Photo: eifelstern.com
Bei den meisten Krimiautoren, die sich um authentische Atmos und Dialoge bemühen, kommt mindestens einmal der Ausdruck „nicht wirklich“ vor. Er bezeichnete einmal etwas Irreales, nicht Existierendes, jetzt ist es ein Geschmacksurteil bzw. eine -verrirung- z.B. auf die Frage: war der Film, das Buch gut?: „nicht wirklich“ Dem gegenüber stehen dann „wirklich gute Filme/Bücher“. „War es Ute Lemper oder Désirée Nosbusch – eine unserer heimatvertriebenen Broadway-Heroinen jedenfalls muss dieses neudeutsch-amerikanische ‚Nicht wirklich‘ in unsere Talkshows eingeschleppt haben“, meint „Die Zeit“ und vermutet: „Nicht wirklich könnte die lakonische Formel für ein verbreitetes Lebensgefühl sein in einer virtuellen Welt. Für cooles Einverständnis mit einem System verkaufsfördernder Täuschungen und Selbsttäuschungen.“
Zu diesem ganzen US-Komplex erschien soeben ein neuer Roman – von Jacques Berndorf: in seiner Reihe „Eifel-Krimis“. Der dort lebende Journalist gehört zu den erfolgreichsten deutschen „Regionalkrimi“-Autoren. Ein in den Achtzigerjahren aufgekommenes Genre, das inzwischen Anschluß an das touristische Standortmarketing fast aller deutschen Gebietskörperschaften gefunden hat. Dadurch dass zwischen dem einen und dem anderen Mord die Landschaft und die Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Region geschildert werden, bietet diese „Fiction“ neben „spannender Unterhaltung“ auch noch reale Orientierung“ in einer bis dahin unbekannten Urlaubsregion, zugleich aber auch, für die Einheimischen, ein Wiedererkennen und -finden. Der Krimiautor Berndorf, „Eifelliteratur-Preisträger 1996“, veranstaltet sogar Gruppenführungen zu seinen „Tatorten“. 2007 wurde ihm vom Ministerpräsidenten Kurt Beck der Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz verliehen.
Der ehemalige Gerichtsreporter Jacques Berndorf heißt eigentlich Michael Preute, aber Krimiautoren schreiben oft unter Pseudonym, das resultiert noch aus Zeiten, da Autoren der Hochliteratur heimlich und unter falschem Namen (triviale) Pornos publizierten. Berndorfs Ermittler in der Eifel heißt „Siggi Baumeister“ und ist gleich ihm Journalist und Pfeifenraucher. Wikipedia listet inzwischen 20 „Eifel-Krimis um Siggi Baumeister“ auf. Der letzte wurde soeben in der Mainzer Staatskanzlei vorgestellt – vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten persönlich. Er kommt darin nicht nur selbst vor, wenn auch ebenfalls nur unter Pseudonym, es geht darin auch um sein „aus dem Ruder gelaufenes“ 330-Millionen-„Baby“ „‚Elebniswelt‘ am Nürburgring“: eine „Affäre“, die bereits dem SPD-Finanzminister Ingolf Deubel das Amt kostete. In dieser Hinsicht kann der Krimiautor Berndorf den „Krimi-Fan“ Kurt Beck mit seinem neuesten Krimi „Die Nürburg-Papiere“ jedoch beruhigen: Sein Siggi Baumeister erfährt darin, dass der Skandal dem Ministerpräsidenten beim Wahlvolk kaum schaden werde. Kurt Beck selbst sagte auf der Buchvorstellungs-Pressekonfernz in der Mainzer Staatskanzlei, dass das gerade vorgelegte Gutachten des Landesrechnungshofs zum teuer gescheiterten Projekt „Erlebniswelt am Nürburgring“ nichts Neues und somit auch – im Gegensatz zum neuen Eifel-Krimi von Jacques Berndorf – nichts Spannendes enthalte, obwohl dieser darin auch bloß das Gutachten des Landesrechnungshof verarbeitet hatte. Ein Zitat daraus stellte er seinem Roman als Motto voran: „Berater waren beauftragt, die Gesellschaft für Beratungen mit anderen Beratern zu beraten.“
Junges Boxenluder vor alten Nürburgring-Pollern. Photo: Peter Grosse
Alter Tennisstar als neuer Nürburgring-Botschafter (Honorar: 500.000 Euro). Photo: rundschau-online.de
Den Eifel-Autor interessierte schon lange dieses 1927 mit ABM-Kräften durch den Wald geschlagene „Gottesgeschenk“ für die damals noch grottenarmen Eifler. So erwähnt er bereits in seinem Krimi „Eifel-Schnee“, in dem es um die Versorgung der dortigen Jugend mit Rauschgift geht, dass er, d.h. Siggi Baumeister, eines Abends beim Wirt des Restaurants „Periferia“ in Adenau einkehrte – und dass der ihm „die letzten Neuigkeiten vom Nürburgring“ erzählte, „jene Neuigkeiten, die in keiner Zeitung stehen.“ Zu dem Zeitpunkt – 1996 – gab es noch nicht einmal einen Plan für die „Erlebniswelt Nürburgring“. In seinem neuen Krimi nun, „Die Nürburg-Papiere“, hat Berndorf, für den die bereits geschaßten sowie die immer noch weiter am (unfertigen) „Ring“ Geld verpulvernden Planer und Berater im Grunde alles „Wahnsinnige“ sind, aus ihren komplizierten Finanz-Transaktionen kurzerhand Leichen gemacht: Morde. Dadurch hat er dieses Eifel-Projekt aber eigentlich deregionalisiert, denn Tote gab es dort bisher nur auf der Rennstrecke unter den Fahrern.
