An diesem Samstag war ich früh aufgestanden. Und als ich dann zum Kaiser‘s gegangen war, hatte ich mich gewundert, dass der Supermarkt hier am Schmollerplatz tatsächlich schon um sieben öffnet. (Ist halt wirklich Osten) Im Laden waren nur die Angestellten. Ich kaufte Milch und einen Fleischspieß. Der Fleischspieß kostete 2,22. „Da haben Sie ja Glück gehabt – eine Schnapszahl.“
Es war ein Wintertag im Mai und regnete unaufhörlich. Ich las ein bißchen, schrieb ein bißchen, irgendwann war die Küche voller Rauch von dem glückspreisigen Fleischspieß, der in der Pfanne briet oder brutzelte, während ich noch mal schnell ein paar Autorennen mit der Playstation fuhr und plötzlich war es schon später und weil ich die U-Bahn schon hörte, kaufte ich mir dann doch keinen Fahrschein, als ich zur Lesung von Rainald Goetz in die Linienstraße fuhr.
Es war ein sehr toller, berührender, schöner Auftritt, der um vier begann und gegen halb acht endete. Da oben das Programm, die programmatische Absicht (unbedingt vergrößern)
Der Regenbogen ist natürlich schön, seit Tagen lauf ich tatsächlich ja auch mit diesem Regenbogensticker herum, zumindest, wenn ich diese Jacke anhab. Es ging aber eben auch darum, dass es schlecht ist, dass Autor und Titel, die früher klein-links-unten standen, dann immer größer wurden, aus angeblichen Modernitätsgründen und nach oben wanderten. Find ich auch doof.
Der Höhepunkt, vielleicht sogar im Goldenen Schnitt gesetzt, die Verteidigung, die Propaganda der Fragilität und Kaputtheit des Künstlers. Sich so und dem dann eben auch aussetzen. Ist wichtig. Und das dann auszuhalten, die Pflicht des Künstlers. Und was gute Literatur ist: es geht um Sympathie, jemand in diesem Buch da, ist sympathisch, das Ich, was da spricht, die Figur eines Romans. Und ich dachte wieder an Harald (Fricke); das war es, was ihn so störte an manchen Kollegen, dass in ihren Texten keine Zuneigung spürbar wäre zu dem, worüber sie schrieben
Und weil’s um Sympathie geht oder dass man da zumindest stimmige Menschen sieht und sie dann irgendwie so kennen lernen möchte, was da und wie mit ihnen passiert, eine Beziehung zu ihnen entwickelt, und weil das in „Unendliches Vergnügen“ nicht passiert (daran dachte ich), zumindest bis Seite 300, ist es kein gutes Buch. Ach „gutes Buch“ klingt ja auch doof; ich mag es nicht wirklich. Oder, das war seine Kritik an Helene Hegemann: sie (oder das Ich, das in ihrem Buch spricht) sei nicht sympathisch.Fertig. Punkt. Das knallt rein. In der Literatur wie im Leben geht’s um Sympathie. Bücher sind Freunde. Und ihr Schaden sei es, aus dem Theaterbetrieb zu kommen; einem Betrieb, in dem alle alles und jeden, der dabei ist, super finden würden – also das Gegenteil des journalistischen Betriebs) Diese Kritik (unsympathisch) korrespondierte: mit der eigenen Rede über Kritik, in der es auch hieß: je ungerechter, desto produktiver.
Zu Helene Hegemann kann ich nicht richtig was sagen; ich hab ihr Buch nicht gelesen, war bei ihrem Auftritt im Tresor nicht dabei; ein paar Vorurteile hatten sich gebildet; der erste Eindruck, nach dem schönen Text von Nina Apin über das Buch war: muss ich schnell lesen; später dann … ach egal; in meinem Buch ist ja auch eine Szene mit einem unausgewiesenen Kafka-Zitat drin, das aber zumindest alle Germanisten kennen müssten. Und bißchen eifersüchtig war ich glaube ich auch; nicht auf ihren Erfolg, den hab ich ja auch selber bißchen, sondern darauf, dass sie einen Roman geschrieben hatte; das krieg ich nämlich irgendwie nicht hin.
Müsste deutlich sein.
Der ganze Auftritt hatte mich umgehauen. Und tatsächlich: „ermutigt“, dachte ich, auch wenn das Wort bißchen doof klingt,.
Ich musste dann schnell weglaufen, weil ich ja selber später noch im Club39 vorlesen musste. Wollte, machte. Auch so ein seltsam halb befreundet, halb fremder Heimathafen, in dem ich mir danach dezent die Kante gab: Kreuzberg, Südkurve, (keine Ahnung) und paar Biers auf dem Sofa. Aber „das Spiel“ hatte ich dann doch nicht geguckt. Oder nur die letzten zehn deprimierenden Minuten. Ich hatte mich ja auch selbst bißchen vorbereiten müssen.
