vonDetlef Guertler 30.06.2009

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Wenn ein Produkt deutlich billiger wird, verfällt in Deutschland dessen Preis – in der Schweiz zerfällt er. Zumindest für einen Teil der Fälle, um die es hier geht, sollte der Preiszerfall auch in Deutschland Einzug halten: nämlich für all jene, in denen es sich um eine nicht dauerhafte, nicht endgültige Verbilligung handelt.

Denn der Verfall ist in meinen Ohren etwas Endgültiges: Eine Option ist nach ihrem Verfallstag nicht mehr existent, ein verfallenes Haus ist eine nicht mehr renovierbare Ruine, und wer vom Verfall der Sitten redet, glaubt auch nicht mehr daran, dass sich die Moral noch mal zum Besseren wendet.

Der Zerfall hingegen ist nur irreversibel, wenn es um Atomkerne geht. Ansonsten enthält er noch die Möglichkeit der Umkehr – und er ist, anders als der Verfall, vom ersten Moment an anwendbar: Wenn bei einem alten Haus die ersten Ziegel vom Dach fallen, kann man davon reden, dass der Zerfallsprozess begonnen hat. Der Verfall hingegen steht am Ende des Prozesses.

Im deflationären Normalfall wird es sich bei sinkenden Preisen eher um einen Zerfall als um einen Verfall handeln. Der Ölpreis etwa erlebte zu Jahresanfang einen solchen Zerfall, und ist inzwischen wieder deutlich gestiegen. Es wäre schön, dieses sprachlich von irreversiblen Preisverfällen unterscheiden zu können, wie sie bei Speicherchips und Räumungsverkäufen, aber auch nach Blasenbildungen auftreten. Die EM.TV-Aktie beispielsweise erlebte im Jahr 2000 einen solchen Preisverfall – auch wenn er den meisten Anlegern anfangs nur wie ein Zerfall aussah. Gleiches gilt derzeit von spanischen Immobilienpreisen.

Noch können wir diesen sprachlichen Unterschied nicht machen. Aber bislang waren sinkende Preise ja auch nur eine Randerscheinung. Das ändert sich derzeit, und damit wächst der Bedarf nach sprachlicher Differenzierung. Es ist an der Zeit, den Preiszerfall zu entdecken.

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