Für die FAZ, die ausführlich über die Buchvorstellung in der Staatskanzlei berichtete, bestand denn auch der wahre Eifel-Krimi – die „True Crime Story“ – gleich aus dem 100 Seiten starken Gutachten zur „Nürburgring-Finanzaffäre“, das zu einem „vernichtenden Urteil über das Verhalten der Landesregierung und der von ihr kontrollierten Nürburgring GmbH“ gekommen war. Dabei unterstellte sie dem „Landesvater“, er sei „offenbar nicht der Ansicht, dass es zwischen Realität und Fiktion einen Unterschied geben sollte“ – um sodann selbst das Landesrechnungshof-Gutachten für ihre Leser krimimäßig zusammenzufassen. Das fiel ihr um so leichter als darin mehrere Dossiers des Bundeskriminalamts eingearbeitet wurden – u.a. über die „Geschäftsleute“ Merten und Böhm, die im Auftrag der Nürburgring GmbH für eine private Finanzierung des Projekts „Erlebniswelt am Nürburgring“ sorgen sollten. Merten hatte zuvor beim Zirkus gearbeitet, Böhms beruflicher Hintergrund blieb dem BKA unbekannt. Die beiden brachten nach kurzer Anlaufphase eine Firma namens „Pinebek“ ins Spiel, die ein „nicht seriöses und undurchsichtiges Sale-and-Lease-Back-Verfahren“ vorschlug, das zwar nicht zustande kam, aber dennoch dem Steuerzahler 1,21 Millionen Euro kostete: so viel bekamen die zwei „Selfmademen“ nämlich als Honorar, was in „keinem Verhältnis zu ihren erbrachten Leistungen stand,“ wie der Landesrechnungshof kritisierte. Als nächstes kam es zu einer Zusammenarbeit mit einem „Schweizer Finanzvermittler“ namens Urs Barandun, die der Bundesrechnungshof ebenfalls als „äußerst negativ“ beurteilte, denn der verlangte erst einmal und sofort 95 Millionen Euro auf ein Liechtensteiner Konto, damit ein „US-Milliardär“ namens Dupont das Nürburgring-Projekt finanziere: „Zwar floß das Steuergeld mit einem Verlust für Bankgebühren von rund 170.000 Euro nach Mainz zurück, nachdem sich der Dupont-Scheck als Schwindel erwiesen hatte,“ doch „das Risiko“ war weitaus größer, als Kurt Beck und sein Aufsichtsrat bei der „Nürburgring GmbH“ behaupteten. Hinzu käme noch, dass der inzwischen ebenfalls geschaßte Geschäftsführer der „Nürburring GmbH“ Walter Kafitz am Aufsichtsrat vorbei „mit dem Bau des inzwischen 330 Millionen Euro teuren Projekts“ begann – ohne dass die Finanzierung (weder privat noch durch eine Landesbeteiligung) gesichert war.
Das ist alles in allem natürlich kein schlechter Plot, aber im Vergleich mit den Eifel-Krimis fällt er stark ab: Es fehlen schlicht die Leichen, die Berndorf (wie auch die meisten anderen Krimiautoren) noch jedesmal in großzügigster Weise über ihre Region verstreuen. Die alle nasenlang fiktiv Dahingemordeten halten sozusagen das überregionale Leseinteresse wach – und nicht die noch häufigeren Realia à la „Wir fuhren über Kerpen, Niederehe, Hyroth und Brück Richtung Kelberg und wendeten uns dann nach links auf die Schnellstraße nach Adenau“ – wo sie wie oben erwähnt in diese reale und laut Berndorf „wunderbare“ Kneipe einfielen. Eine ältere Leserin, die seine Eifelkrimis wegen der schönen Landschaftsschilderungen schätzt, riet ihm, die schrecklichen Verbrechen zwischendrin einfach weg zu lassen.