Teile der Lehrveranstaltung sind als Video schon da
Vor dem edition-suhrkamp-Laden in der Linienstraße standen viele Leute; drinnen war es supervoll; einige waren wohl auch gekommen, weil sie Rainald Goetz in der Harald-Schmidt-Show gesehen hatten („Loslabern“ sei danach tatsächlich kurzzeitig nicht mehr lieferbar gewesen, hatte mir D. paar Tage zuvor erzählt gehabt), manche gingen erschrocken dann auch wieder.
Rainald Goetz bahnte sich seinen Weg durch die Leute mit einer großen weissen Pappe in der Hand, auf die er später mit Pinsel die Titel der Kapitel seines Auftritts schreiben sollte: „die Ordnung d es Ladens“, der von der edition suhrkamp handelte, „die Sehnsucht nach niedlichen Mädchen“, bei der es um u.a. um Amelie Fried und diese „crazy“ Missbrauchsdebatte ging und „blattkritik: zersetzen verwerfen bekämpfen verspotten“. Die Worte klangen super, wie der Dichter sie so sagte. Der Titel des Auftritts hieß „wrong“: „Loslabern: wrong, Lesen: wrong, Kritik der Kritik: wrong“
Der Dichter saß da in der Mitte an einem kleinen Tischchen, zwischen Eingang und Bar, links neben sich die Regale mit den Bänden aus der Edition Suhrkamp. Auf und um den Tisch herum lagen Unmengen von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen.
Es ging um eine Aneignung des Ladens; um die Aufführung des Nachmittags eines Schriftstellers. Rainald Goetz schleppte Sachen aus seinem Auto in den Laden und baute sie um sich herum auf, richtete sich ein; ich dachte daran, wie wir damals das Institut für AVL besetzt hatten und auch darin schliefen. Vielleicht auch, weil Goetz später eine sehr schöne Passage über Kunst, Künstler und Leben aus Prousts „Auf der Suche nach der verlroenen Zeit“ vorgelesen hatte. Wo der bürgerliche, gute Mensch, der auf sein Leben zurückblickt und sagt: „würde ich alles wieder so machen“ dem Künstler gegenübergestellt wird, der aus Fehlern besteht sozusagen, Überempfindlichkeiten, Gestörtheiten usw. und gerade deshalb aber befähigt dazu ist … Ich hatte Proust mit Anfang zwanzig zum ersten Mal gelesen; eigentlich hatte ich auch eine Magisterarbeit über Proust und das Sehen schreiben wollen mit besonderem Augenmerk auf meinen damaligen Lieblingshelden Charlus. Statt diese Magisterarbeit fertig zu machen, hatte ich dann angefangen für die taz zu schreiben; egal. „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ war jedenfalls auch mein Lieblings-ES-Buch gewesen auch in dieser grauen 13 bändigen Ausgabe; mein erstes war glaube ich Peter Handke, „Hornissen“; die Bücher aus dem Schulunterricht zählen ja nicht richtig.
Manchmal tanzte der Dichter fast, wenn er sich so umwandte, das oder das suchte, herumgestikulierte, bestimmte Sätze und Worte so sagte mit großer Freude an ihrem Klang. Und Verachtung auch für die, die keinerlei Gefühl für die Worte und Begriffe haben, die sie verwenden, für die es in der Sprache nur um Macht und Verdinglichung geht, in komischer, aber gleichzeitig auch ganz ernster Verzweiflung über den Zustand von Sprache, Welt und Schrift.
„Je inadequater ein Verriss sich seinem Gegenstand genähert hat, umso besser für alle“
Der gelesene Text, die freie Rede, bei der er meist auf einen Stuhl stieg, hielt die scheuen wilden Pferdchen der Nervosität, im Zaum. Er las paar Sachen aus „Loslabern“, die letzten Seiten aus „Klage“, ein paar Wortgedichte aus einem Buch, dass er zusammen mit Albert Oehlen gemacht hatte. Eine Passage aus Peter Handkes „Nachmittag eines Schriftstellers“. Es ging um die Fragilität des Dichters, des Deppen, der da notwendigerweise allein so, irritiert sich durch‘s kaputte Leben arbeitet. „Loslabern ist Etik, Gehen ist Metaphysik“ und die gut besuchte „Praxis Dr. R. Kaputt“, in der dies alles geschah, war die Inschrift eines Grabsteins, den Rainald hellblau gepinselt hatte. Das letzte „t“ ein Kreuz.
