Gemessen an der Einwohnerzahl verfügt Zürich mit circa 40 Badeanlagen über die höchste Bäderdichte der Welt. So fühlt sich das auch an, als wir durch die Wasserstadt Zürich schlendern. Alle paar (gefühlte) Meter gibt es sowohl an der Limmat als auch am Zürichsee, der wie eine Banane geformt und 42 km lang ist, Bademöglichkeiten. Flussbäder, Hallenbäder, Freibäder, Strand- und Seebäder. In der Vergangenheit gab es noch viel mehr Badeanstalten in Zürich, die inzwischen jedoch längst verschwundenen sind.
Da wo es keine öffentlichen Bäder gibt, wird “wild” geschwommen, was aber niemanden zu stören scheint. Ganz im Gegenteil. Die Zürcher scheinen nur ungern auf ihren täglichen “Schwumm” in der Limmat oder im Zürichsee zu verzichten. Nicht nur ihre Freizeit verbringen sie am bzw. im Wasser, auch in der Mittagspause lassen sie sich gern im Fluss treiben oder schwimmen im See, der fast überall zugänglich ist.
Zürich ist recht klein und kann gut zu Fuss besichtigt werden. Darüber hinaus ist das Verkehrsnetz – bestehend aus Tram, Bus und Schiff – sehr gut ausgebaut. Die Zürcher Bäder sind sowohl fußläufig als auch sehr schnell mit den vorhandenen Verkehrsmitteln, aber auch mit dem Fahrrad zu erreichen.
Die See- und Strandbäder sind alle ähnlich ausgestattet: Gitterschränke (heißen in Zürich Garderobenkästen), für die wir ein Schloss mitbringen müssen. Wie gut, dass wir noch rechtzeitig daran gedacht haben, unser Prinzenbad-Spindschloss einzupacken. Gemeinschafts-Umkleidekabinen gibt es selten. Stattdessen sind abschließbare Einzel-Umkleidekabinen und auch Einzelduschen vorhanden. Umkleidekabinen und Garderobenkästen können auch für die gesamte Sommersaison gebucht werden. Auch Badetücher, Bademäntel und Spindschlösser werden für den Tagesbesuch zum Verleih angeboten. Es ist also gar nicht notwendig, dass Schwimmzeug mit sich herumzuschleppen. Übrigens: Die Bäder-Jahreskarte kostet nur 240 Franken und die Saisonkarte ist mit 110 Franken sensationell günstig. Das Tagesticket ist in allen Sommerbädern für 8 Franken zu haben.
Alle Bäder, liebevoll von den Zürchern Badis genannt, sind funktional und praktisch ausgestattet – ohne Schnick-Schnack, aber piccobello sauber (auch noch am Abend). Alle von mir besuchten Bäder (und das waren nicht wenige, an manchen Tagen war ich dreimal pro Tag schwimmen) haben einen sicheren Zugang zum Wasser in Form von Treppen, Leitern und Geländern, und es gibt immer BademeisterInnen, die auch wirklich Ihrer Aufsichtspflicht nachkommen.
Aufgeteilt sind die Badis in einen Frauen-, in einen Männer- und in einen gemischten Bereich (für Frauen und Männer). Diese räumliche Einteilung wird nicht nur für die Umkleide- und Duschbereiche vorgenommen, sondern es gibt auch verschiedene Nichtschwimmerbecken entsprechend dieser Einteilung. Auch die vorhandenen Pontons folgen in der Regel dieser Geschlechtertrennung. Apropo Pontons: Diese im Zürichsee verankerten Schwimmplattformen sind nicht nur praktisch, um sich von einer Schwimmstrecke sonnenbadend oder mit anderen plaudernd zu erholen, sondern gewähren einem auch noch die allerschönste Aussicht auf die Alpen. Einige Becken haben über eine Art Falltür einen direkten Zugang zum See.
