vonsaveourseeds 08.06.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Gentechnik hilft bei der Bekämpfung des Hungers. Gentechnik macht unsere Pflanzenwelt fit für die Klimakatastrophe. Gentechnik nützt Millionen von Kleinbauern in aller Welt. Die Bundesforschungsministerin und katholische Theologin Annette Schavan hat einen gewissen Hang zu einfachen Glaubenssätzen, wenn es um Gentechnik geht. Anlässlich eines “Runden Tisches” zu Gentechnikfragen hat sie heute wiederholt was durch Wiederholung nicht wahrer wird. Immerhin will sie künftig neben der heiligen St.Gentechnik auch andere Technologien, bis hin zu, gottseibeiuns, den Sozialwissenschaften zur Bekämpfung des Hungers einsetzen. Wenn das kein Fortschritt ist!

In ihrer heutigen Presseerklärung “Gentechnik kann Beitrag zur Welternährung leisten” lesen wir: “Im Jahr 2050 werden rund 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben, das sind über 25 Prozent mehr als heute. Zugleich ist allerdings die landwirtschaftlich nutzbare Fläche begrenzt”. Richtig, unsere Erde wächst nicht mehr. Braucht sie auch nicht: Auf weniger als der Hälfte der weltweiten Ackerflächen werden heute noch Lebensmittel angebaut und von den Lebensmitteln, die wir in Europa und den USA herstellen werden sage und schreibe 30 bis 50 Prozent weggeworfen.

“Der Klimawandel führt zu extremen Witterungsverhältnissen mit Trockenheit, Versalzung der Böden und akutem Wassermangel. Ich bin davon überzeugt, dass gentechnische Ansätze einen Beitrag zur Welternährung leisten können, indem robustere Pflanzen entwickelt werden, die Dürre oder Kälteeinbrüche besser als bisher standhalten können” Glücklicherweise gibt es diese Pflanzen schon lange; gut angepaßt an die jeweiligen ökologischen Verhältnisse und Wetterbedingungen. Allerdings handelt es sich dabei nicht unbedingt um Mais, Reis, Weizen und Gerste, die heute 90% unseres Getreideanbaus ausmachen. Die Vielfalt und der freie Austausch von Saatgut machen es, nicht die Optimierung eines ungeeigneten Systems.

“Neben technischen Optimierungen müssen allerdings auch Ansätze der konventionellen und ökologischen Agrarforschung sowie sozialwissenschaftliche Fragen insbesondere mit Blick auf die Lage in den Entwicklungsländern berücksichtigt werden.” Oha! Den Satz lassen wir uns auf der Zunge zergehen: Da gibt es also einmal technische Optimierung und dann konventionelle und ökologische Agrarforschung. Woran, so fragen wir uns, arbeiten die denn dann? Und schließlich gibt es auch noch sozialwissenschaftliche Fragen. Mein Frau Schavan damit vielleicht Ausbeutung, Korruption, Diskriminierung von Frauen, Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsschichten, diktatorische und städtische Ignoranz, Feudal- und Kolonialstrukturen? Das hielten wir bisher für politische Fragen.

“Bereits heute bauen weltweit 14 Millionen Landwirte auf über 130 Millionen Hektar gentechnisch-veränderte Pflanzen an.” Vielleicht ein kleines Bisschen übertrieben, aber im Prinzip nicht falsch. Angebaut werden allerdings ausschließlich gentechnisch veränderte Energie-, Treibstoff- und Futtermittelpflanzen (Mais, Soja, Raps) sowie Baumwolle. In der Baumwollproduktion sind in der Tat Millionen von Kleinbauern in Indien und China auf kleinsten Feldern, wenn auch in zentral kontrollierten Monokulturen, tätig. Dass sie vom schwankenden Weltmarktpreis der Baumwolle und ihrer Zutaten (Saatgut, Chemie und Öl) abhängig sind, ist einer der Gründe dafür, dass viele von ihnen in oder am Rande von Armut und Unterernährung leben. Nirgends werden mehr Pflanzengifte und Insektizide eingesetzt als in der Baumwolle. Keine Pflanze braucht mehr Wasser. Und gentechnische Bt-Baumwolle mit eingebautem Insektengift erweist sich dort gerade als ein weiterer flop in dem langen ernährungs- und umweltpolitischen Sündenregister dieser cash-crop:  In Indien werden laut Gentech-Monopolist Monsanto die Baumwollkapselbohrer gerade resistent gegen Bt. In China steigt durch den Einsatz der Bt-Baumwolle sogar noch der Insektizid-Einsatz, weil statt des Baumwoll-Bohrers Weichwanzen, denen das Bt nichts anhaben kann, die dank Monokultur gewaltige ökologische Nische, die der Kapselbohrer hinterließ, gefüllt haben und jetzt auch Lebensmittelpflanzen bedrohen.

“Wir haben nicht nur Verantwortung für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.” So ist es. Nicht in sozialen und ökologischen Zusammenhängen zu denken, sondern in abgehobenen wissenschaftlich technologischen Kategorien weiter zu wursteln, kann deshalb eine Sünde sein. Schavans Gentechnik-Millionen werden anderswo fehlen.

Weil Frau Schavan aus Schwaben kommt und wie gesagt zu einfachen Glaubenssätzen neigt, wollen wir zum Schluss Dr. Clemens Dirscherl vom evangelischen Bauernwerk Württemberg zitieren. Der sagte gestern vor dem Verein für Heimatgeschichte in Holzgerlingen: „Ich verstehe in diesem Zusammenhang den Fetisch um die Gentechnik nicht.“ Der fromme Mann, der betont, kein grundsätzlicher Gentechnikgegner zu sein, erklärte laut Sindelfinger Zeitung schließlich mit Schavan’scher Schlichtheit: „Die Forschungsprojekte, die Annette Schavan finanziert, sind allerdings Unsinn“. Schon etwas komplizierter, aber ebenfalls wie die Faust aufs Auge des Runden Tisches in Berlin gemünzt, schloß Dirscherl: „Es werden Begründungszusammenhänge gesucht, die Anwendungsmöglichkeiten für eine Technik erfinden, die danach schreit, endlich eingesetzt zu werden.“

Amen.

Differenzierte Stellungnahmen verschiedener beteiligter Verbände zum heutigen Runden Tisch und wieder den gemeinen Schavanismus finden Sie beim Informationsdienst Gentechnik.

“Gentechnik kann Beitrag zur Welternährung leisten”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schavanismus_und_andere_kreuzzuege/

aktuell auf taz.de

kommentare