Und eigentlich war es ganz anders: es war ja ein Versuch gewesen, ein Experiment, wie man früher so sagte: eine dreieinhalbstündige Lesung zerhackt in 14 Teile; also fünf Minuten lesen, was sagen, agitieren, versuchen, hoffen darauf, dass jemand mitmacht (was auch manchmal und einmal sehr schön geschah, als eine Frau über Alexander Kluges „Geschichte und Eigensinn“ sprach; eine kleine Geschichte erzählte; ob sie lauter reden könne; nein, das ginge nicht, ein Teil der Stimmbänder war kaputt), dann Pause, Rausgehen, Rauchen und da und dort dabei mit anderen reden.
Eigentlich war es um Kommunikation gegangen; der Dichter hatte sich vorgestellt und gewünscht, dass das Publikum sich gesprächsweise auch mit beteiligt und ihm nicht nur schweigend fotografierend zuschaut. Auf dem Ankündigungsplakat hatte gestanden: „Wer mitmacht kriegt was geschenkt: Buch, Zigarette, CD etc.“
In echt war es natürlich fast wie in einem Seminar, wo sich ein toller, berühmter, Dozent, darum bemüht, dass die Studenten mitarbeiten, auch mal was sagen und dann beteiligen sich natürlich nur ganz wenige: einige mit leicht zitternder Stimme, ein paar notorische Schwätzer, zwei drei Uni-Irre, manchmal auch ganz kluge; aber 90% der Leute sagt eben nichts.
Die kurze Stille, die dann kam, wenn der Dichter sein Publikum fragte, war nur kurz; jemand sagte ja dann doch immer was; das meiste war sachlich, vernünftig oder richtig: „Kennt jemand die“ – „Das ist Amelie Fried.“
Es war aber auch eine Soloperformance, für die, die diese ganze Missbrauchsdebatte nicht so manisch begeistert über diese ganze „Crazyness“ verfolgt hatten, war es ja erstmal nicht ganz deutlich, was genau Rainald Goetz an diesem ganzen Missbrauchsdiskurs so komplett crazy fand.
(Zuhause hatte ich mir den Amelie-Fried-Text im Netz durchgelesen; im Zusammenhang mit den BILD-Meldungen, die dann dazu erschienen, kam mir das auch seltsam vor. Oder diese Bücher aus dem Schwarzkopf-Verlag, wo junge hübsche Mädchen tabufrei erzählen oder Grönemeyers „Kinder an die Macht“ ist in diesem Sinne – ach was; in dieser Kriegskindergeneration war richtig ordentlich misshandelt worden; ich war dann ja auch mit den Erzählungen meiner Mutter groß geworden, die davon erzählte, wie sie von ihrer Mutter ausgepeitscht worden war und erinnere mich ergänzend noch an die schönen Kinderheitserzählungen meiner Großeltern.)
Ich freute mich über eine rote Gauloise. „Jetzt fang ich schon an zu denken, wie Hesse“. Ich dachte an den Text, den Harald Fricke … über einen Besuch bei Rainald Goetz frankfurter Poetikvorlesung geschrieben hatte und der mit drin ist in der Textsammlung, die wir für Merve zusammengestellt hatten.
Und später wunderte ich mich, dass keine Zeitung, jemanden zum Berichten geschickt hatte – es war ja die erste Rainald-Goetz Lesung seit zehn Jahren, nimmt man jetzt mal diese Lesung in Tel Aviv und die Abschlußverantaltung von Klage aus – und dachte, dass das mit diesem „Schuster bleib bei deinen Leisten“ zu tun hat; Schriftsteller sollen Romane schreiben, Journalisten Feuilleton und Wissenschaftler Wissenschaft und Theorie. So hatte es nur ein paar Blogbeiträge gegeben, paar Videos (die beste Szene; Rainalds Fragilitätspropaganda, war leider nicht dabei) und eine Fan-Diaschau bei youtube.
Oder der Kollege, der den ganzen Nachmittag in den Pausen genervt hatte, wobei ich mir dann auch nicht ganz sicher war, ob das, was ich als aufdringlich empfunden hatte, nicht einer seelischen Erschütterung und deshalb zuviel trinken geschuldet war. Den ganzen Nachmittag hatte er sich sehenden Auges sozusagen irgendwie in ein komplett nervendes Benehmen hineingesteigert, sich immer wieder entschuldigt, um dann noch mal umso besser zu nerven. Und später hatte er dann wieder begeistert gesagt, das wäre die beste und tollste Lesung, auf der er je gewesen wäre.
„Wer schreibt, der bleibt“, sagte die Frau vorhin, hinter dem Kuchen-Tresen bei Kaiser‘s, auf der Suche nach diesem Proustzitat war ich über ein anderes gestolpert – „Ein Buch, das Theorien enthält, ist wie ein Gegenstand, an dem noch das Preisschild hängt“ – und jetzt mach ich doch mal lieber Schluss.
(Und wende mich anderen Dingen zu: Essen! Juchhu!)