Allen Badis gemeinsam ist, dass sie nicht nur Schwimmbäder im klassischen Sinne sind – so wie wir es z.B. in Berlin gewohnt sind. Baden und Schwimmen ist in den Bädern nur eine von vielen möglichen Freizeitbeschäftigungen. Hier werden auch Yoga-, SUP- (Stand-up-Paddling) Kurse, Sauna und Massage angeboten. Abends finden regelmäßig Konzerte und Lesungen statt. Besonders spannend finde ich das Konzept, dass in jeder(!) Badeanstalt auch eine Bibliothek integriert ist und das Angebot wird gut angenommen. Auch in unserer Prinzenbad-Cafeteria gibt es eine kleine Bücherei. Wir wußten es immer schon… Richtig! Matze und Daggi sind der Berliner Schwimmbad-Zeit weit voraus.
Auch interessant: In allen Zürcher Badis wird von Mittags bis Abends ein Buffet angeboten, und auch ohne Schwimmbad-Eintritt kann hier gespeist werden. Besonders gut isst man im Mythenquai im Hiltl. Das Hiltl ist das älteste vegetarische Restaurant der Welt und ist seit 1897 in Zürichs Altstadt. Es unterhält eine schöne “Zweigstelle” im Srandbad Mythenquai.
Am Abend werden die Badis zur Bar. Hier treffen sich die Zürcher zum chillen, reden und flirten. Das Frauenbadi, dass tagsüber allein den Frauen vorbehalten ist, wird Abends zur Barfuss-Bar, die dann von Männern und Frauen nur barfuss besucht werden kann. Das Männerbad Schanzengraben wird nach Badeschluss zur “Bar Rimini”, die dann auch den Frauen Zutritt gewährt.
Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede zwischen den Fluss-, Frei-, See- und Strandbädern. Viele der Zürcher haben ein Lieblingsbadi. Nach dem Motto “Sag mir, wo Du baden gehst und ich sage Dir, wer Du bist”… Hier ein kleine Auswahl:
Das Frauenbadi, dass es seit 1888 gibt, liegt an der Limmat. Es hat zwei Schwimmbecken, die nicht einsehbar sind. Beide Becken werden zwar von dem Fluss (der Limmat) gespeist, besitzen aber eine Holzbohlen-Umrandung, auf denen sonnengebadet wird sowie Cafe, Bibliothek, einzeln abschließbare Duschen und Umkleidekabinen. Die Atmosphäre ist familiär und die Gestaltung des Bades liebevoll. Die Schönheit liegt bekannterweise ja oft im Detail. So auch hier im Frauenbad. Es gibt, um nur eines der vielen Beispiele zu nennen, Wäscheklammern, die mit den Namen der Stammgäste beschriftet sind. So kann das Badezeug auf gespannten bunten Wäscheleinen getrocknet werden. Der Nachteil des Frauenbadis ist, dass ich nicht hinaus in die Limmat schwimmen kann. Aber so ist das Schwimmen auch in einem geschützten Bereich möglich. Und damit meine ich jetzt nicht nur geschützt vor Männerblicken (was auch der Fall ist), sondern die Limmat ist ein Fluss, der an manchen Stellen eine sehr schnelle Fließgeschwindigkeit besitzt. Zudem gibt es dort viele Segel- und Motorboote.
Sich in der Limmat mit einem Schwimmsack oder auf dem Rücken mit dem Blick in den Himmel treiben zu lassen hat natürlich auch seinen Reiz. Besonders gut möglich ist das bei den Badeanstalten “Untere Letten“ und “Obere Letten“. Ich probiere die Badeanstalt “Obere Letten” aus. Ich laufe stadtauswärts und lasse mich anschließend mit meinem Wickelfisch die Limmat entlang treiben. Der Schwimmsack wird sofort vom Aufsichtspersonal als BaselFisch identifiziert. Stimmt, damit war ich auch zum Rheinschwimmen in Basel. Zum transportieren von Utensilien wie Badelatschen für den Weg zum Ausgangspunkt oder Wertgegenständen ist so ein Wickelfisch schon sehr praktisch. Manche lassen sich auch mit der Kleidung im Schwimmsack treiben, steigen irgendwo wieder aus dem Fluss und ziehen sich wieder an, um ihren Weg fortzusetzen. Auch eine Alternative zur Tram oder zum Bus.
