Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Sie kostet den Staat jährlich viele Milliarden Euro. Steuerhinterziehung ist vor allem die Sache von reichen Einzelpersonen. Sie muss wirksam bekämpft werden. Ob das jedoch gelingt, darf aktuell bezweifelt werden.
Cum-Ex-Skandal
Schauen wir auf das Beispiel des Cum-Ex-Skandals. Er steht für Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe und für das strafbare Geschäftsmodell, sich eine nur einmal einbehaltene Steuer zweimal auszahlen zu lassen. Cum-Ex steht aber auch für Maßlosigkeit, Rücksichtslosigkeit, für Gier und eine ohnmächtige Steuerverwaltung. Für wen das übertrieben klingt, hier die Worte des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. 2021 erklärte es im Rahmen einer Haftbeschwerdeentscheidung zu Cum-Ex, der Beschwerdeführer sei dringend verdächtig, „gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrügereien verbunden hat, den deutschen Steuerzahler um ca. 113 Mio. EUR betrogen (…) zu haben.“ Begriffe wie „Betrugsbande“, „Lügengebäude“ und „Machenschaften“ lassen zudem aufhorchen. Sie haben mit dafür gesorgt, dass dieser Beschluss zur Haftbeschwerde in der Fachwelt kritisch aufgenommen wurde.
Bei aller berechtigten Kritik über die sprachliche Gestaltung muss man jedoch eines hervorheben: Es ging in dieser Entscheidung um niemand Geringeren als den sogenannten Erfinder des Cum-Ex-Modells, nämlich den zwischenzeitlich in die Schweiz ausgewanderten Steueranwalt und ehemaligen Finanzbeamten Hanno Berger. Zwar wurde Berger schließlich nach Deutschland ausgeliefert und verurteilt, Cum-Ex bleibt dennoch ein Skandal. Die erhoffte Aufklärung und konsequente Strafverfolgung wird man heute eher als gescheitert ansehen müssen. Mehr noch: Die frühere Cum-Ex-Ermittlerin und ehemalige Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker prägte im Interview vom 1. Oktober 2024 mit der Wirtschaftszeitschrift „Capital“ folgenden Satz: „Klar finden die Geschäfte noch statt.“
Besonders kriminelle Energie
All das macht nachdenklich und manche redliche Steuerzahlerin und manchen Steuerzahler gewiss wütend. Denn es geht um Steuergerechtigkeit und letztlich um die Finanzierung unseres Sozialstaats. Dabei zeigt sich bei Cum-Ex eine besonders kriminelle Energie: Es wird nicht nur dem Steuerstaat eine Einnahme vorenthalten, indem der Täter über seine Steuerpflicht täuscht, sondern dem Staat wird vielmehr aktiv Steuergeld entzogen, indem der Täter einen Anspruch auf Vergütung vorspiegelt. Wie also umgehen mit Steuerhinterziehung?
Zunächst muss man anerkennen, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung – allein aufgrund der immer komplexer werdenden Wirtschaftsstrukturen – kein leichtes Unterfangen ist. Verschiedene Maßnahmen werden bereits ergriffen. Laut Bericht des Bundesfinanzministeriums etwa wurde „2019 eine ‚Sondereinheit gegen Steuergestaltungsmodelle am Kapitalmarkt‘ beim Bundeszentralamt für Steuern gegründet, um gezielt und effektiv für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen“.
Homo oeconomicus abschrecken
Mein ergänzender Vorschlag lautet: Abschreckung. Und zwar durch eine Eindämmung der Möglichkeiten zur Strafverschonung. Meine These dazu: Täterinnen und Täter einer Steuerhinterziehung – mögen sie nun Hoeneß, Schwarzer oder Berger heißen – sind regelmäßig reiche Einzelpersonen, die sich ähnlich dem sogenannten Homo oeconomicus verhalten, die also vorwiegend rational Kosten und Nutzen ihres Verhaltens abwägen. Werden die Kosten dabei zu hoch, sehen sie von der Tat ab beziehungsweise schrecken davor zurück. Zu diesen Kosten gehört das Verurteilungsrisiko. Dieses lässt sich ohne großen gesetzgeberischen Aufwand erhöhen. Und zwar dadurch, dass man die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren – kurz RiStBV – anpasst. Die RiStBV entfaltet als Verwaltungsvorschrift zwar keine unmittelbare Außenwirkung, ist aber für die Staatsanwaltschaften bundesweit bindend.
Paragraf 370 der Abgabenordnung regelt die Steuerhinterziehung. Dazu ließe sich eine eigene Nummer in die RiStBV mit der Vorgabe einfügen, dass Verfahren wegen Steuerhinterziehung nicht mehr aus Opportunitätsgründen, also nach den Paragrafen 153 ff. der Strafprozessordnung, durch die Staatsanwaltschaft eingestellt werden dürfen. Das bedeutet: Diese Steuerstrafverfahren landen häufiger vor Gericht. So wird – zumindest mittelbar – das Verurteilungsrisiko (Stichwort: Kosten) erhöht beziehungsweise es werden die Möglichkeiten zur Strafverschonung eingedämmt. Einigen potenziellen Steuerstraftätern dürfte dies dann hoffentlich schlicht „zu teuer“ sein.