vonDetlef Kuhlbrodt 14.02.2009

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Irgendwie … gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass ich möglicherweise doch ein Stabilisierungsprogramm für meine Psyche absolvieren sollte: um halb neun teilte mir die Berlinale e-mail mit, sollten also die Bärenpreise verkündet werden. Ich ging also um Punkt halb neun, noch bißchen erledigt und schlecht gelaunt nach der Niederlage gegen Bochum, auf die Berlinale-Preis-Seite. Auf der Berlinale-Preis-Seite stand: Silberne Apfeltasche für “Alle Anderen” “ex aequo” (so ein lateinisches Wort) “Gigante”; Silber auch als beste Darstellerin für Birgit Minichmary in der Gestalt von der Gitti in “Alle Anderen”.

Wo aber war Gold?

Zehn Minuten lang rief ich die Seite immer wieder auf. Alles blieb gleich. Offensichtlich hatte die Jury also darauf verzichtet, einen Goldenen Bären zu vergeben und dafür eben zwei Silberne. Ist ja schon einmal vorgekommen, wenn ich mich richtig erinnere.

Da es kein Gold gab, wäre also die höchste Filmauszeichnung an “Alle Anderen” gegangen.

Sofort vergaß ich den Nichtangriffspakt, den ich für mich mit dem Film und den eigenen mit-dir-rede-ich-nicht-du-bist-doof-Gefühlen, die er in mir provoziert hatte, geschlossen hatte.

Ich wurde sauer.

Ich wurde böse.

Ich wurde sehrrrrrrrrrrrrrrrrr böse!

Ich fühlte mich perönlich beleidigt.

Empört überlegte ich mir beleidigende Formulierungen, die ich dem Film entgegenschleudern würde  (“Kreativfickfrösche” , “Pärchenblödiane” etc.) und die sicher dann auch, weil sie so originell lustig-boshaft wären, von Spiegelonline übernommern und in die Einzelbewusstseine hineingetragen werden würden …. was dem Film reklametechnisch natürlich auch helfen würde, aber macht ja nichts …. ein paar Millionen würden sich den Film dann jedenfalls angucken und toll finden; ich würde klasse Abhandlungen dagegen schreiben, 379 User würden meinen aufgebrachten Argumenten folgen … und mit diesen 379 neuen Freunden, würde ich dann eine schöne Kommune gründen, wir würden Schach und Fussball spielen, abends rauchen und schöne Platten hören, manchmal in den Urlaub in schöne Gegenden fahren, vielleicht stände auch ein Trampolin im Garten und ich würde den Kindern beibringen, wie man Saltos macht, viel zu Lesen auf echtem Papier wäre auch dabei und alles wäre super … oder (während ich die Bergmannstraße Richtung  “Kaisers” ging: “das wird super! .. Ich kauf jetzt was Schönes zu essen und schreib nachher, dass ich aus Wut und Empörung darüber, dass alle Anderen wieder mal gewonnen haben, sofort mein Sofa zertrümmert hätte und überhaupt auch diesen Blog einstellen würde – Bäh! – .. nein, nein, es ist mir völlig egal, ob ich hier eine oder zwei Minuten an der Kasse stehe …mist, ist das doof!

Dann kam ich eben eben nach Haus; klickte auf die Berlinale-Seite. Auf der  Berlinale-Seite stand, dass

La teta asustada (The Milk Of Sorrow)

von Claudia Llosa

den Goldenen Bären bekommen hatte.

Ich freue mich richtig darüber!

“La Teta Austada” ist ein großartiger Film!

Meine Filmredakteurin hatte ihn mir gegeben; ich dachte erst, ohje, schon wieder so früh aufstehen; die Kurzzusammenfassung, … irritierte … auch etwa, oder ließ so etwas gutgemeint irgendwie Folklore-Mythisches vermuten.