Zum Festhalten ist der Schwimmsack im Flussbad “Obere Letten” nicht notwendig. Die Fließgeschwindigkeit der Limmat ist hier nicht besonders hoch. Das sieht in der Badeanstalt “Untere Letten” schon anders aus. Da geht es schon wesentlich wilder zu. Allerdings sind hier auch die pubertierenden männlichen Jugendlichen in der Überzahl, die sich mit lautem Getöse beifallerheischend von der Brücke in die Limmat stürzen. In der Badeantalt “Untere Letten” fällt mir die geniale Bestuhlung auf. Einfache, aber bearbeitete Holzpaletten, die im Geländer eingehakt sind, dienen als Liegestühle. In allen Badis, nicht nur hier, gibt es am Eingang mitnehmbare Aschenbecher aus Metall, die in den Rasen gesteckt werden könne. Nach der Nutzung werden sie einfach wieder am Eingang zurückgesteckt. Und? Sie werden dort wirklich benutzt!
Das Strandbad Mythenquai ist ein Familienbad am Zürichsee. Wie alle anderen See- und Strandbäder hat es mehrere Pontons. Darüber hinaus gibt es einen hohen Springturm, eine riesige Schwimmbad-Wiese, auf der es keine Unterteilung in Frauen, Männer und Gemischt gibt. Hier tummeln sich überall Familien mit Kindern. Wie zuvor schon erwähnt stammt das leckere, vegetarische Buffet vom Restaurant “Hiltl”.
Das Seebad Enge am Zürichsee würde ich als Hipster-Bad bezeichnen. Hier ist die Flirtrate m.E. höher als in den anderen Bädern.Vielleicht liegt das auch an den vielen jungen Menschen (Anfang bis Mitte Zwanzig) in diesem Bad. Zürich hat übrigens besonders viele junge EinwohnerInnen – so mein Eindruck. Im Seebad Enge gibt es noch zwei Besonderheiten.
Erstens: Einige Meter vom Schwimmbad entfernt steht im Zürichsee das Aquaretum, eine Wasserskulptur des Klangkünsters Andreas Bosshard, die den Rhythmus der Stadt wiedergeben soll. 12 Kugeldüsen spritzen Laminarstahlen in unterschiedliche Höhen (max. 35 m). Livesignale seismischer Aktivität (von der ETH-Erdbebenwarte aufgezeichnet) werden in immer neue Choreographien übersetzt. Abends werden die Strahlen von innen beleuchtet.
Die zweite Besonderheit betrifft das Schwimmtraining. Im Seebad Enge im Zürichsee sind zwei Schwimmbahnen mit Wettkampfleinen gezogen. Und da wird auch ordentlich trainiert und nicht nur gebadet. An beiden Enden der Bahnen sind Pontons mit Wand für die Wenden eingerichtet.
Seebad Utoquai (auch am bzw. im Zürichsee). Dieses Bad ist ein Szenebad mit Charme. An heißen Tagen wird es hier sehr voll. Neben einem gemischten Bereich (für beide Geschlechter), gibt es einen Frauen- und einen Männerbereich, die jeweils ein eigenes Nichtschwimmerbecken inklusive Seezugang haben. Auf den verschiedenen Dachterrassen sonnt man sich getrennt nach Geschlechtern. In Anlehnung an die erste Forderung der Jugendbewegung der Achtzigerjahre “Nieder mit den Alpen – freie Sicht aufs Mittelmeer” steht auf dem Türschild zum Seebad Utoquai “Freie Sicht aufs Mittelmeer”. Und in der Tat: Von der Eingangstür aus sehen wir direkt auf – nein, nicht aufs Mittelmeer, – sondern auf den Zürichsee.
