vonImma Luise Harms 10.02.2009

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Pressevorschau der Berlinale-Filme. Es hat sich nicht viel verändert seit dem letzten Jahr; sie sind alle wieder da – die Frau mit dem Stock, dem Dutt auf dem Kopf und der schrillen Stimme. Der Korrespondent mit dem französischen Akzent und dem beleuchteten Kugelschreiber. Die sportliche Weißhaarige, die so viele Leute kennt. Das Pärchen – sie mit tizianrot gefärber Lockenmähne, er dezent dahinter, eine intellektuelle Erscheinung. Männer, die ich für Frauen halte, Frauen, die auch Männer sein könnten – ich beobachte verstohlen, auf welches Klo sie gehen. Ungewöhnlich große Frauen, die wie verdiente Models aussehen, jedenfalls so auftreten. Auch die extravagante Fernöstliche ist wieder dabei, diesmal ganz in lindgrün gekleidet; nur der Eddie-Constantin-Hut, den sie auch im Kino nie ablegt, ist blaugrün. Ja, sie kann sich das leisten.
Auch der Bleiche mit den Hängebacken macht sich wieder breit. Die gleiche schwarze Lederjacke wie im letzten Jahr, die gleiche impertinente Blasiertheit. Einmal setzt er sich neben mich, oh Gott. Kommt zu spät, räumt im Dunklen meine Tasche auf den Boden und drückt mir meinen Schal in die Hand, kämpft sich dann mit seinem Ellenbogen die Armlehne zwischen unseren Sitzen frei, die sich zivilisierte Menschen durchaus teilen könnten. Dann lacht er hö-hö-hö über irgendeine Filmszene, dass der Sitz wackelt. Ich denke an seinen Zusammenstoß mit der Fernöstlichen vom letzten Jahr und mache mich schmal.
Nach dem Screening stehen die Rezensenten und Redakteurinnen immer gern noch ein wenig beieinander. Mit mir redet keiner – warum auch. Ich geh raus ins Treppenhaus, auf den nächsten Film warten.

Die Grenze zwischen Filmkunst und Entertainment ist eine Glaswand. Sie trennt das Arsenal im Basement des Sony-Centers von den Cinestar-Multiplex-Kinos im Rest der Kellerfluchten. Wenn man aus dem hochwertigen Film kommt und durch die metallene Tür zurück in die stahlgerahmte Schachtlandschaft des Sony-Gebäudes tritt, könnte man gleich weiterschlendern – über den roten Teppichboden mit den eingedruckten Textmustern, sich zwischen Popcorn-krümelnden, Cola-trinkenden, SMS-versendenden Menschen verlieren – wenn nicht die Glaswand wäre. Auf ihrer gebogenen Fläche mischen sich die Welten. Sie erlaubt, dass ich gucke, und zwingt mir dabei meinen eigenen Anblick auf: Wie ich dasitze und an meinem Brötchen kaue, in einen der sechs Ledersessel gequetscht, die mit den Sitzflächen nach innen aneinander gekettet und deshalb schwer zugänglich sind.
Gegenüber ist es noch leer; mittags sind drüben nur ein paar Angestellte unterwegs. Die Angestellten tragen schwarz. Schwarz in rotem Teppichland. Drüben ist alles Dämmerplüsch, diesseits ist alles Metall. Roste, Gestänge, Stahlseile bilden kubische Referenzen. Raum für sachkundige Gespräche nach strengen Filmen.
Auf dem Quader unter der Metalltreppe sitzt die Sportliche, macht sich Notizen und trinkt Kaffee aus einem Pappbecher. Der mit der schwarzen Lederjacke hat sein Gespräch mit der Pressereferentin beendet und tritt jetzt auch ins Treppenhaus. Er zieht ein Handy aus der Tasche und beginnt halblaut hineinzusprechen. Er stellt sich direkt neben mich vor die Glaswand. „Na? Wo bist du gerade?“ fragt er sein Spiegelbild. „Was machst du? Sehen wir uns nachher noch?“ Die Sportliche in seinem Rücken sieht kurz auf und schreibt dann weiter. Ich bin zum Weghören nur halbentschlossen. „Ich hab doch gesagt, dass ich nachher einkaufe“ – „Ach“ – „Nee“ – „Wieso? Wo hast du das gefunden?“ – „Ja, nee. Weiß nicht“ – „Ich dachte, ich hätte es weggeworfen“. Die Lederjacke guckt jetzt intensiv in die verdoppelte Welt vor sich. Auf der anderen Seite löst sich eine schwarz gekleidete Figur aus der dämmrigen Tiefe, eine junge Frau, die ein Handy in ihr dunkles Haar drückt. Sie nähert sich; ihre füllige Silhouette taucht in die Kontur der ebenso ausladenden Lederjacke. Sie stehen voreinander, mit nichts als der Glaswand zwischen sich. Er sucht ihre Augen in den Reflexen; aber sie schaut auf seinen Hals, vielleicht vertieft sie sich auch in die Spiegelung ihrer eigenen Augen.
Sie reden miteinander in stummen Gebärden, die Worte nehmen einen großen Umweg. Sie werden in Signale verwandelt, weitergeleitet an hohe Masten, auf denen die Krähen sitzen, von Telefongesellschaften den Sendefrequenzen zugeteilt und in die faltigen Tiefen der Hochhäuser zurück geschickt. Die Dunkle redet jetzt eine Weile mit schmalen Lippen und bitteren Mundwinkeln. Die Lederjacke antwortet: „Ich weiß wirklich nicht. Tumirleid. Ehrlich. Ich dacht wirklich, ich hätts weggeworfen.“ Was? Was hat er weggeworfen? Nein, er sagts nicht. Er scheint meine stumme Neugier jetzt wahrzunehmen und wandert ein paar Schritte nach links, die Schwarze mit ihm. Dann bleiben sie wieder stehen. Ihre Gesichter wenden sich zueinander. Ihre Blicke suchen sich, gleiten aneinander ab. Dann fragt die Lederjacke. „Un jetzt? Was machenwer jetzt?“ Sowas blödes! Die Dunkle dreht sich weg, lehnt sich erst mit der Schulter, dann mit dem Rücken gegen das Glas. Ihre Lippen sprechen stumme Wörter, die im bedruckten Teppichboden unter ihr versickern. Auch die Lederjacke dreht sich um. Sie lehnen aneinander, ohne sich zu berühren, ohne sich zu halten.
Das Gespräch geht weiter, keiner will sich als erster daraus lösen. Es geht dann doch wieder ums Einkaufen. Ich verliere das Interesse und blättere in den Pressemitteilungen zum nächsten Film. Nur als die Lederjacke ungeduldig wiederholt: „Ich sag doch, ich wusste nicht, dass das noch da war“, schaue ich noch einmal auf, weil jetzt vielleicht doch noch rauskommt, worum es geht. „Wieso hast du das überhaupt gefunden?“ Aha, ein Entlastungsangriff. Lässt sie sich einschüchtern?