Erlebniswelt Nürburgring. Photo: tourenbike.at
Weltschnellste Achterbahn am Nürburgring. Photo: speedmagazin.de
P.S.:
Der kürzlich ausgestrahlte SWR/WDR-Film über den Nürburgring-Skandal „Schnelle Geschäfte in der Grünen Hölle“ schöpfte vor allem aus dem 1. Gutachten des Landesrechnungshofes 2006: Darin wurde kritisiert, dass man dem Tourismusprojektemacher Kai Richter aus Düsseldorfer und seiner Firma „Mediinvest“ die konzeptuelle Planung für ein Honorar von 85,5 Mio Euro überlassen hatte und dass man einige bereits in Bremen mit ihrer „Erlebniswelt ‚Space-Center‘ nach wenigen Monaten gescheiterte Manager engagiert hatte, mitsamt der schnellsten Achterbahn der Welt, die jedoch bis heute noch nicht in Betrieb gegangen ist. Die bisherigen Projektverantwortlichen waren überdies alles Sozialdemokraten, die der Privatisierungsagent Rudolf Scharping empfohlen hatte.
Aber jetzt gibt es angeblich ein neues „sehr faires Abkommen“ mit einem neuen Betreiber: Die Nürburgring GmbH übernimmt die Motorsport Resort Nürburgring GmbH (MSR) des Privatinvestors Kai Richter für den symbolischen Preis von einem Euro. Richter bleibt damit lediglich am operativen Geschäft am Ring beteiligt. Über seine bisherige MSR-Muttergesellschaft Mediinvest hält er einen 50-prozentigen Anteil an der neuen Betriebsgesellschaft mit dem Namen „Destination Nürburgring GmbH“. Die anderen 50 Prozent daran hält wie geplant die private Lindner-Gruppe, die am Ring bereits ein Vier-Sterne-Hotel betreibt. Deren Chef Jörg Lindner wird auch Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft
Das Land selbst bleibt Eigentümer der gesamten Infrastruktur am Ring. Der Gesamtfinanzierungsbetrag für das Projekt wird bei rund 330 Millionen Euro liegen und über die Investitions- und Strukturbank (ISB) Rheinland-Pfalz abgewickelt. Über einen 20-jährigen Pachtvertrag soll gesichert werden, dass ab 2013 die Nürburgring GmbH 85 Prozent des Betriebsergebnisses, mindestens aber 15 Millionen Euro jährlich erhält. Ministerpräsident Beck hebt hervor, dass so der Landeshaushalt nicht belastet werde. Die vertraglich garantierten Mindestpachten lägen deutlich über der Zinsbelastung. Es wird also anscheinend alles gut – in der Nordkurve des Nürburgrings, das meint auch der alerte Generalpächter Richter aus Düsseldorf, aber die Eifler bleiben Zweifler.
Und auch der Berliner Kulturkritiker Dr. Salm-Schwader: Kai Richter wird mit seiner Charmeoffensive und seinem Naivoptimismus mit der Nürburgring-Erlebniswelt scheitern, meint er. Warum?
„Weil das Auto out ist, jedenfalls in den Industrieländern, die den Übergang zur dritten industriellen Revolution, vom Heavy Metal zur Medien- und Informationsgesellschaft, bewerkstelligt haben. Heute interessieren sich nur noch Prolls, die zu dumm sind, mit einem Computer umzugehen, für Kraftfahrzeuge und ihre Mechanik, aber sie können damit weder bei irgendwelchen Mädchen landen noch damit überhaupt Erlebnisse des Heavy Pettings auf den Rücksitzen herbeiführen. Dieser ganze Quatsch – Formel 1, Porsche, Rennstrecken (Lausitzring, Nürburgring etc.) ist Schnee von gestern. Wie überhaupt die ganze Autoindustrie den Bach runtergehen wird, enthusiasmierte Käufer für ihre Scheißtechnik wird sie höchstens noch in Afrika, Südamerika und Asien finden. Mit dem Paradigmenwechsel vom Auto zum Computer – von Lowtech zu Hightech – geht überhaupt die Jungmännerkultur wenn nicht sogar die Männerdominanz insgesamt den Bach runter. Schon fragen sich US-Studien, was man mit den ganzen noch herkömmlich erzogenen männlichen Idioten überhaupt machen soll. Sie sind den Mädchen so dermaßen unterlegen, so völlig verblödet in ihrem albernen Macho-Gehabe, dass man die meisten eigentlich nur noch in irgendwelchen Afghanistan-Kriegen verheizen kann. Auf jeden Fall muß man sich überlegen, ob man nicht ein generelles Ausgehverbot nach 21 Uhr für alle Jungmänner zwischen 16 und 36 einführt. Auch ein Schulverbot wäre denkbar, denn lernen tun sie dort schon lange nichts mehr, dafür häufen sich weltweit die Amokläufe von männlichen Schülern, die sich damit rächen wollen für alle Demütigungen, die ihnen Lehrerinnen und Mitschülerinnen zufügen – allein durch ihre quasi-natürliche Überlegenheit. In England will man jetzt wieder die Prügelstrafe für diese ganzen nutzlosen und überflüssigen Jungs einführen. Und was hier den Nürburgring betrifft: Man sollte den Schrott komplett einreißen und wieder Wald dort pflanzen lassen – von Kulturfrauen.“
So geht es doch auch: Mit wenig Geld und ca. 24 Pilonen kann man selbst in der ödesten Region eine tolle Erlebniswelt schaffen! Photo: Peter Grosse