Abends nach dem Badeschluss ist das Cafe mit einer schönen Terrasse und einem tollen Blick auf den Zürichsee und die Alpen gut besucht. Auch ein sehr sympathisches Bad. Die Wasserqualität ist jedoch wegen der vielen Wasserpflanzen nicht so gut, wie z.B. die des Strandbads Tiefenbrunnen.
Strandbad Tiefenbrunnen – auch ein Familienbad, aber nicht nur. Hier gibt es einen eigenen Bereich für Kinder, der von den anderen Schwimmwiesen weit entfernt liegt. Mitten im Zürichsee ist ein rundes Kinderbecken installiert. Dieses ist rundherum begehbar, so dass Eltern ihre Kinder im Auge behalten können. Im Strandbad Tiefenbrunnen ist der Panoramblick vom Wasser aus auf die Alpen besonders grandios. Das Bad liegt am Zürichhorn. Auf dem Stadtplan sieht es so aus als sei es nur mit einer langen Tramfahrt zu erreichen. Aber das täuscht. Auch bis hier sind es nur wenige Stationen von der Innenstadt bis zum Bad und mit dem Fahrrad geht es ruckzuck. Die Umkleideanlage ist großzügig gestaltet und es gibt mehrere Cafebereiche. Ausserdem ist die Wasserqualität hier besonders gut.
Die Zürcher Badis sind mehr als Schwimmbäder. Sie sind Wellness-Oasen, Spassbäder, Fitness-Studios, Restaurants, Cafes, Familienausflugsziele, Flirtzentralen, Treffpunkte für die Mittagspausen, Orte zum Reden und Erholen. Sie sind die Summe all dieser Möglichkeiten. Sie sind Kulturgeschichte – eine gewachsene, tradierte, Schweizer Badekultur im besten Sinne.
Wer aber nun glaubt, dass in Zürich das Schwimmtraining zu kurz kommt, der bzw. die irrt sich gewaltig. Trainiert wird in den Hallen- und Freibädern fleißig. Der Limmat Schwimmverein ist weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt.
Seeüberquerung, Limmat- und und Samichlaus-Schwimmen:
Die jährliche Seeüberquerung ist seit 1985 Tradition. Vom Strandbad Mythenquai bis zum Seebad Tiefenbrunnen sind es 1,5 Kilometer, die im Sommer schwimmend zurückgelegt werden.
Das Limmatschwimmen funktioniert ähnlich wie das Rheinschwimmen in Basel. Vom Frauenbadi, dass für das Limmatschwimmen ausnahmsweise auch für Männer geöffnet ist, lassen sich die TeilnehmerInnen mit einem Schwimmsack bis zum Flussbad “Obere Letten” treiben. Im Dezember gibt es das Samichlaus-Schwimmen. Von der Schifflände bis zum Frauenbadi sind es nur etwas mehr als 100 Meter. Aber in dieser kalten Jahreszeit ist dieses Eisbaden nur für die ganz taffen SchwimmerInnen. Ab und an werden die traditionellen Schwimm-Events auch zu einer Schwimm-Demo. Dann halten die im Fluss treibenden SchwimmerInnen, Transparente mit Botschaften hoch.
Thema “Verschwundene Bäder von Zürich” – Sehr lesenswert:
Der Artikel in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung) vom 28.7.2019 von Katja Baigger zu den Themen: Architektur der Zürcher Sommerbäder, von den Hygiene-, Gesundheits- und Moralvorstellungen, Geschlechterrollen und der Freizeitgestaltung in der Vergangenheit.
“Vom geheimnisvollen Tempel zur “Rattenbadi”: Das sind die verschwundenen Bäder von Zürich”
Und noch ein Buchtipp:
Das “Züribadibuch” von Tina Schmid
Fotografien, Illustrationen, Interviews mit amtierenden BademeisterInnen und Badegästen
Alle Fotos: ©Sigrid Deitelhoff