Wenn die taz andere Leute einlädt, um das Blatt zu befüllen, dann ist das immer ein Experiment. Als die „Lieblingsfeinde“ Kai Diekmann (Bild-Chefredakteur), Jürgen Fliege (Fernsehpfarrer) und Rudolf Scharping (SPD) die taz für einen Tag übernehmen durften, kam unter anderem ein Interview mit Helmut Kohl dabei heraus. Diesmal konnten 20 mehr oder weniger erfahrene Jungjournalisten vier Seiten in der taz ganz nach eigenem Gusto gestalten – und wieder ist das Ergebnis einigermaßen überraschend.
Eigentlich war das Thema fest vorgegeben: „Wer hat Angst vor Schwarz-Gelb?“ Wir hatten uns wohl vorgestellt, die jungen Leute würden dort über die Nachteile der neuen Regierung schreiben und die benachteiligten Zielgruppen durchdefinieren. Aber nichts da, antworteten die Teilnehmer: Angst vor Schwarz-Gelb? Wir doch nicht!
In dem Editorial stellt der Nachwuchs klar: „Selber schreiben heißt selber denken.“ Als Journalist in spe seien sie keine Dienstleister für die von der Redaktion erwarteten Inhalte: „Autoritäten sind irgendwie bäh.“ Ok, wir haben verstanden!
Andererseits – zeigt nicht gerade diese Widerborstigkeit den Erfolg des Experiments? Schließlich heißt es in der Eigendarstellung der taz-Akademie, die zu unserer Panter-Stiftung gehört und sich über Spenden und Zustiftungen finanziert, man wolle „die Erfahrungen und Überzeugungen aus dreißig Jahren taz-Unabhängigkeit weitergeben“. Und Respektlosigkeit gehörte schließlich immer schon zu dieser Zeitung.
Bevor es an die Rebellion ging, stand aber noch die Theorie auf der Tagesordnung des Seminars. Arno Luik (Ex-taz-Chefredakteur, jetzt beim Stern) sprach über die Kunst, ein gutes Interview zu führen: Gute Vorbereitung und immer gleich die wunden Punkte ansprechen. Sein Stil zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er viel mit Behauptungen statt mit Fragen arbeitet und das Gespräch als Kampf mit offenem Visier versteht.
Das verstehe er als Aufgabe der Presse als vierter Gewalt, sagte er. Er wolle Aufklärung schaffen, die Leser unterhalten und sein Gegenüber dazu bekommen, sich selbst zu demaskieren, was er an zahlreichen Beispielen aus seinen Interviews der vergangenen Jahren und Jahrzehnte erläuterte. Eine kleine Reise in die Geschichte gab es auch beim Workshop zur „Ethik des kritischen Qualitätsjournalismus“. Die taz-Urgesteine Michael Sontheimer (heute beim Spiegel) und Ute Scheub (inzwischen Freie Journalistin) konnten das Thema mit zahlreichen Anekdoten aus ihrer langjährigen journalistischen Erfahrung lebendig machen.
Auf den Redaktionskonferenzen verhandelten die 20 Teilnehmer, welche Artikel sie auf ihre vier Seiten bringen wollen. Dabei begleitete die Referentin Elisabeth Schmidt-Landenberger den Entstehungsprozess der Texte mit vielen Tipps. Ein paar ihrer Grundregeln: Adjektive vermeiden! Starke Verben verwenden! Den Leser (gerade am Textanfang) nicht ins kalte Wasser werfen!
Und das ist dabei unter anderem herausgekommen: Ein Porträt von fünf ungewöhnlichen FDP-Wählern, ein Text über herzblutlose neue Protestformen wie Flashmobs, ein Interview mit einem Rhetorik-Professor über die gescheiterte Kommunikationsstrategie der SPD und ein Interview mit der Juso-Vorsitzenden Franziska Drohsel über die Grenzen zivilen Ungehorsams beim Protestieren. Die gesamten vier Seiten gibt es auch als PDF zum Download.