“. Ich würde jedoch noch weiter auf eine einvernehmliche Lösung hoffen, ohne vor das Verwaltungsgericht ziehen zu müssen. Für eine Antwort räume ich der Freie Universität eine Frist von zwei Wochen ein.

28. Juli 2008: Die Frist läuft ab, ohne dass der Pressesprecher sich noch einmal meldet. Seit der ersten Anfrage sind jetzt gut zwei Monate vergangen – und nachdem der Pressesprecher zweimal ausdrücklich abgelehnt hat, die noch offenen Fragen zu beantworten, scheinen normale Anfragen jetzt nicht mehr weiterzuführen.

29. Juli 2008: Die Klage gegen die Freie Universität ist per Post unterwegs zum Verwaltungsgericht Berlin. Darin beantrage ich, dass das Gericht die Universität verpflichtet, zunächst die beiden wichtigsten Fragen zu beantworten: Wie viel Geld hat die Uni mit der Verschickung solcher Briefe eingenommen? Und an wen müssen Studierende sich wenden, wenn sie solche Werbepost nicht mehr bekommen wollen?

11. September 2008: Die Universität beantwortet die beiden Fragen. Im Jahr 2007 flossen 280 Euro an den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Studierende können unter anderem dem Präsidium der Universität schreiben, wenn sie solche Post nicht mehr erhalten wollen. Dadurch, dass die Universität die Fragen nun beantwortet, ist eine Verhandlung vor Gericht oder ein Urteil nicht mehr notwendig. Die Universität schickt übrigens kein Wort der Erklärung mit, warum die Fragen so lange unbeantwortet blieben.

29. September 2008: Ich habe da noch ein paar neue Fragen: Bekommen nur Studierende solche Werbebriefe, wenn sie Wirtschaftswissenschaften studieren – oder gibt es das auch an anderen Fachbereichen? Stimmt es wirklich, dass McKinsey und die anderen Unternehmen für die Verschickung der Briefe eine „Spende“ zahlten, wie es in der ersten Stellungnahme der Universität hieß (eine Spende kann nur ohne Gegenleistung gezahlt werden). Und außerdem interessiert mich noch eine Stellungnahme dazu, warum eine Reihe von Fragen so lange nicht beantwortet wurden: Wie kam es dazu? Ist das die Regel? Und was will man in Zukunft ändern, um sicherzustellen, dass Anfragen nicht monatelang unbeantwortet bleiben?

30. September 2008: Die Freie Universität antwortet: „Wir werden die Angelegenheit prüfen und uns in Kürze wieder bei Ihnen melden.“

10. Oktober 2008: Die Universität erklärt gegenüber dem Gericht, dass sie bereit sei, die Kosten des Gerichtsverfahrens zu bezahlen. Der Universität sei daran gelegen, den Rechtsstreit „mangels einer klärungsbedürftigen Substanz mit geringst möglichem Aufwand zu beenden“. Warum die Fragen monatelang unbeantwortet blieben, schreibt die Universität nicht – und beschwert sich stattdessen über meine neuen Fragen. Es sei fraglich, ob einige davon „geeignet sind, zu einem sachgerechten, außerrechtlichen Umgang der Parteien miteinander beizutragen“. Welche konkreten Fragen das sein sollen, schreibt die Universität nicht.