Dann war es aber schön, mit allen anderen irgendwann einen Handytelefonwecker zu hören, zweimal auf snooze zu drücken, – (was für eine kranke Idiotenmusik man sich wieder ausgesucht hat) – dann aufzustehen und so; zur Arbeit in den Kinosaal zu fahren, wie privilegiert man doch ist; der schöne Berlinale-Trailer – und dann plötzlich.

Wegen solcher Filme, die so halb zufällig vorbeikommen liebe ich die Berlinale. In dem Film sind sehr große Schmerzen drin und der Tod auch, ganz wirklich und daneben, auch ganz ernsthaft und unbescheuert, sozusagen ganz emphatisch, Lebensmöglichkeiten, Glück; die Menschen finden zu beziehen sich aufeinander ich meine.

Es ist schon sehr existenziell.

Nach dem Film war ich ganz sprachlos und ergriffen gewesen.

Es ist ja auch so, dass einen der Tod im Film, der große Schmerz, die große Verletzung, wenn das wirklich ist, mit den eigenen Toten verbindet. Mit der Liebe ist es ja auch so. usw. Wenn nicht nur das Dargestellte, sondern immer auch etwas im Zuschauer, in einem selbst, dargestellt wird; und das kann man dann nehmen oder akzeptieren als Bild .. von Dingen, in denen man selber auch steckt und das hilf einem vielleicht irgendwie.

Ich hatte dann in der Zeitung drüber geschrieben.

Ich wunderte mich erst, dass die Regisseurin tatsächlich erst 32 ist, später kam’s mir wieder logisch vor;  es ist schon ein gutes Alter, um einen tollen Film zu machen … tolle Romane dagegen gelingen meist erst, wenn man über 40 ist. (Dostojewski war glaube ich 46, als er Schuld und Sühne schrieb; Rocko Schamoni war glaube ich 40, als ihm “Dorfpunks” gelang.)

Keine Ahnung, wie’s in der Jury war; ich stellte mir natürlich vor, dass Christoph Schlingensieff für “Milk of Sorrow” gewesen war, ich sah in ihm einen Repräsentanten meiner Sichtweisen bzw. menatlen Dispositionen in dieser Jury, die mich in den Jahren zuvor nie auch die Bohne nicht interessirt hatte.

Ich hab mich glaube ich noch nie so sehr über die verliehenen Preise bei der Berlinake gefreut. Auch darüber, dass ich so viele Preisträgerfilme gesehen hatte; der schöne argentinische lesbische Liebesfilm “El niño pez (The Fish Child)” von Lucía Puenzo, hatte ja den Goldenen Teddy bekommen und “My Suicide”, den gläsernen Bären in der Jugendfilmsektion, “Love Exposure” den Caligari-Preis, Sotigui Kouyate aus dem Film “London Bridge” war als bester Schauspieler ausgezeichnet worden.

Lustig auch, dass der Tiger von Kreuzberg, der an manchen Tagen seiner Berlinaleberichterstattung ein wenig ins Schlingern gekommen war, den Goldenen Bären richtig getippt hatte.

(“Jetzt sollten Sie aber in’s Bett gehen, Sie schwanken ja schon.” – “Alle anderen sind aber noch wach!” – “Und sonst sagst du immer, dass interessiere dich nicht und sei doof, was alle anderen machen.” –  “Ich will aber eine Levis-Jeans!!!!” (stampft auf den Boden und freut sich darauf, gleich mit dem Kopf gegen die Hauswand, …. zu poltern)

Zwischen Sofa und Bett stolperte ich im Fernsehen über allerlei Preisverleihungsberichte und machte einen Boxenstop bei der Teddy-Preisverleihung, auf arte glaube ich. Alles war sehr gut; der Auftritt von Nina Hagen, die kluge Rede von Wieland Speck;  John Hurt beeindruckte mich auch sehr.

Irgendwie ist es schon ein bißchen, als wäre Schalke plötzlich doch noch in der völlig kryptischen Nachspielzeit Meister geworden. Also …

Huhu!

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