Von einer Reise zurück, nahm ich den Hörer ab und erschrak.
„Du gemeine rote Ratte, wir kriegen dich!“.
Eine mir unbekannte männliche Stimme sprach mich an. Nach fünf Anrufen, von unterschiedlichen Stimmen gesprochen, nahm ich Kontakt mit meinen Anwalt auf. Wir vereinbarten kurzfristig für den nächsten Tag einen Termin. Dem Anwalt machte es Spaß, mich in meinen künstlerischen Aktivitäten zu vertreten und er nahm daher kein Honorar von mir. Oft handelte es sich um Zensurfälle, Ermittlungsverfahren und Beschlagnahmungen.
Einen von FJ Strauss angestrengten Prozess konnte der Anwalt im Vorfeld klären, allerdings durch Zahlung einer hohen Summe meinerseits an den Anwalt von Strauss. Aber diese Summe war wesentlich weniger als das, was mich eine Auseinandersetzung in einem gerichtlichen Prozess gekostet hätte. Der Anwalt freute sich diebisch, wie er mir erklärte, zwischen seinen alltäglichen Fällen so einen prominenten Gegner wie Strauss zu haben.
Am nächsten Tag, bevor ich zum Anwalt ging, lag ein Schreiben in meiner Post vom Nordrhein- Westfälischen Innenministeriums, mit dem Inhalt, dass ab sofort meine Lehrtätigkeit an der Fachhochschule für Design und Fotografie in Bielefeld abgesetzt sei, unterschrieben vom Ministerpräsidenten Johannes Rau.
Ich nahm das Schreiben mit zum Anwalt. Der Hintergrund der Anrufe wurde durch das Schreiben klar. Ich hatte vor einem halben Jahr eine Postkarte mit einer Fotomontage
entworfen und in Eigenregie gedruckt und vertrieben. Das Motiv stellte einen Arbeiter da, der eine Grasnarbe hochhebt und mit einem Besen den Oberkörper eines Mannes (Schleyer) unter die Grasnarbe schiebt, gleichzeitig mit einigen Firmensymbolen wie Deutsche Bank, VW ua. Die Postkarte hatte keinen Text. Der Anwalt klärte mich auf, dass es eine bundesweite Fahndung nach dieser Karte gebe und ich am besten gleich wieder dahin fahren sollte, wo ich hergekommen war.
Ich hatte einige schöne Wochen in Portugal verbracht, dachte aber eher an einen Scherz. Chantr´e war das Leib und Magengetränk des Anwaltes und eine Flasche stand immer griffbereit. Aber er war nüchtern und meinte es ernst.
„Verreisen Sie gleich wieder, wenn Sie nicht können, verdunkeln Sie Ihre Wohnung und ändern Sie den Namen an ihrer Türklingel. Sie leben zur Zeit gefährlich. Mit den Anrufern ist nicht zu spaßen.“
Die Anrufe kamen aus dem rechten Spektrum. Die Bild-Zeitung hatte das Motiv aufgegriffen und mich verdächtigt, zur ` Entführung Schleyers durch diese Postkarte aufgerufen zu haben.
Ich hatte von den verschiedenen Vorgängen durch Abwesenheit nichts mitbekommen. Auch der Lehrentzug an der Bielefelder Fachhochschule war auf die Veröffentlichung der Karte zurückzuführen. Manchmal reagiert die Bürokratie sehr schnell. Schleyer befand sich noch in den Händen der Terroristen, niemand wusste wo er war und was passieren würde. Der Krisenstab, zusammengesetzt aus den wichtigsten Politkern der drei Parteien SPD, CDU und FDP ließ bundesweit mit schwerbewaffneter Polizei und mit einem neuen Verfahren, der sogenannten Rasterfahndung, nach Schleyer und den Entführern suchen. Sie gingen dabei nicht zimperlich vor, kontrollierten überfallartig Wohnungen, hielten unvermittelt Autos auf Autobahnen an und kämmten jeden verdächtigen Winkel durch. Dabei waren schon einige unschuldige Opfer zu beklagen, die sich zufällig in einer observierten Wohnung aufhielten und im Kontext aufgeregter Fahndungen erschossen wurden. In dieser aufgeheizten Atmosphäre riet mir mein Anwalt mich „In Luft aufzulösen, falls das möglich sei“.