Zwischendurch hatte ich auch mal in der Pressestelle des Berliner Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit angefragt: Ist das Geschäft mit den Daten der Studierenden eigentlich erlaubt? Der zuständige Mitarbeiter des Beauftragten hatte das daraufhin geprüft. Über einen Antrag nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz erhalte ich den Vermerk des Mitarbeiters: Er hält das Vorgehen der
Universität für nicht zulässig. Und noch aus einem anderen Grund erweist sich der Vermerk als wertvoll für mich: Darin stehen nämlich noch die Antworten auf ein paar andere Fragen, die ich an die Universität hatte. Unter anderem erfahre ich erstmals, dass die Universität nicht nur Briefe von McKinsey verschickt hatte, sondern auch von Boston Consulting. Und ich erfahre, nach welchen Kriterien die Universität die Studierenden ausgewählt hat. Post von McKinsey bekam, wer das Vordiplom nicht schlechter als mit der Note 2,3 machte und nicht länger als 11 Semester studiert. Boston Consulting gab keine fixe Note vor, sondern wollte die besten 10 bis 15 Prozent erreichen. Ein Teil der Fragen, die die Universität mir nicht beantworten wollte, hat sie also gegenüber dem Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten beantwortet – und über diesen Umweg habe auch ich jetzt die Informationen. Außerdem erfahre ich: Der Datenschutzbeauftragte wird seine Rechtsauffassung auch in einem Brief an die Freie Universität schicken. Damit entsteht die absurde Situation, dass ein Artikel von mir bereits Folgen hat, noch bevor er überhaupt erschienen ist. Denn eigentlich war mein Plan, erst dann über das Thema zu schreiben, wenn ich alle Informationen, die ich brauche, zusammenhabe. Doch die Recherche zieht sich jetzt schon viel länger hin als üblich und von mir erwartet – schließlich sind sogar immer noch ein paar Fragen aus meiner ersten Mail von vor gut fünf Monaten offen, etwa: An wie viele Studierende ging die Einladung von McKinsey? Gab es auch in der Vergangenheit vergleichbare Kooperationen mit McKinsey? Und die Briefe welcher Unternehmen hat man in der Vergangenheit sonst noch so verschickt?

30. Oktober 2008: Ich frage bei der Universität an, ob man die Einschätzung aus dem Haus des Datenschutzbeauftragten teilt und kündige an, in den nächsten Tagen über das Thema zu schreiben, selbst wenn noch einige Fragen offen sind.

31. Oktober 2008: Die Universität antwortet, man sehe dem Schreiben des Datenschutzbeauftragten „mit Interesse entgegen“. Man könne sich dazu erst äußern, sobald das Schreiben dort vorliegt. Die Beantwortung meiner restlichen Fragen verursache einen „erheblichen Verwaltungs- und damit verbunden Zeitaufwand“. Man bitte um Geduld.

8. November 2008: Im Lokalteil Berlin der taz erscheint mein Artikel „McKinsey hat den Hut auf„. In einem „Pro und Contra“ erscheinen daneben zwei Kommentare zu der Frage, ob solche Kooperationen zwischen Universität und Unternehmen richtig oder falsch sind.

Hier übrigens auch der vollständige Briefwechsel (PDF) zwischen mir und der Freien Universität von der ersten Anfrage bis zur Klage.

14. November 2008: Das Rechtsamt der Freien Universität teilt mir, nachdem mein Artikel erschienen sei, gehe man davon aus, dass sich damit auch die bisher noch nicht beantworteten Fragen erledigt hätten. Ich widerspreche – die Fragen hätten sich für mich keinesfalls erledigt.

23. Dezember 2008: Ich greife das Thema im überregionalen Teil der taz auf: Auf der Medienseite erscheint der Text „Die Uni schweigt“ und im Inlands-Ressort der Artikel „Das Geschäft mit den Studi-Daten„. Die Universität lässt weiterhin nichts von sich hören.

21. Januar 2008: Die Universität mailt mir einen Brief, den sie auch an den Landesdatenschutzbeauftragten geschickt hat. Darin widerspricht sie dessen Einschätzung, dass die Kooperation unzulässig sei. Die Universität schreibt: „Das Prinzip der Chancengleichheit wird nicht verletzt da hier ein sachlicher Grund für eine ‚Ungleichbehandlung‘ vorlag. Leistungskriterien sind allgemein ein Grund zur Differenzierung und dürfen rechtmäßigerweise z.B. auch bei Bewerbungen um Studienplätze zur Anwendung kommen.“ Man habe sich dennoch „unabhängig von Ihrem Schreiben“ dafür entschieden, „bis auf weiteres davon Abstand zu nehmen, Einladungen von potenziellen Arbeitgebern an ausgewählte Studierende zu übersenden“.

Ich frage bei der Universität nach, was denn dann der Grund dafür sei, die Kooperation einzustellen. Die Universität meint, dass sie mir diese Frage nicht beantworten möchte. Dafür beantwortet sie mir auch meine anderen noch offenen Fragen.

26. Januar 2009: Mein Text „Elite-Studis müssen sich wieder selbst um Job kümmern“ erscheint.

PS: Wenn Sie diesen Eintrag interessant fanden, dann werden Sie womöglich auch gerne lesen, wie wir bei der taz vor ein paar Monaten an die detaillierten Daten über den Zustand der Bäume in Berlin gekommen sind.

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