vonInitiative 24.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

Mehr über diesen Blog

Die Berliner Republik ringt um ihre Identität. Immer sichtbarer werdender Antisemitismus und unverhohlen gezeigter Rassismus stellen die These von der gelungenen „Vergangenheitsbewältigung“ ebenso in Frage wie die Tatsache, dass sowohl mit anti-demokratischen und rechtsextremen Positionen als auch mit rassistischen und völkischen Wahlkampf gemacht wird. Die jahrzehntelang beschworenen ‚Lehren aus der Geschichte‘ des Dritten Reiches drohen nach und nach aufgegeben zu werden. Die offene Gesellschaft, in der die Würde aller Menschen unantastbar ist, wird herausgefordert von einer Haltung, die ihr Bild davon, was und wer ‚deutsch‘ ist, auf eine Vorstellung stützt, die auf jene Zeit zurückgeht, die man angeblich ‚bewältigt‘ habe. Statt ‚Rasse‘ und ‚Ariertum‘ wird nun Kultur und Identität beschworen. Während politische Lippenbekenntnisse noch eine Verpflichtung aus der Vergangenheit versichern, werden allerorten längst Schlussstriche gezogen. Deutlich sichtbar wird dies etwa in der Mitte Berlins, wo das größte und bedeutendste Bauprojekt der Berliner Republik den Geist der anti-demokratischen und völkischen Vergangenheit atmet: das Berliner Schloss mit seinem Humboldt Forum, bedeutet es doch nichts weniger als die Ausradierung der Spuren der deutschen Gewaltgeschichte.

Das ursprüngliche Berliner Schloss der Hohenzollern war im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und dann in der DDR abgerissen worden. An dessen Stelle errichte die DDR-Führung den Palast der Republik. Auf Beschluss des Bundestages 2006 wurde dieser wiederum abgerissen und an dessen Stelle das Schloss wiedererrichtet, zumindest als Potemkin’sche Fassade. Dies war und ist ein identitätspolitischer Akt.

Es gibt keine unpolitische Rekonstruktion historischer Gebäude. Kein Gebäude ist ‚berechtigter‘ oder ‚typischer‘ oder ‚historisch korrekter‘ für einen Ort als ein anderes, zumal ein später dort errichtetes. Jede Bauentscheidung, auch die, ein Ensemble der Vergangenheit wieder zu errichten, ist eine politische Entscheidung.

Das Ersetzen des Palastes der Republik durch den des letzten Kaisers war eine vergangenheitspolitische Grundsatzentscheidung, mit der die Spuren bzw. Wunden der deutschen Gewaltgeschichte im 20. Jahrhundert – worunter ich den ästhetischen Bruch, den der Palast der Republik sicherlich darstellte, subsumiere  – überbaut, ja ausgelöscht wurden. Man sieht diese Geschichte jetzt nicht mehr. Sie wurde örtlich ausgelagert, etwa auf das 2005 eingeweihte Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Letzteres schuf – und das war und ist wichtig – einen zentralen Gedenkort für den Holocaust in der neuen – alten – Hauptstadt Deutschlands, auch als Zeichen an die Welt, dass Deutschland sich geändert habe, wieder ‘gut geworden sei‘. Es machte damit allerdings auch den Weg frei für die Re-Nationalisierung und Überschreibung der Gewaltgeschichte im Stadtzentrum, auf der Museumsinsel und durch das Schloss.

Diese Auslöschung durch Überbau erfolgte durch eine Rückbeziehung auf das 19. Jahrhundert, auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Man überspringt die Geschichte des 20. Jahrhundert und knüpft an, an eine vermeintlich heile Welt vor Kriegsausbruch 1914. Es ist zugleich ein Rückgriff auf ein idealisiertes und entpolitisiertes Preußentum, dessen Verantwortung für die deutsche Katastrophe nicht thematisiert wird. Die Fassade glänzt auf drei Seiten, als ob es Weltkrieg, Holocaust und Teilung nie gegeben hätte.

Setzte man in der Bonn Republik noch dezidiert auf Demutsarchitektur, die bewusst jeden Anklang an die megalomanischen Züge des zweiten und des Dritten Reiches verneinte, so ist in der Berliner Republik der Prunk zurück, und nicht nur der. Es ist eine bleibende Hypothek, dass man für den real vorhandenen Bedeutungs- und Machtzuwachs Deutschlands innerhalb Europas aber auch darüber hinaus keinen anderen Ausdruck fand, als ein Symbol der Ungleichheit und des Antidemokratischen,. Hat die deutsche Demokratie, mittlerweile eine Erfolgsgeschichte, wirklich keine andere Erzählung zu bieten? Sollte man sich nicht mehr in Demut üben, nur weil man sich selbst Läuterung attestierte, sich selbst vom Virus der Großmannssucht und Weltpolitik geheilt erklärte, oder zumindest nicht mehr so befallen wie die Altvorderen mit der Pickelhaube? Denn auch das bedeutet die ungebrochene Fassade: Deutschlands Anspruch, Führungsmacht in Europa zu sein, und das auch zu zeigen. Dabei wissen das eh alle Nachbarn. Es demonstrativ herauszustellen, war in der Vergangenheit nicht klug, und ist es heute nicht.

Die deutsche Geschichte ist komplex und widersprüchlich, Zeugnis hervorragender Leistungen etwa auf dem Gebiet der Wissenschaft, Kunst und Literatur, aber auch ungeheuerlicher Verbrechen, gegen die Nachbarn wie gegen die eigene Bevölkerung. Statt dies zu reflektieren, steht an zentraler Stelle der Berliner Republik, im Zentrum seiner unverhofft wiedergewonnen staatlichen Einheit, nun ein Monument herrenmenschlicher Eindeutigkeit, des personifizierten Machtanspruchs im Inneren wie im Äußeren, nur Gott verantwortlich, aber nicht den Bürgern, weder denen in Deutschland noch in den Nachbarstaaten. Soll das wirklich die Botschaft sein, die Berlin, die die Berliner Republik ausstrahlen will?