Auf der anderen Seite der Treppe schieben sich die gläsernen Aufzüge an der langen Wand des Lichthofes herauf und hinunter. Manche mögen den Aufzug nicht. Von der Metalltreppe klingen Schritte. Die Sportliche blickt von ihren Notizen auf. Zwischen den Stahlseilen wird der französische Korrespondent sichtbar. Er schaut auf die halbierte und verdoppelte Szene auf der Glaswand. Er lächelt. Sein Blick gleitet weiter zu mir, die ihn betrachtet. Sein Lächeln erlischt; er sieht, dass ich sehe, was er sieht, aber er will es nicht mit mir teilen. Und er weiß auch nicht, dass hier zwei Königskinder telefonieren, die nicht durch ein tiefes Wasser, nicht durch eine Glaswand, sondern durch einen Riss im Vertrauen getrennt sind.

Eine Woche später wird der letzte Film der Perspektiven-Reihe in einem der Cinestar-Kinos gezeigt. Die andere Seite diesmal. Wer weiß, warum. Ich sehe vom Plüsch zurück in das Reich des Stahls. Es ist wie der Wechsel der Blickrichtung nach 1989: die Außenwelt der Innenwelt ist die Umstülpung der Erwartung.
Ein letztes Mal finden sich alle ein. Es gibt zu starken Kaffee und Säfte in Miniflaschen. Der Bleiche mit der Lederjacke steht vor dem Kaffeespender. Ich erkenne die schwarz gekleidete Frau neben ihm sofort wieder. Sie hat hier irgendeine Funktion. Der Bleiche geht ins Kino, um sich einen Platz zu suchen. Ich warte, um mich möglichst weit weg zu setzen. Er hat jetzt Bekannte getroffen, mit denen er in mauligem Ton Ansichten austauscht. An den Wänden des Kinos ziehen sich zwei Reihen von Schießscharten-großen, von innen beleuchteten Glaskästen entlang. Sie erinnern an die verspiegelten Fensterreihen in Supermärkten, hinter denen Marktleitung und Hausdetektive das Kundenverhalten beobachten. Die Dunkle ist jetzt auch in den Raum gekommen, sie redet mit der Moderatorin und klappt dann einen Kasten an der Wand direkt neben mir auf. Die Lederjacke kommt noch einmal herüber, stellt sich neben sie. Ihre Hände berühren sich flüchtig. „Habdichtotalgern“ flüstert er, als das Licht ausgeht.

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