vonlorenz bode 01.11.2024

Rechtschaffen

Gedanken übers Strafrecht. Wie es ist, wie es sein kann und wie es sein soll.

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Derzeit wird viel über die mutmaßlichen Vorfälle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen gesprochen – und darüber, dass es (auch) hinter Gittern keine Folter geben darf. Die Justizverwaltung prüft, die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Politik zeigt sich wahlweise empört oder überrascht.

Dabei ist – aus grundgesetzlicher Sicht – glasklar: Auch die Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Gefangenen verstößt gegen die Menschenwürde. Denn nach Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ist diese nicht nur unantastbar, sondern die Unantastbarkeit betrifft alle  Menschen – egal, ob sie in Haft sind oder in Freiheit. Mehr noch: Alle staatliche Gewalt, also auch die Leitung einer JVA, wird durch Absatz 1 verpflichtet, die Menschenwürde „zu achten und zu schützen“.

Menschenwürde in Theorie und Praxis

So weit die Theorie. Die Praxis ist gewiss eine andere. Verstöße gegen die Menschenwürde gibt es im Vollzug immer wieder. Das muss nicht gleich Folter bedeuten. Auch zu kleine oder überbelegte Hafträume können Ursachen für einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes sein. Die Rechtsprechung – allen voran das Bundesverfassungsgericht – mahnt immer wieder die Wahrung und Achtung der Menschenwürde im Vollzug an. Exemplarisch genannt seien hier zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die erste stammt aus 2010. Dort heißt es in eindrücklichen Worten:

„Die von Artikel 1 Absatz 1 GG geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt (…), verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen (…). Dies gilt auch insoweit, als die Unerträglichkeit der Verhältnisse im Haftraum durch Verhaltensweisen anderer Gefangener bedingt ist, und betrifft auch mit physischem oder verbalem Kot beschmierte Haftraumwände.“

Zudem stellten die Karlsruher Richter in einem Beschluss im März 2016 fest, dass die „dauerhafte Unterbringung in einem Haftraum mit einer Größe (…) von etwa 4,5 m²“ ein Verstoß gegen die Menschenwürde wäre.

Wenn also neue Vorfälle bekannt werden, wie hier der Foltervorwurf gegen Bedienstete der JVA Gablingen, dann ist das leider vor allem eines: nichts Neues. Das klingt im ersten Moment zwar bedrückend. Und das ist es auch. Wer aber die vollzugliche Praxis kennt, der wird zugeben müssen: Auch im Jahr 2024 sind wir noch weit davon entfernt, dass würdelose Zustände der Vergangenheit angehören. Wenngleich einiges noch ungeklärt ist, gerade der aktuelle Vorfall aus Bayern zeigt, dass wir die Menschenwürdegarantie im Vollzug als zentrale Schutzvorschrift weiterhin brauchen.

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