Ich erinnerte mich an diese Zeit aus der Mitte der 70er Jahre, als die ersten Vorbereitungen für eine umfassende RAF Kunstausstellung in den Berliner „Kunstwerken“ in den Medien bekannt wurden und schon im Vorfeld für Schlagzeilen sorgten. Dreißig Jahre nach den Selbstmorden der Terroristen in Stammheim entzündete das Thema RAF immer noch heftigste Diskussionen. Auf diese Schlagzeilen kam es mir nicht an, ich wollte sehr gern an dieser Ausstellung beteiligt sein, weil es die erste umfassende Kunst-Ausstellung zum Phänomen RAF werden sollte und eine Vertiefung der Fragen nach dem Warum versprach. Ich hatte zum Thema genügend Arbeiten in den letzten Jahren entworfen und dachte auch daran, die damals inkriminierte Postkarte mit Schleyer auszustellen.
Doch wie kommt man in eine Ausstellung, wenn man zur Spitze der Führung der Kunstwerke keinen Kontakt hat? Es war klar, ich brauchte Vitamin B und überlegte, wie ich in den Dunstkreis der Ausstellungsmacher kommen könnte. Ein Freund kam mir in den Sinn, der sich in der Szene gut auskannte, selbst einige Performances gemacht hatte und der zum Chef der „Kunstwerke“ „einen guten Draht hat“, wie er es nannte und sich anbot, auf einer Party, in einem günstigen Augenblick mit ihm sprechen.
Als zweite Vitaminspritze kontaktierte ich einen Bekannten, der wiederum einen der führenden RAF Kenner kannte. Dieser gehörte selbst nicht zur Terroristengruppe, hatte jedoch etliche Elaborate über die RAF und die 68er Bewegung veröffentlicht. Da er auch für den theoretischen Überbau der Ausstellung in den Kunstwerken engagiert worden war, hatte ich durch ihn einen direkten Kontakt zu den Entscheidern der Ausstellung. Ich schickte diesem Experten Unterlagen meiner Arbeiten und er versprach sich für mich stark zu machen.
Schnell war ein Termin gemacht und jetzt sitzt die Kuratorin der Ausstellung mit ihrer Assistentin in meinem Atelier und trinkt Tee.
Ich hatte mich auf die Begehung vorbereitet. Als die beiden Frauen in der Tür standen, war ich überrascht. Beide machten einen jugendlichen Eindruck und später konnte ich das Alter der Kuratorin erfahren. Sie war 26 Jahre alt. Das Alter verunsicherte mich, 26 Jahre. Sie war noch nicht geboren, als Baader sich in Stammheim erschoss.
Ich zeigte meine Überraschung und sagte, ich hätte eine etwas jüngere Tochter, die sich vor einigen Jahren meine gesamte Literatur zum Thema RAF ausgeliehen und mich mit Fragen bombardiert habe. Dann präsentierte ich die inkriminierte Postkarte aus dem Jahr 1977
und erzählte ihren Hintergrund. Zur Vertiefung des Themas gab ich den Kuratorinnen eine
Original – Postkarte und ein Buch mit auf den Weg, in dem ein ausgesprochener Kenner der RAF-Szene, Stefan Aust, über meinen damaligen Zensurfall schrieb. Dann führte ich sie in meinen Atelierraum, zeigte diverse kritische Plakate und Fotomontagen aus den 70er und 80er Jahren und leitete über zu den großformatigen Erinnerungsbildern meinen „Eingebrannten Bildern“, wie ich sie nannte und an denen ich seit Anfang der 90er Jahre arbeite.
Nach dieser Vorführung verabschiedeten sich die Kuratorinnen mit den Worten, sie werden der Konzeptgruppe von ihrem Besuch berichten.
Ich hörte vier Monate nichts.
Als mir im fünften Monat nach dem Atelierbesuch mein Performance- Freund, der mit dem Chef der „Kunstwerke“ einen Kontakt machen wollte, über den Weg lief, schnitt ich bei
einem Latte Macchiato das RAF-Thema an.
„Ich bin an den großen Meister der Kunstwerke noch nicht ran gekommen“, sagte er mir.
„Und ich habe nichts erreicht. Zwei Kuratorinnen waren bei mir im Atelier und, du glaubst es nicht, keine Nachricht, kein Buch, keinen Katalog zurück, einfach nichts. Ich bin ins Grübeln gekommen, kann mir keinen Reim auf die Null-Reaktion machen.“
„Hattest du den Pullover an, den du gerade an hast?
„Ja, wieso?“
„Du glaubst gar nicht, was alles ein Faktor spielt. Wenn die den Pullover sehen, mein Gott beige, wie kannst du nur- dann bist du schon unten durch. Sag mir beim nächsten Termin
Bescheid. Ich zeige dir, was du anziehen sollst.
Siehe aktuell auch „RAF-Pflege. Blog vom Aushilfshausmeister.