vonDominic Johnson 27.08.2010

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Wie inzwischen alle Interessierten gemerkt haben dürften, ist ein Bericht einer UN-Untersuchungskommission über Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo zwischen 1993 und 2003 vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt. Le Monde, The Guardian und BBC berichteten darüber, die taz in ihrer morgigen Ausgabe, und auf www.taz.de ist der geleakte UN-Report nachzulesen.

In den meisten Medienberichten wird allein der Vorwurf berichtet, wonach Ruandas Armee 1996-97 Massaker an ruandischen Hutu-Flüchtlingen begangen habe, die den Vorwurf des Genozids erfüllen könnten, sollten sie bewiesen werden. Es wurde sogar hier und da nahegelegt, die UNO werfe Ruanda Völkermord vor und die Vorwürfe seien neu.

Solche Berichterstattung ist eher ein Zeichen für das kurze Gedächtnis der Medien als eine akkurate Wiedergabe dessen, worum es der UN-Kommission ging. Offenbar entdeckt jetzt eine neue Journalistengeneration den Horror des ersten Kongokrieges 1996-97, der ja weithin in Vergessenheit geraten ist. Das ist gut so, aber man sollte diese Entdeckung dann nicht als objektiv neue Erkenntnis verkaufen.

Ruandas Regierung hat im Ansatz korrekt, wenn auch im Ton ziemlich überzogen, den Bericht deswegen empört zurückgewiesen. Der Grund: Manche interessierten Kreise scheinen den Bericht ganz explizit als willkommene Munition für ihren ideologischen Krieg gegen Ruandas Regierung nutzen zu wollen. Ihr Spin: Jetzt ist bewiesen, daß es nicht nur 1994 einen Völkermord an Ruandas Tutsi gab, sondern auch 1996-97 einen an Ruandas Hutu, verübt durch die RPF-Regierung Paul Kagames. Womit die Kagame-Regierung ihren moralischen Nimbus verliert und nicht besser dasteht als die Genozidregierung von 1994; womit dann auch die im Kongo kämpfende Nachfolgeorganisation der ruandischen Völkermörder, die FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), als ebenbürtig dasteht. Die FDLR sieht sich ja als Verteidiger der ruandischen Hutu-Flüchtlinge im Kongo und legitimiert damit den Umstand, daß sie ihre Waffen nicht niederlegt. Es gibt offenbar auf internationalen Bühne Leute, die nicht ruhen wollen, bis die Täter des Genozids an 800.000 Menschen rehabilitiert sind und mit weißer Weste wieder macht ausüben können.

Um dieses perfide Spiel zu durchschauen, ist es am besten, sich nicht mit den Artikeln der internationalen Medien zu begnügen, sondern den Report einfach selber zu lesen.

Es dauert, es sind über 500 Seiten. Aber es lohnt sich. Denn der Report ist viel reichhaltiger als die eindimensionale Berichterstattung über ihn. Es ging der UN-Kommission darum, eine Grundlage für Wahrheitssuche zu schaffen, die im Kongo selbst weiterentwickelt werden kann, am besten durch die Gründung einer funktionierenden Wahrheitskommission, „mit einer klaren Verpflichtung der Regierung, einem wirklichen nationalen Dialog und entschiedener Untestützung seitens der internationalen Gemeinschaft“, wie es heißt. Nicht Denunziation einzelner Verantwortlicher oder gerichtsfeste Beweise über einzelne Massaker ist die Devise. Sondern eine Basis zu schaffen, auf der über Tabuisiertes gesprochen werden kann.

Es läßt sich darüber streiten, ob der Bericht dieses hehre Ziel erfüllt. Er besteht zum Großteil aus einer simplen Aneinanderreihung von Tatsachenbehauptungen, für die als Quelle lediglich „Interview mit dem UN-Team“ angegeben wird. Die Analyse bleibt oberflächlich, eine Kontextualisierung einzelner Vorkommnisse findet nicht statt. Welche Art von Zeugen und Beweismaterial existieren, wird veschwiegen. Gesicherte Erkenntnisse und reines Hörensagen stehen auf einer Stufe.

Die Vorgabe ist zwar, daß zwei Quellen unabhängig voneinander einen Vorfall bestätigt haben müssen, damit er in den Bericht aufgenommen werden kann. Wer aber weiß, wie der Kongo funktioniert, weiß auch, daß es unter gewissen Umständen möglich ist, eine Lüge von Dutzenden von Menschen als Wahrheit erzählt bekommen zu haben, weil ein Gerücht von einer Person zur nächsten gewandert ist, und wie umgekehrt kein Mensch sich trauen wird, als erster zu einer allseits bekannten, aber verschwiegenen Wahrheit zu stehen. Die sechs Monate, die das UN-Team im Kongo verbrachten, bedeuten überdies rund zehn Zeugenbefragungen und vier bestätigte „Vorfälle“ pro Tag – viel zu viel für auch nur halbwegs vollständige Verifizierung.

Nichtsdestotrotz ist ein Anfang gemacht. Der Report liest sich in seinem historischen Zeil wie eine besonders düstere, in Teilen bis ins Mark erschütternde Geschichte des Kongo in den letzten 17 Jahren, seit dem Ausbruch der ethnischen Pogrome von Katanga und Kivu 1993. Und sein zweiter, politischer Teil ist eine sehr überlegte, genaue Analyse der Perspektiven von Wahrheitssuche, Rechtsstaatlichkeit und Versöhnung im Kongo. Es wäre wichtig, daß die darin enthaltenen Elemente ernstgenommen werden, in ihrer Gesamtheit, nicht selektiv für politische Propagandakriege mißbraucht.

Es bleibt zu hoffen, daß die UNO, wenn sie den Bericht tatsächlich veröffentlicht, dieser Aufgabe gewachsen ist. Man darf dies angesichts ihres bisherigen Wirkens im Afrika der Großen Seen bezweifeln. Das gilt leider auch für Medien, die auf die interessengeleitete, einseitige Selektion einzelner Passagen des Reports hereinfallen und sich nicht dafür interessieren, was den Kongolesen tatsächlich bei der Bewältigung unaussprechlicher Ereignisse hilft und ihnen einen Ausweg aus einer finsteren Vergangenheit weist.

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