Selbst der borussischen Pressure Group für das Schloss war von Anfang an klar, dass ein ungetarntes Zurück zur preußischen Monarchie auch im wiedervereinigungstrunkenen Deutschland nicht zu vermitteln wäre. Kultur sollte deshalb die kalte Neu- und Umschreibung der Geschichte abfedern und verdecken, ein Humboldt Forum als Agora für die Welt die hässliche Fassade von Innen stützen. Und gleichzeitig sollte sie die identifikatorische Meistererzählung erweitern, der Berliner Republik ein neues Identifikationsangebot machen: Nicht Pickelhauben wollte man als Assoziationen, sondern die Weltläufigkeit von Sammlern, Gelehrten und Wissenschaftlern a la Humboldt.

An diesem Punkt geriet die Debatte über das koloniale Erbe Deutschlands in Konflikt mit dem neuen Narrativ; ein Konflikt, der weit über die Frage des Umgangs mit kolonialen Sammlungsgütern hinausgeht. Es ist bezeichnend, dass keiner der Verantwortlichen an das koloniale Erbe auch nur gedacht hatte, als beschlossen wurde, dass die Schlossfassade mit den Objekten des ehemaligen Ethnologischen Museums zu füllen. Nach all den Mühen, ein weltoffenes Berlin, ein weltoffenes Deutschland zu zeichnen, ein vergangenes und zukünftiges Zentrum der Wissenschaft und der durch sie bestimmten Weltaneignung, schuf man so mit dem Humboldt Schloss erst recht ein Denkmal der Engstirnigkeit.

Diese wird in seiner rückwärtsgewandten Wirkung noch verstärkt durch eine christlich-fundamentalistische, bzw. völkische Botschaft. Es gelang nämlich den die ‚Rekonstruktion‘ unterstützenden Kreisen, eine weitere identitätspolitische Botschaft einzuschreiben. Schon das Kreuz über den ethnologischen Sammlungen war eine Provokation, symbolisierte es doch die Überordnung der christlichen, europäischen Kultur über die vermeintlich ‚primitiven‘ Kulturen, die im Rahmen der völkerkundlichen Sammlungen angehäuft wurden, oftmals direkt verbunden im Zusammenwirken mit der Mission im Zeichen dieses Kreuzes.  Mit dem Kuppelspruch „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“, wurde dies noch zementiert. Angebracht auf einem laizistischen, staatlichen Gebäude im Zentrum Berlins lässt er sich auch als Anspruch auf ein christlich-fundamentalistisches Verständnis von Deutschsein lesen, das mühelos anschlussfähig ist an neu-völkisches Gedankengut. Es steht in diskursiver Spannung zum berühmten Satz von Bundespräsident Christian Wulff, „Der Islam gehört zu Deutschland“, mittlerweile leider vor allem in seiner Negierung bekannt. Hier schließt sich dann auch der Bogen zum ‚Othering‘, das eben auch den ethnologischen Sammlungen inhärent ist.

Die Berliner Schlossattrappe ist ein Schrein des Antidemokratischen mitten in Berlin. Es bildet das architektonische Zentrum eine unkritischen Re-Nationalisierung der deutschen Identität. Das vermeintlich unproblematische Deutschland vor 1914 war eben das undemokratische Kaiserreich mitsamt seinem auf Gewalt und Rassismus beruhenden Kolonialreich. Durch die Aufladung mit dem Humboldt Forum überschreibt das Narrativ von der Kultur- und Wissensnation, vom ‚Land der Dichter und Denker‘, das vom ‚Land der Richter und Henker‘. Es nimmt die Geschichte vor 1933 bzw. 1914 aus der Verantwortung, teilt die deutsche Geschichte in einen unproblematischen – guten – Teil vor 1914/1933 und einen problematischen danach, als hätte die Katastrophe, als hätte das Menschheitsverbrechen keine tiefergehenden Wurzeln, als wäre es von der restlichen deutschen Geschichte losgelöst. So wird Schloss und Forum zu einem Stein gewordenen Schlussstrich, der Ausschwitz, Weltkriege und Revolution einfach ‚überspringt‘. Das Schloss und seine Teile wirken in unterschiedlichen diskursiven Feldern der Gegenwart. Es gibt eben keine reine, unpolitische Rekonstruktion. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses schuf nicht nur ein preußisches Disneyland im Zentrum Berlins und der Berliner Republik, sondern stellt auch eine erinnerungspolitische Diskursverschiebung erster Ordnung dar. Er bedeutet nicht nur eine unkritische Rehabilitierung der preußisch-deutschen Geschichte, sondern auch ein Schlussstrich unter die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Gewaltgeschichte.

 

Siehe auch: Jürgen Zimmerer (Hg.), Erinnerungskämpfe. Neues deutsches Geschichtsbewusstsein, Stuttgart Reclam 2023 für weitere Hinweise und Belege, insbesondere meine Einleitung: “Erinnerungskämpfe. Wem gehört die deutsche Geschichte?, S. 11-38.

Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg und leitet den Projektverbund “Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe”.

Der Text ist ursprünglich im DOM magazin 17 erschienen, das auf der Webseite der Initiative Schlossaneignung kostenfrei zur Verfügung gestellt wird.

Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann hier mitgezeichnet werden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schlossaneignung/das-berliner-schloss-wider-den-stein-gewordenen-schlussstrich/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert