vondorothea hahn 21.09.2010

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Sagt Ihnen der Name Garfield etwas? Klingt Ihnen möglicherweise McKinley bekannt?

Nein? Das ist nicht verwunderlich. Selbst die meisten ihrer Landleute kennen diese beiden Herren nicht. Dabei gibt es für beide Gedenkstätten im Land:  Garfield ist an keinem geringeren Ort als in dem Park Mall im Herzen von Washington mit einer überlebensgroßen Statue vertreten, für McKinley gibt es einen Obelisken in seiner Heimatstadt Buffalo. Und dabei haben beide Herren zu Lebzeiten – und vor allem danach – jede Menge Schlagzeilen in den Zeitungen ihrer Zeit gemacht.

James A Garfield und William McKinley waren US-Präsidenten. Ersterer bis 1881. Letzterer bis 1901. Beide gehörten zur Republikanischen Partei. Beide starben an den Folgen von tödlichen Schüssen. Beide Männer aus dem 19. Jahrhundert sind im Laufe des 20. Opfer von historischer Amnesie geworden. Wer heute in den USA nach den ermordeten Präsidenten fragt, wird statt vier Namen meist nur zwei hören: Abraham Lincoln, der vor den beiden – im Jahr 1865 – ermordet wurde, und John F Kennedy, den dasselbe Schicksal lange nach ihnen – im Jahr 1963 – ereilte.

Garfields Mörder erschießt seinen Präsidenten, weil er nicht den erhofften Posten bekommt. Charles Guiteau war einer von Tausenden von Wahlkampfhelfern. Zur Belohnung wollte er Konsul in Paris werden. Präsident McKinleys Mörder ist Anarchist. Leon Czolgosz schießt auf seinen Präsidenten, weil er ihn als „Feind der guten, arbeitenden Leute“ ausgemacht hat. Auch die beiden Mörder haben eine Menge Gemeinsamkeiten: Beide sind vor der Tat illustre Unbekannte. Beide sind US-Amerikaner. Und beide werden hingerichtet.

Weil sowohl Präsident Garfield, als auch  – zwanzig Jahre nach ihm – Präsident McKinley Mitte September gestorben sind, finden in diesem Monat in Washington manchmal Führungen zu den Schauplätzen ihres Lebens und Sterbens statt. Das interessiert mich. Unter anderem, weil ich seit den ersten Tagen meines US-Aufenthaltes immer wieder auf Leute treffe, die mir sagen, sie hätten Angst vor einem Attentat auf ihren Präsidenten. Sie meinen Barack Obama.

Doch über die Logik von Präsidentenmorden in den USA erfahre ich bei der Führung nicht so viel. Stattdessen höre ich spannende  Geschichten über zahlreiche Männer aus dem Umfeld der ermordeten Präsidenten:  ihre Kollegen, Gegenspieler und Nachfolger. Sowie die Täter, Ermittler, Richter und Henker.

Die Sache ändert sich, als wir am Kapitol ankommen. Am Fuß der Legislative der USA fällt der Name einer Frau, der ich schon einmal in meiner Jugend begegnet bin. Damals ging es um den spanischen Bürgerkrieg. Dieses Mal um den Mord an Präsident McKinley.

Es ist dieselbe Frau. In meiner Jugend habe ich Emma Goldman als positive Heldin kennen gelernt. Anarchistin, Frauenrechtlerin, Verfechterin der freien Liebe und Friedensaktivistin. Eine, die immer auf der Seite der sympathischen Unterlegenen steht. Die mit der – in einem Blutbad beendeten – Räterepublik der Müncher Literaten sympathisiert. Die die postrevolutionäre Sowjetunion gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Stalin-Ära verläßt. Und die 1936 in Spanien den ersten Text verfaßt, der den gefallenen anarchistischen Kommandanten Durruti auf einen Podest hebt.

An diesem Sonntag im September des Jahres 2010 am Fuß des Kapitols ist Emma Goldman eine intellektuelle Anstifterin. Eine, die im Hintergrund die Fäden zieht. Im Jahr 1901, bei den Verhören des Mörders von Präsident McKinley stellt sich heraus, dass er bei Vorträgen der Anarchistin gewesen und Anhänger ihrer Thesen der Propaganda der Tat ist. Auch Emma Goldman wird verhaftet. Sie ist dem Attentäter einmal begegnet. Doch ihr kann keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Sie kommt wieder frei.

Als Präsident McKinley ermordet wird, ist Emma Goldman noch US-Amerikanerin. Sie soll es weitere 18 Jahre lang bleiben. Sie hält kämpferische Reden auf Englisch und Jiddisch. Sie steht immer mit einem Fuß im Gefängnis. Und sie gerät bei fast jedem neuen Bombenattentat als „suspekt“ in die Schlagzeilen. 1919 tritt in den USA ein neues Einwanderungsgesetzt in Kraft. Emma Goldman wird – wie hunderten anderer Anarchisten – die Staatsangehörigkeit aberkannt und sie wird in das Land abgeschoben, das sie im Alter von 17 Jahren verlassen hat.

In Moskau, wo die bolschewistische Revolution bereits ihre ersten Kinder verschlingt, beginnt für Emma Goldman eine Odyssee durch das linksradikale Europa der Zwischenkriegszeit. Aber das ist eine andere Geschichte. Am Fuß des Kapitols in der US-Hauptstadt  – und im Zusammenhang der Morde an den Präsidenten Garfield und McKinley – spielt das keine Rolle. Dort erzählt auch niemand, dass Emma Goldman, die 1940 im kanadischen Toronto stirbt und in Chicago, wo ihre anarchistische Karriere begann,  beigesetzt wird. Auf ihrem Grabstein ist das Todesdatum falsch. Und manchmal kommen junge Anarchisten zu Besuch.

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