vonDetlef Guertler 28.07.2011

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Da muss man erst mal drauf kommen:

Intellektuelle versuchen nach der Schreckenstat in Norwegen, die Islamdebatte an Stellen zu retabuisieren, wo es für linke Migrationsfantasien schmerzhafte Niederlagen gab.

Googles Wissen handelt es sich hier um die allererste Verwendung des Verbs retabuisieren überhaupt – möglicherweise weil es in gesellschaftlichen Entwicklungen bislang zwar oft Tabuisierungen und fast so oft Enttabuisierungen gab, aber praktisch niemals etwas, das einmal seines Tabu-Status entkleidet wurde, in den alten Status zurückversetzt wurde.

Der Anfangsverdacht sei deshalb erlaubt, dass es sich auch bei Ulf Poschardts Verwendung gar nicht wirklich um eine Retabuisierung handelt – eben weil es so etwas eigentlich nicht gibt. Aber schauen wir mal nach:

1. In den zwei Absätzen nach der Einführung des Verbs retabuisieren kritisiert Poschardt, dass im Zusammenhang mit Norwegen Henryk M. Broder angegriffen wurde. Das kann er nicht gemeint haben, da es rund um Broder noch nie ein Tabu gegeben hätte, das nicht verletzt oder geschleift worden wäre.

2. Im Absatz danach beschwert sich Poschardt über Versuche, „islamkritische Debatten zu unterbinden oder im Umfeld des Rechtsradikalen zu vertäuen“, bei denen er „aufschäumende Hysterie und Intoleranz“ ausgemacht haben will. Hm. Ist es eine Retabuisierung, wenn man festhält, dass Anders Breivik Rechtsradikaler und Islamhasser ist? Eher nicht. Ist es eine Retabuisierung, wenn man festhält, dass Hass auf den Islam bei Rechtsradikalen ziemlich häufig vorkommt? Eher auch nicht.

Was also dann? Im Zusammenhang mit den Attentaten von Oslo ist häufig das Argument aufgetaucht, dass man wegen eines durchgeknallten Christen (der sich ja auch als christlicher Tempelritter stilisierte) nicht gleich das gesamte Christentum unter Terrorverdacht stellen sollte – und dass man, in Analogie dazu, auch bei Attentaten von Islamisten nicht gleich den gesamten Islam unter Terrorverdacht stellen sollte. Das ist es wohl: Poschardt möchte weiterhin „Islamkritik“ sagen dürfen, wo die gemeinen Linken und politisch Korrekten ihm nur „Islamismuskritik“ erlauben wollen.

Mit Thilo Sarrazin hat die Fraktion der „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Geiferer sich an dieser Stelle in der Tat durchgesetzt – mit eben jener „aufschäumenden Hysterie und Intoleranz“, die die Kommentar-Meute bei Welt Online seit jeher auszeichnet. Von Poschardts imaginierten linken Retabuisierern war hingegen in den Tagen seit den Anschlägen von Norwegen nichts, aber auch gar nichts dergleichen zu vernehmen. Es sei denn natürlich, man fühlt sich schon durch Sätze wie den von Friedrich Küppersbusch angegriffen:

Ist Anders B. im Kern seiner Religion von Thilo Sarrazin zu unterscheiden? „Europa wird arabisiert“ – „Deutschland schafft sich ab“?

Aber sind die Sarrazynisten wirklich solche Sensibelchen?

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