„Deutschland, Deine ForscherInnen!“ möchte man ausrufen nach der Lektüre einer Denkschrift, die von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) und der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) initiiert wurde. Weil der kommerzielle Anbau einer Gentechnikmais-Sorte aus den 80iger Jahren des vorigen Jahrhunderts verboten wurde, sehen sie die Forschungsfreiheit gefährdet und fühlen sich bemüßigt, das Hohelied der „Grünen“ Gentechnik auf eine Art und Weise zu singen, die kaum eine Propagandalüge der Industrie ausläßt.
Was sollen wir darüber denken, wenn eine der herausragenden biologischen Denkerinnen unseres Landes, die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard, sich zu Sätzen hinreissen läßt wie „Das Verbot der Freisetzung von BT Mais in Deutschland sowie die nur eingeschränkte Zulassung des Anbaus der Kartoffelsorte Amflora setzt für die deutsche Forschung ein wirklich erschreckendes und abstoßendes Signal.“ und behauptet „Um die gewünschten hohen Erträge zu erzielen, muss die Kulturpflanze von außen durch das Ausbringen von Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden geschützt werden.“
Wie ernst dürfen wir Forscher nehmen, die allen Ernstes das Verbot von „Mon810“ mit dem Argument kritisieren, dass die Gentechnik schließlich auch den „Goldenen Reis“ hervorgebracht habe; ein Gentechnikkonstrukt, das seit über zehn Jahren als Beispiel für die Segnungen der Gentechnik für die Ärmsten dieser Welt durch die Medien geschleppt wird, obwohl es bis heute nicht auf dem Markt ist und noch keinem einzigen Menschen, der unter Vitamin-A-Mangel leidet geholfen hat?
Zornig macht uns dieses Argument: Weil wir immer mehr Menschen werden und zudem die Nachfrage nach Biosprit enorm steigen wird, müssen wir immer mehr pro Hektar produzieren und das geht nur mit Hilfe der Gentechnik. Abgesehen davon, dass kein einziges Gentechnikprodukt bisher den Ertrag gesteigert hat, sollte man von Wissenschaftlern erwarten, dass sie sich der weitaus komplexeren Situation der Landwirtschaft stellen, die dazu führt, dass trotz massiver Überproduktion 1 Milliarde Menschen hungert (mehr als je zuvor auf unserem Planeten). Sie sollten erwähnen, dass mittlerweile nicht einmal die Hälfte unserer Getreideproduktion überhaupt noch als Nahrungsmittel genutzt wird, dass ein gutes Drittel unserer Nahrungsmittelproduktion weggeworfen wird und dass die gegenwärtige Form von Lebensmittelproduktion (v.a. auch von Fleisch) für über ein Drittel unserer Klimagas-Emissionen verantwortlich ist. Sie sollten vielleicht sogar erwähnen, dass auch die Gentechnik nicht in der Lage sein wird, ein biologisches perpetuum mobile zu konstruieren. In dieser Situation nichts anderes zu fordern als eine Steigerung der Produktion auf Biegen und Brechen ist unverantwortliche Volksverdummung und grenzt an Zynismus.
Wer auf diese Weise die Forschungsfreiheit zum Schutze der Interessen von Monsanto ins Feld führt und zu verheizen bereit scheint, wer den Hunger in der Welt für seine Partikularinteressen mißbraucht, darf nicht ernsthaft erwarten, ein „aufgeschlossen kritisch-unterstützendes Klima“ für seine Forschung vorzufinden.
Das Memorandum sollte gerade unter jungen, ernsthaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Studenten einen Aufschrei der Empörung auslösen, egal wie sie über Nutzen und Risiken des Einsatzes heutiger Gentechnikprodukte in der Landwirtschaft denken: Diese Diskussion hat intelligentere, engagiertere, inspirierendere und vor allem ehrlichere Stimmen verdient.
Die beleidigten Funktionäre und ihre Nobelpreisträgerin leisten dem Ruf ihres Standes eine Bärendienst. Dabei liefern sie die besten Argumente gegen ihre eigene Forderung nach einem „wissenschaftsbasierten Dialog“, d.h. der bedingungslosen Anerkenntnis ihrer Definitionshoheit in der Debatte über Nutzen und Bedingungen des Einsatzes einerTechnologie. Sinnvoll und notwendig ist ein Dialog mit der Wissenschaft und ihren Vertretern, hilfreich wäre es, wenn diese sich klar und unmissverständlich von den Interessen einer handvoll transnationaler Agrarchemie-Riesen unterscheiden liesse.
