von 24.05.2011

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Sonntag früh. Sommer und Sonne. Glocken. Kaum Verkehr. Die Händler bauen die Mützenstände auf. Die Akkordeonspielerin ist noch nicht eingetroffen. Das tazmobil bedient bereits. Die Kollegin sitzt schon am Platz und der Saal ist nicht ganz voll. Der dritte Marx- Tag.

Der Unternehmer, der gestern die Botschaft von Professor Rosa erhielt und annahm, fragt, warum die Zivilgesellschaft dieses andauernde endlose Reden bezahlt. Er sei Vorachtundsechziger. Natürlich gehe es um Veränderung. Unbestritten sei die Not, die Schöpfung zu bewahren. Er habe in vielen Positionen gearbeitet, auch erhebliche Macht gehabt und sie für Veränderung eingesetzt. Und jetzt, auf einmal, wieder drei Marxtagungen in Berlin. Aber nur Reden.

Honneth redet nicht über Ausstieg, sondern über Marx´ vertane Chancen. Wenn er bei seinem Vor – „Kapital“- Prinzip geblieben wäre: Da seien die historisch wirklichen Kämpfe auch historisch offen dargestellt. Kapitalisten und Arbeiter als bunte Haufen unterschiedlicher Prägung mit klammernden Zusammenhängen zusammenhalten. Alle Formen von Verhandlungen bis Kampf mit wechselnden Strategien und Erträgen. Wahrhaftige Ereignissen mit unterschiedlichen Verläufen, gegenseitigem Lernen und Reagieren. Sieg und Niederlagen auf beiden Seiten und einer hohen Dynamik. Und dann das Hauptwerk wie ein Guss: Alle Geschichte sei in den logischen Begriffen untergegangen. Ware, Wert, Verwertung als Ersatz für Personen, Verhältnisse, Kämpfe. Nur ein überwältigender, nicht aufhaltbarer, alles übergreifender anonymer Sieger – Profit. Nur eine sich entfaltende Niederlage: Krisen. Nur ein Ausgang aus dem geschlossenen Zirkel: Totengräber und Schlacht.

Die Realität zählt

Hartmut Rosa ist Honneth- Schüler. „Ich verehre ihn“, erklärt er, „aber das teile ich nicht. Das habe ich so nicht gelesen.“ Was hätten wir mit Marx gewonnen, wenn er weiter Entwicklung an lebendiger Geschichte gezeigt hätte, fragt Honneth. -Was wäre, wenn, interessiert mich nicht, wirft meine Kollegin ein. Was machen wir jetzt, mit und ohne ihn, so wie es ist.- Wir hätten, erklärt der Frankfurter weiter ungerührt, Arbeitergenossenschaften als wirkliche Alternative mindestens für eine Zeit nehmen können und nicht als bloßen Irrweg verreißen. Wir hätten erkennen können, dass es nicht nur zufällig, sondern als Teil der „Gesellschaftskonstruktion“ immer wieder Möglichkeiten zur Veränderung gibt. Wir hätten die Erfahrung übermittelt bekommen, dass auch Ökonomie nie ohne Institutionen gedacht werden kann, wenn sie begriffen oder gar beeinflusst werden will.

Aber warum haben wir, die späten Nach- Denker,  ohne weitere Krücken von Marx das nicht selbst herausfinden können in den nachfolgenden 100 Jahren? Und warum sind wir seinem Verriss der linken Abweichler und alternativen Experimente gefolgt? Und warum haben wir aus der für ihn „verständigen Abstraktion“ keine für uns Spätere verständliche machen können – oder ihn einfach beiseite stellen? Da ist es doch ein Glück, dass die Steuerzahler der Zivilgesellschaft in Deutschland das „unnütze Reden“ auf solchen nachholenden Kongressen bezahlen, sage ich mir. Der Gegenüber hört es und nickt. Die Chance hat die Deutschen Forschungsgesellschaft nicht vertan. Sie hat für Re- Thinking Marx gezahlt.

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