Ganz besonders hilfreich wäre schließlich die gemeinsame Definition der Probleme, die es mit alter wie neuer Technik, möglicherweise aber auch mit gesundem Menschenverstand und sozialen Veränderungen zu lösen gilt. Denn die ebenso überhebliche wie irreführende Haltung, einer Technologie nach dem Motto „Hier ist die Lösung, was war nochmal das Problem?“ einen beliebigen Kranz von Problemen anzudichten, zu deren Lösung sie angeblich unverzichtbar ist, steht am Anfang aller Verschwendung und Verblendung.
Hier das Memorandum im Wortlaut, alle statements der Wissenschaftlicher finden Sie hier
„Forschung in Freiheit und Verantwortung“
Zum Status quo der Forschungsrahmenbedingungen zur „Grünen Gentechnik“
Memorandum von DLG und DFG-Senatskommission für Stoffe und Ressourcen in
der Landwirtschaft
Eine ausreichende Versorgung der Menschheit mit gesunden Nahrungsmitteln, umweltfreundliche Energieerzeugung und Bewältigung des Klimawandels – das sind die Themen, die die zukünftige Entwicklung auf unserem Globus maßgeblich bestimmen. Immer mehr Menschen müssen von einer nicht vermehrbaren Landfläche leben. Ohne eine nachhaltige Steigerung der Produktivität landwirtschaftlicher Nutzflächen werden die vor uns liegenden Herausforderungen nicht zu meistern sein.
Zur nachhaltigen Steigerung der Flächenproduktivität sind zahlreiche Maßnahmen notwendig. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist der züchterische Fortschritt bei den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Neben den klassischen Methoden der Pflanzenzüchtung bieten moderne Instrumente der Grünen Gentechnik wichtige Potenziale für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung.
Daher können wir es uns nicht leisten, auf Forschung in der Grünen Gentechik zu verzichten. Forschung jedoch braucht verlässliche Rahmenbedingungen, damit die Forschenden ihre Verantwortung in der Kette „Forschung – Entwicklung – Innovation“ wahrnehmen können und ein rationaler Umgang mit dieser Technologie möglich ist.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen, öffentlichen Forschungseinrichtungen und mittelständischen Unternehmen sehen sich zunehmend gezwungen, ihreForschungsvorhaben im Bereich der Grünen Gentechnik einzuschränken oder ganz aufzugeben.
Es besteht die Gefahr, dass damit in Deutschland eine wichtige Forschungsrichtung verloren geht. Allein im Jahr 2008 haben Gentechnikgegnerinnen und -gegner rechtswidrig 25 Felder zerstört und die Aufgabe zahlreicher Forschungsprojekte mit gentechnisch veränderten Pflanzen erzwungen. Die Tendenz ist seit Jahren steigend. Mit der Zerstörung von Freilandversuchen wird nicht nur wichtige grundlagenwissenschaftliche Forschung an Pflanzen verhindert, sondern auch die essentielle sicherheitsrelevante Forschung auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik. Diese Straftaten verhindern Forschung und Entwicklung in zunehmendem Maße. Politik und Gesellschaft sollten ein hohes Interesse daran haben, dass Deutschland auch in der Forschung zur Grünen Gentechnik wieder eine Spitzenposition einnimmt und so
seiner Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft gerecht werden kann. Dafür sind die folgenden Punkte eine wesentliche Voraussetzung:
• Forschung braucht verlässliche rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Politische Entscheidungen und gesetzliche Grundlagen sollten auf wissenschaftlich
fundierter Nutzen/Risiko-Abwägung basieren.
• Jede Forschung braucht ein aufgeschlossenes und kritisch-unterstützendes gesellschaftliches Klima, damit der Erfindergeist gefördert und den Herausforderungen
der Zukunft begegnet werden kann. Dies sollte auch für die Forschung zur Grünen Gentechnik gelten.
• Forschung an Pflanzen kann nicht auf Labore und Gewächshäuser beschränkt werden. Dies gilt für die Grundlagenforschung ebenso wie für die anwendungsorientierte
Forschung. Ob neue Produkte unbedenklich und wettbewerbsfähig sind, lässt sich nur unter natürlichen Bedingungen im Freiland erforschen. Auch ganz grundlegende pflanzliche Prozesse können nur verstanden werden, wenn die Relevanz der im Labor und Gewächshaus erhaltenen Ergebnisse in der natürlichen Umwelt überprüft wird.
Die aktuellen Entscheidungen der Politik zu den Freisetzungen von gentechnisch verändertem Mais, Kartoffeln und Gerste sind widersprüchlich. Sie zeigen, dass eine eindeutige, an Sachargumenten orientierte Linie derzeit nicht vorhanden und dringend erforderlich ist.
DFG und DLG fordern die maßgeblichen Entscheidungsträgerinnen und -träger in Politik und Gesellschaft auf, für die oben genannten Punkte einzutreten, den wissenschaftsbasierten Dialog voranzutreiben und die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Forschung in Freiheit und Verantwortung ermöglicht wird.